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Russland hat das Dialog-Fenster geöffnet

NATO und OSZE beschäftigen sich am Wochenende in Korfu mit Moskauer Sicherheitsvorstellungen

Von Hans Voß *

Auf der griechischen Ferieninsel Korfu finden am Wochenende gleich mehrere Treffen von Gremien statt, die Einfluss auf die europäische Sicherheitslandschaft haben. So tagt am Samstag der NATORussland- Rat, und einen Tag später treffen sich die Außenminister der OSZE-Staaten.

Dass der NATO-Russland-Rat endlich wieder eine Beratung durchführt, ist ein gutes Zeichen. Seit nahezu einem Jahr stockte der Dialog auf dieser Ebene. Die Allianz setzte den Rat aus, als Russland den georgischen Präsidenten Saakaschwili in die Schranken wies. Das störte die Erweiterungspläne des Paktes erheblich. Das Frühjahrsmanöver des Militärbündnisses in Georgien war wiederum für Moskau Veranlassung, die Wiederaufnahme der Tätigkeit des Rates weiter zu verzögern. Angesichts der Manöver-Provokation in einem unmittelbaren Nachbarland wollte man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Die Periode der gegenseitigen Nadelstiche scheint jedoch nun vorüber zu sein, zumal in der Zwischenzeit die USA und Russland in einen fruchtbaren Dialog über die Kernwaffenabrüstung eingetreten sind, von dem sie sich auch nicht durch zweitrangige Probleme abbringen lassen wollen. Wenn USA-Präsident Barak Obama Anfang Juli Moskau einen offiziellen Besuch abstatten wird, sollen in diesem Bereich erste Absprachen getroffen werden.

Überraschend ist, dass auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa an diesem Wochenende eine – wenn auch als informell deklarierte – Begegnung ihrer Außenminister angesetzt hat. Das lässt deshalb aufhorchen, weil die nächste Zusammenkunft dieser Art eigentlich erst für den Dezember vorgesehen war. Beobachter führen das Abweichen von der Regel darauf zurück, dass im Westen die Erkenntnis wachse, man müsse beweglicher auf russische Vorstellungen über die Neugestaltung der europäischen Sicherheitsstruktur reagieren.

Nach seinem Amtsantritt im Jahre 2008 hatte Präsident Dimitri Medwedjew die Ausarbeitung eines neuen kollektiven Sicherheitsvertrages für Europa angeregt. Die gegenwärtigen Konstellationen würden nicht allen Staaten den gleichen Zustand der Sicherheit garantieren, argumentierte er. Die Staaten müssten sich verpflichten, keinerlei Maßnahmen zu ergreifen, die ein anderer Staat als Bedrohung auffassen könnte. Um dem Anliegen das erforderliche Gewicht zu verleihen, sollte der Startschuss für Verhandlungen durch ein Spitzentreffen gegeben werden. Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete das Vorhaben als »Helsinki II«, um den umfassenden Ansatz zu verdeutlichen. Zunächst reagierten die NATO-Staaten auf den Moskauer Vorstoß zurückhaltend. Er stieß zum Teil auf offene Ablehnung. Es waren aber auch Stimmen zu vernehmen, die dazu rieten, vorsichtig auf den Vorschlag einzugehen. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy preschte dann vor, indem er eine Gipfelbegegnung in Erwägung zog, die im Sommer dieses Jahres im Rahmen der OSZE stattfinden könnte. Bundeskanzlerin Angela Merkel schloss sich ihm zögernd an. Auf der letzten offiziellen Konferenz der OSZE-Außenminister im Dezember des vergangenen Jahres erläuterte Außenminister Lawrow noch einmal die russischen Vorhaben und eröffnete damit einen breiteren Dialog.

Es ist offenkundig geworden, dass durch hinhaltendes Verschleppen und demonstratives Desinteresse die russischen Bedenken nicht einfach aus der Welt geschafft werden können. Noch ist die französische Idee einer OSZE-Spitzenbegegnung in diesem Sommer nicht zurückgenommen worden, wenn auch über konkrete Vorbereitungen auf einen solchen Gipfel bisher nichts bekannt ist. Sollen also die OSZE-Außenminister jetzt in Korfu eine Art Ersatzveranstaltung durchführen? Will man Russland zumindest so entgegenkommen? Dafür spricht, dass in den Konferenzmaterialien von einem Prozess »erkundender Gespräche« die Rede ist.

