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Wo endet die Osterweiterung?

Eine Übersicht zum NATO-Gipfel in Prag (21. und 22. November 2002)

Von Thomas Klein

Am Donnerstag und Freitag (21. und 22. November) findet in Prag der NATO-Gipfel statt. Zum ersten Mal tagen die Regierungschefs der NATO-Staaten in einem Land, das während der Ost-West-Konftrontation Mitglied im »Warschauer Pakt« war. Die Ortswahl ist von hohem symbolischen Wert, im Bundestag war in der vergangenen Woche gar von einer »historischen Zäsur« die Rede. Nach dem Gipfel in Washington 1999 soll der nun anstehende im neuen Mitgliedsland Tschechien, das in einer ersten Osterweiterungsrunde zusammen mit Polen und Ungarn aufgenommen wurde, zwei wichtige Richtungsentscheidungen fällen. Ganz oben auf der Tagesordnung steht die Frage, welche Beitrittskandidaten in einer erneuten Erweiterungsrunde zuerst dabei sein werden. Und beantwortet werden soll auch die Frage der zukünftigen Aufgaben des Militärbündnisses.

Die Antworten auf diese Fragen sind unter den Mitgliedsländern umstritten. Geht es nach den zuletzt geäußerten Wünschen der US-Regierung haben gleich sieben Länder gute Chancen, aufgenommen zu werden: Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Bulgarien, Slowenien und die Slowakei.

Darüber hinaus sprach sich der US-amerikanische NATO-Botschafter Nicholas Burns Ende Oktober dafür aus, Länder am Kaukasus und in Zentralasien eng an die NATO zu binden. Von Georgien bis Usbekistan müßten alle eine Perspektive erhalten, »Mitglied der Familie« zu werden, so Burns. Derartige Pläne, die mit Blick auf die Landkarte eine Osterweiterung das Militärbündnisses bis zur chinesischen Grenze bedeuten würde, stoßen bisher bei europäischen Verbündeten auf wenig Gegenliebe.

Einig scheinen sich Washington und die wichtigsten europäischen Verbündeten (Paris, London und Berlin) darin zu sein, die als innenpolitisch instabil eingeschätzten Kandidaten Mazedonien und Albanien sowie Sloweniens Nachbarn Kroatien im Augenblick lieber außen vor zu lassen.

Die Bundesregierung bezeichnete in einer vor dem Beginn des Gipfels verbreiteten Erklärung den Beitritt neuer Mitglieder »als einen großen Gewinn für die Sicherheit und Stabilität in Europa«. Und sieht nun eine »echte demokratische Einheit in Europa von der Ostsee bis zum Balkan«.

Zu der wichtigen Frage zukünftiger Aufgabenstellungen der NATO äußert sich die rot-grüne Regierung derzeit lieber ausweichend – verbreitet werden nur Worthülsen: »Auf das Bündnis kommen in Zukunft neue Herausforderungen zu«.

Kein Blatt vor den Mund nimmt hingegen NATO-Generalsekretär George Robertson. Für ihn ist aus dem regionalen Verteidigungsbündnis längst »eine globale Organisation« geworden. Da die Bedrohungen heute nicht mehr an den Grenzen, sondern »ganz woanders« (Roberston) entstünden, soll in Prag u. a. die Aufstellung einer neuen, schnellen Eingreiftruppe beschlossen werden. Diesen Plänen hatte Berlin im Vorfeld bereits zugestimmt. In der jüngsten Bundestagsdebatte wurde das nochmals bekräftigt.

Der neuen Truppe sollen etwa 21000 Soldaten angehören. Ziel ist es, eine Kerntruppe von 5000 Soldaten aufzustellen, die innerhalb weniger Tage an jeden Ort der Erde zum Einsatz kommen könnte. Die Planungen sehen ferner vor, daß sich die neue Truppe mindestens einen Monat ohne weitere logistische Unterstützung im Kampf behaupten kann.

Die Absicht, über hochmobile, mit High-Tech-Waffen ausgerüstete Kommandos für weltweite Einsätze zu verfügen, findet in den USA seit einiger Zeit ihre Entsprechung in verschiedenen Forschungs- und Rüstungsprojekten. Die Vorgabe seitens der Politik lautet: Durch die Entwicklung einer weit überlegenen Waffentechnik eine besonders schlagkräftige Truppe aufzustellen, die sich notfalls auch in feindlichem Umfeld halten und trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit militärische Auseinandersetzungen für sich entscheiden kann.

Auf politischer Ebene ist vor dem Hintergrund der konkreten Pläne allerdings der Streit darüber, ob parallel dazu der Aufbau einer eigenen europäischen Streitmacht in Ergänzung oder Konkurrenz zu NATO-Kommandos vorangetrieben wird, noch lange nicht beendet. Schließlich will die EU in Zukunft ebenfalls mit einer eigenen Eingreiftruppe Flagge zeigen. NATO-Diplomaten zufolge könnte die geplante EU-Truppe, sie soll 60000 Soldaten umfassen, vor allem in Konfliktgebieten zur Befriedung eingesetzt werden. Während die neue NATO-Truppe eher für harte Kampfeinsätze wie in Afghanistan zuständig wäre. ...

Aus: junge Welt, 18. November 2002

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