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Mehr Krieg mit "NATO 2020"

Interventionstruppen, Atomwaffen und Raketenabwehr prägen die neue Strategie

Von Olaf Standke *

Mit einer eigenen Raketenabwehr, Atomwaffen und flexibleren Truppen für noch mehr Einsätze auch weit außerhalb ihres Bündnisgebiets soll die NATO den vermeintlichen Bedrohungen des 21. Jahrhunderts künftig schlagkräftiger begegnen. Das geht aus einem am Montag (17. Mai) in Brüssel vorgestellten Strategieentwurf »NATO 2020« hervor.

Von einem »Meilenstein« sprach gestern in Brüssel Anders Fogh Rasmussen. Gemeinsam mit der früheren USA-Außenministerin Madeleine Albright präsentierte der NATO-Generalsekretär konzeptionelle Leitlinien für die Allianz. Die Empfehlungen einer zwölfköpfigen Kommission sind Grundlage für die neue Strategie des weltgrößten Militärbündnisses und umreißen die Aufgaben der NATO in den nächsten zehn Jahren. Dabei gilt den Experten der Schutz vor einem möglichen Raketenangriff Irans als »unerlässliche militärische Aufgabe« der Allianz.

»Die NATO muss beweglich und effizient genug sein, um weit entfernt agieren zu können«, betonte Albright. Man müsse sich künftig noch mehr auf Einsätze außerhalb des Bündnisgebiets einstellen - trotz knapper Kassen. Als Nahziel nennt die Kommission den Gewinn des Krieges in Afghanistan.

Während sich verschiedene Mitgliedstaaten gegen Vorschläge wenden, die NATO als »Weltpolizist« agieren zu lassen, versucht Rasmussen, das Kriegsbündnis als »globales Sicherheitsforum« zu verkaufen. Am wahrscheinlichsten seien künftig Bedrohungen durch Raketen, internationale Terroristen und Computerangriffe. Das Bündnis müsse aber auch sich selbst reformieren, heißt es im Report. So solle das Hauptquartier schlanker werden, eine Reihe von Ausschüssen könnten wegfallen.

Um den politischen Willen für Einsätze außerhalb des Bündnisgebiets zu stärken, müsse man jedoch darauf achten, dass sich alle Mitgliedstaaten des Schutzes ihres eigenen Territoriums gewiss sein könnten, sagte Albright. »Die zentrale Verpflichtung der NATO bleibt unverändert«, unterstreicht der 55-seitige Bericht mit Bezug auf Artikel 5 des NATO-Vertrags. Das Bündnis soll seine militärische Beistandsgarantie für den Fall eines Angriffs auf einen Mitgliedstaat verstärken. Damit unterstützen die Experten vor allem eine Forderung baltischer und osteuropäischer Staaten.

Zugleich will man die Zusammenarbeit mit Russland ausbauen, etwa in Abrüstungsfragen, bei der Piraten- und Drogenbekämpfung oder bei der Raketenabwehr. Sie soll ein Kernstück des neuen Konzepts werden. Die USA-Pläne für ein solches System würden damit »voll in einen NATO-Kontext gestellt«, heißt es in den Empfehlungen. Sie setzen weiter auf die atomare Abschreckung: »Solange Kernwaffen existieren, sollte die NATO sichere und verlässliche Nuklearkräfte behalten.« Auch nach Ansicht der Kommission wird der Wunsch nach einem Abzug der in Deutschland stationierten USA-Atomwaffen also nicht so rasch in Erfüllung gehen.

Statt die immer gleichen Bausteine zur Entfaltung militärischer Dominanz neu zu sortieren, sollte die NATO lieber beginnen, sich Gedanken über ein Konzept zur Selbstabwicklung zu machen, kommentierte am Montag der verteidigungspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Paul Schäfer, diese Eckpunkte. Nötig wäre, die Allianz in einem gemeinsamen System kollektiver europäischer Sicherheit aufgehen zu lassen. Generalsekretär Rasmussen will nun bis September einen »kurzen und präzisen« Vorschlag für die neue Strategie ausarbeiten. Sie soll im November von einem NATO-Gipfel in Lissabon beschlossen werden.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Mai 2010


Ismays Geist

Von Olaf Standke **

Vom ersten NATO-Generalsekretär Hastings Lionel Ismay stammt das Bonmot, der Nordatlantik-Pakt habe die Aufgabe, die Amerikaner drinnen, die Russen draußen und die Deutschen klein zu halten. Das faschistische Deutschland war noch nicht ganz besiegt, da entwarf der britische Baron in Churchills Auftrag schon einen Kriegsplan, der die militärische Unterwerfung der damaligen Sowjetunion zum Ziel hatte.

Zwei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Kriegs sucht das größte Militärbündnis der Welt wieder einmal einen Feind und Existenzgrund. Iran steht nun an vorderster Front, Terroristen will man bekämpfen, Piraten und Cyber-Krieger jagen. Die unverbrüchliche Beistandsgarantie für alle, vor allem die osteuropäischen Mitglieder, gehört dazu - gegen wen eigentlich, wenn man eine engere Zusammenarbeit samt gemeinsamer Raketenabwehr mit Moskau anstreben will? Mehr denn je brauche man flexible, weltweit operierende Truppenverbände, heißt es - um trotz versprochener ziviler Konfliktlösungen weiterhin auch ohne UNO-Mandat Weltpolizist spielen zu können? Unerlässlich seien auch künftig Atomwaffen - etwa um die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen einzudämmen? Acht Monate lang feilte eine Expertengruppe unter Vorsitz der einstigen USA-Außenministerin Albright am Grundriss einer neuen NATO-Strategie. Das gestern präsentierte Ergebnis: Diese Allianz wird ein Kriegsbündnis bleiben.

** Aus: Neues Deutschland, 18. Mai 2010 (Kommenar)

Hier geht es zu dem Strategieentwurf (englisch)

NATO 2020: ASSURED SECURITY; DYNAMIC ENGAGEMENT / Bestärkte Sicherheit; Dynamisches Engagement
ANALYSIS AND RECOMMENDATIONS OF THE GROUP OF EXPERTS / Expertengruppe legt Empfehlungen für ein neues Strategisches Konzept der NATO vor (englisch, pdf-Datei)(17. Mai 2010)




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