So unwahrscheinlich es auch scheint, dass jetzt unmittelbar spürbare Fortschritte bei der Neugestaltung der europäischen Sicherheitsarchitektur erzielt werden können, gibt es im Westen dafür doch keine sichtbaren Voraussetzungen, so wünschenswert wäre es schon, zumindest einen Dialog in Gang zu setzen, der entspannungsfördernd wirkt. Zugleich könnte der OSZE, die nur noch ein Schattendasein führt, damit ein neues, zukunftsweisendes Betätigungsfeld zugewiesen werden.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Juni 2009


Weitere Meldungen

OSZE-Treffen: Russland thematisiert Verletzung der Menschenrechte für Baltikum-Russen

Russland will beim bevorstehenden inoffiziellen Außenministertreffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auf der griechischen Insel Korfu die Menschenrechtsverletzungen in den baltischen Staaten zur Sprache bringen.

Das teilte der russische Außenamtssprecher Andrej Nesterenko am Dienstag (23. Juni) in einem Gespräch mit RIA Novosti mit. Nach seinen Worten will die russische Seite während des Treffens am 27. und 28. Juni, zu dem auch Spitzenvertreter aus den internationalen Organisationen wie OVKS, GUS, Nato, EU und OSZE erwartet werden, über die Missstände in Bezug auf die Freizügigkeit, Liberalisierung der Visaregelung und die Vereinfachung zwischenmenschlicher Kontakte verweisen.

„Uns besorgen die Erscheinungen von Neonazismus und Fremdenhass, die Verletzung der Rechte von nationalen Minderheiten und das Problem der Nichtbürger im Baltikum“, sagte Nesterenko. Auch sollen Sozial- und Wirtschaftsaspekte der Menschenrechte diskutiert werden, die in der Weltwirtschaftskrise nicht mit Stillschweigen übergangenen werden dürften.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 wurde in den unabhängig gewordenen baltischen Staaten hunderttausenden Menschen, überwiegend Russen, die Einbürgerung verweigert. Etwa in Lettland sind von den dort lebenden 2,3 Millionen Menschen etwa 300 000 der wichtigsten Bürgerrechte wie des Stimmrechts beraubt. Für die „Nichtbürger" gelten insgesamt mehr als 80 Beschränkungen und Verbote. Ihnen ist zum Beispiel untersagt, im öffentlichen Dienst oder in der Pharmaindustrie zu arbeiten.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 23. Juni 2009; http://de.rian.ru


Außenministertreffen Russland-Nato am 27. Juni auf Korfu - Lawrow

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat bestätigt, dass der Russland-Nato-Rat auf Ministerebene am 27. Juni auf der griechischen Insel Korfu tagen wird.

Zuvor hatte Nato-Sprecher James Appathurai der Nachrichtenagentur APF mitgeteilt, dass an dem Treffen auf Korfu, dessen Tagesordnung noch nicht abgestimmt sei, unter anderem der russische Außenminister Sergej Lawrow und seine US-Amtskollegin Hillary Clinton teilnehmen würden.

Laut dem russischen Nato-Botschafter Dmitri Rogosin soll das Ministertreffen den Weg für eine Wiederaufnahme der militärischen Kooperation zwischen Russland und dem Bündnis freimachen, die seit dem Südossetien-Konflikt auf Eis liegt.

Das Verhältnis zwischen Russland und der Nato hatte sich im vergangenen August zugespitzt, als Georgien dessen abtrünnige Provinz Südossetien und die dort stationierten russischen Friedenssoldaten angegriffen hatte. Russland schickte daraufhin Truppen in die Region, um die georgische Armee aus dem Gebiet zu drängen. Die Nato hatte Georgien während des Konfliktes unterstützt.

Die Nato-Außenminister setzten als Reaktion auf Moskaus Vorgehen im Kaukasus die Sitzungen des Russland-Nato-Rats aus. Russland reagierte, indem es einige Programme und Übungen mit der Nato aufs Eis legte. Die Nato-Außenminister beschlossen bei ihrem Treffen am 5. Mai in Brüssel eine vollständige Wiederaufnahme der Beziehungen mit Russland.

Im vergangenen Monat kam es aber erneut zu Spannungen, nachdem die Nato am 6. Mai trotz heftiger Kritik aus Moskau das knapp einen Monat lange Militärmanöver in Georgien Cooperative Lancer/Cooperative Longbow begonnen hatte. Einen Tag davor hatte das Bündnis zwei russischen Vertretern bei seinem Hauptquartier in Brüssel die Akkreditierung entzogen und damit deren Ausweisung aus Belgien bewirkt. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte daraufhin seine Teilnahme an dem für Mai geplanten Russland-Nato-Rat ab.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 3. Juni 2009; http://de.rian.ru




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