Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

NATO-Konzept: Interventionsbündnis auf Samtpfoten

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag


NATO: Teuer und überflüssig - Friedensbewegung: NATO auflösen

Kassel/Hamburg/Berlin, 16. November 2010 - Zum bevorstehenden NATO-Gipfel in Lissabon, erklärten die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in Kassel:

Wenn sich die NATO am kommenden Wochenende ein neues strategisches Konzept gibt, wird es weder Überraschungen noch wirkliche Neuerungen gegenüber dem bisherigen Programm, geschweige denn gegenüber der bisherigen Praxis geben.

Seit Ende des Kalten Kriegs war klar, dass das alte Bedrohungsszenario, das von einem großangelegten Angriff mit riesigen Panzerheeren aus dem Osten ausging, der Vergangenheit angehört. Auf dem Gipfel 1991 in Rom gab sich die NATO ein neues Konzept, das den veränderten Realitäten Rechnung tragen sollte. Seither galten der Kampf gegen den internationalen Terrorismus und gegen die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, die militärische Absicherung des freien Welthandels und des Zugangs zu lebenswichtigen Rohstoffen sowie die Sicherung der Energieversorgung zu den erklärten Zielen des Militärbündnisses. Festgehalten wurde auch an der Doktrin der atomaren Abschreckung einschließlich des Vorbehalts eines "Erstschlags". Mit dem Krieg um das Kosovo 1999 wurde zudem die strikte geografische Eingrenzung des Aktionsradius der NATO auf den atlantischen Raum (nördlich des Wendekreises des Krebses) aufgegeben. Im Afghanistan-Krieg zieht die NATO - wie zuletzt Wikileaks aufgedeckt hat - alle Register einer völkerrechtswidrigen Kriegführung.

Das neue strategische Konzept wird feststellen,
  1. dass die Hauptaufgabe des NATO-Bündnisses weiterhin die Verteidigung gegen militärische Angriffe sein wird,
  2. dass die genannten "neuen Bedrohungen" noch um eine weitere ergänzt wird: um Cyber-Attacken, die sich gegen einzelne Mitgliedstaaten oder gegen Einrichtungen der NATO richten können,
  3. dass die NATO sowohl in konventioneller als auch in nuklearer Hinsicht zu weiteren Abrüstungsvereinbarungen bereit ist, wobei das Ziel eines "Global Zero" für richtig, aber in absehbarer Zeit für nicht realisierbar gehalten wird,
  4. dass die NATO Partnerschaften mit geeigneten Ländern und Organisationen anstrebt, allen voran mit der EU und der UNO und eine Aufrüstung der militärischen Fähigkeiten der EU unterstützt,
  5. dass die NATO in Europa ein Raketenabwehrsystem errichten wird, das einen Schutzschirm gegen potentielle Angriffe aus dem Nahen oder Ferneren Osten darstellen und Russland als Partner einbeziehen soll, und
  6. dass Fragen der Energiesicherheit und des Klimaschutzes, der Armutsbekämpfung und der Entwicklung zu Angelegenheiten der NATO werden.
Das neue NATO-Konzept will den Anschein erwecken, als handele es sich um ein Bündnis kollektiver Sicherheit, das den grundlegenden Werten von Demokratie, Freiheit und der Wahrung von Menschenrechten verpflichtet sei und auf der völkerrechtlichen Grundlage der UN-Charta operiere. Die NATO kommt auf Samtpfoten daher, bleibt aber ein bis an die Zähne bewaffneter Militärpakt, der 75 Prozent der weltweiten Rüstungs- und Militärausgaben auf sich vereinigt und tendenziell alle Probleme der globalisierten Welt "versicherheitlicht", d.h. zu einem Gegenstand militärischer Überlegungen und Antworten macht. Das jüngste Beispiel sind Cyber-Attacken. Morgen (16. Nov.) beginnen unter dem Titel "Cyber Coalition 2010" dreitägige NATO-Übungen, in denen die Möglichkeiten der Reaktion auf mehrfache, gleichzeitig vorgetragene Cyber-Attacken durchgespielt werden sollen. Hierfür gibt es bereits einen NATO-Stab, das "NATO Cyber Defence Management Board".

Die Friedensbewegung wendet sich entschieden gegen alle Versuche, die NATO als global agierende Sicherheitsagentur mit umfassenden Kompetenzen zu etablieren und dafür von den Mitgliedstaaten steigende Beiträge zu fordern. Die meisten Risiken, mit denen die NATO ihre Existenz begründet, sind ziviler Natur und demnach auch nur zivil, also nicht-militärisch zu lösen. Hierfür existieren mit den Vereinten Nationen und mit der vernachlässigten OSZE zwei Organisationen, in deren Rahmen die genannten Probleme verhandelt und gelöst werden können. Ein Militärbündnis - das größte, das die Weltgeschichte je gekannt hat - braucht es dafür nicht.

Der Bundesausschuss Friedensratschlag wird seine Kampagne zur Delegitimierung der NATO fortsetzen. Dabei ist zu zeigen,
  1. dass Militärpakte aufgrund des allgemeinen Gewaltverbots keine Existenzberechtigung haben,
  2. dass kollektive Sicherheitssysteme, weil sie exklusiv wirken, nicht zu mehr Sicherheit beitragen, sondern die davon Ausgeschlossenen ihrerseits zu entsprechenden militärischen Vorkehrungen veranlassen,
  3. dass die NATO-Staaten heute rund 900 Milliarden US-Dollar für Militär und Rüstung ausgeben, das sind 75 Prozent der weltweiten Rüstungsausgaben,
  4. dass es ein Gebot der menschlichen Vernunft ist, die Auflösung dieser sündhaft teuren Verschwendungs-Allianz zu fordern, damit die Mittel zur Bekämpfung der dringendsten Menschheitsprobleme verwendet werden können.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg/Berlin
Peter Strutynski (Kassel)


Zurück zur Sonderseite "Strategisches Konzept der NATO"

Zur NATO-Seite

Zur Seite "Friedensbewegung

Zur Presse-Seite

Zurück zur Homepage