Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

NATO will im Osten aufrüsten

Ende der Kooperation mit Russland hat auch Auswirkungen für Afghanistan

Von Olaf Standke *

NATO-Generalsekretär Rasmussen hat Moskau gewarnt, die an der Grenze stationierten Truppen in die Ukraine einmarschieren zu lassen. Russland drohe eine lange Isolation.

Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen forderte am Mittwoch auf der Brüssler NATO-Außenministertagung »glaubwürdige« Präsidentenwahlen in Afghanistan. Bei Gesprächen mit Vertretern der 20 anderen Mitgliedstaaten der Schutztruppe ISAF beklagte er, dass der scheidende Staatschef Hamid Karsai Verträge mit der NATO und den USA über den rechtlichen Status der internationalen Verbände nach 2014 immer noch nicht signiert habe. Ohne solche Abkommen werde es aber keinen Nachfolgeeinsatz geben. Die Allianz will von 2015 an mit bis zu 12 000 Ausbildern und Beratern am Hindukusch präsent sein – bewacht von Kampftruppen.

Zuvor hatte der Pakt nicht nur beschlossen, seine militärische Präsenz im NATO-Osten weiter zu verstärken. Er setzt auch die Kooperation mit Moskau aus – vorerst bis Juni. Dort wurde die Ankündigung bedauert, komme die Entscheidung doch weder Russland noch der Allianz zugute, wie das Außenministerium verlautbarte. Das betrifft auch Afghanistan. Denn im Gegensatz zu Äußerungen von Rasmussen werde es nun keine Zusammenarbeit mehr bei der Bekämpfung des Drogenschmuggels sowie bei der Wartung von Hubschraubern und der Ausbildung von Piloten der afghanischen Armee geben, wie ein ranghoher NATO-Diplomat am Rande der Tagung zugeben musste. Ob auch der Transit nichtmilitärischer ISAF-Güter betroffen ist, bleibt offen, weil es hier um bilaterale Vereinbarungen geht.

Die baltischen NATO-Staaten haben zum Abschluss des Treffens die angekündigte Aufrüstung in ihrer Region begrüßt und wie Polen eine »langfristige und dauerhafte Präsenz von alliierten Truppen« verlangt. Während Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier das zurückwies, versprach sein US-Kollege John Kerry »mehr Unterstützung«. Inzwischen sind in Litauen zehn zusätzliche Kampfjets F15 und über 100 US-Soldaten stationiert worden. Nach Angaben aus Bukarest wollen die USA auch ihre Truppenstärke an der rumänischen Schwarzmeerküste von 1000 auf 1600 Soldaten der Schnellen Eingreiftruppe Special Purpose Marine Air-Ground Task Force erhöhen und weitere Flugzeuge schicken. Ein Kriegsschiff könnte schon bald folgen. Die NATO hatte sich 1997 gegenüber Moskau verpflichtet, auf »substanzielle Streitkräfte« in den einstigen Warschauer Vertragsstaaten zu verzichten.

In der Ukraine sind zwischen Mai und November 2014 Manöver mit Truppen aus den USA, Polen, Rumänien und Moldova geplant. Zudem werde man die Modernisierung der Streitkräfte vorantreiben. Eine NATO-Aufnahme sei aber nicht vorgesehen, so James Appathurai, Sondergesandter des Generalsekretärs für den Kaukasus und Zentralasien. Momentane Anwärter auf eine Mitgliedschaft seien vor allem Georgien sowie die Balkanstaaten Montenegro, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 3. April 2014


Nervöser NATO-General

Obama und Merkel enttäuscht: Die Russen ziehen sich nicht aus Rußland zurück

Von Knut Mellenthin **


NATO-Oberkommandeur Philip Breedlove sorgt weiter für Nervosität. Der 58jährige Vier-Sterne-General behauptete am Mittwoch, Rußland habe an der Grenze zur Ukraine die für einen Überfall notwendigen Truppen konzentriert. Damit könne Moskau »alle seine Ziele« in der Ukraine in nur drei bis fünf Tagen erreichen. Die Lage sei »unglaublich besorgniserregend«. Breedloves Warnungen sind, rein militärisch betrachtet, erstaunlich, da die offiziellen Schätzungen der NATO über die russische Stärke an der Grenze zur Ukraine nur von 35000 bis 40000 Soldaten ausgehen. Also bei weitem nicht genug, um ein Land von der Größe Frankreichs nicht nur zu überrennen, sondern auch zu besetzen.

Am 23. März hatte der General schon einmal für Schlagzeilen gesorgt, als er darüber spekulierte, daß die russischen Streitkräfte quer durch die Ukraine vorstoßen könnten, um Moldowa anzugreifen und Transnistrien zu besetzen, dessen Bevölkerung mit großer Mehrheit den Beitritt zur Russischen Föderation wünscht. Allerdings würden Breedloves russische Kollegen, falls in Moskau wirklich derartige Absichten bestünden, dafür wahrscheinlich Transportflugzeuge und Luftlandetruppen einsetzen, statt einen sehr riskanten Vorstoß auf dem Landweg über Hunderte von Kilometern zu unternehmen. Daß Rußland auf eigenem Boden Manöver durchführt, an denen wenige zehntausend Soldaten teilnehmen, beunruhigt die NATO schon seit Beginn der von ihren eigenen Politikern herbeigeführten Krise in der Ukraine. US-Präsident Barack Obama hat, wenn man der Verlautbarung des Weißen Hauses glauben darf, seinen Moskauer Kollegen Wladimir Putin am vorigen Freitag telefonisch »aufgefordert«, die russischen Truppen von der Grenze »zurückzuziehen«. Anderenfalls, so soll Obama drohend hinzugefügt haben, sei keine »diplomatische Lösung« möglich. So spricht eine Regierung, die mehrere hundert Militärstützpunkte außerhalb ihres Territoriums unterhält.

Seit Dienstag melden die westlichen Mainstreammedien mit aufdringlicher Häufigkeit und Beharrlichkeit, daß es »immer noch keine Anzeichen für einen russischen Truppenabzug« gebe. Putin halte also seine Zusagen nicht ein. Einzige Grundlage dieser Darstellungsweise ist eine Pressemitteilung der deutschen Regierung vom Montag, die folgenden Wortlaut hat: »Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident Wladimir Putin haben heute erneut miteinander telefoniert. Dabei informierte der russische Präsident die Bundeskanzlerin über den von ihm angeordneten Teilrückzug russischer Truppen von der Ostgrenze der Ukraine. Die beiden erörterten darüber hinaus mögliche weitere Schritte zur Stabilisierung der Lage in der Ukraine und in Transnistrien (Republik Moldowa).« Auffallend ist an diesem Text das Fehlen jeder Andeutung über den Inhalt der »Information«, die die deutsche Regierungschefin angeblich von Putin über den »Teilrückzug« erhalten haben will.

In der amtlichen Moskauer Mitteilung steht zu diesem Punkt gar nichts. Hier ihr Text: »Auf russische Initiative hatte Wladimir Putin ein Telefongespräch mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Herr Putin und Frau Merkel besprachen verschiedene Aspekte der Lage in der Ukraine, einschließlich möglicher internationaler Anstrengungen, um bei der Wiederherstellung der Stabilität zu helfen. Der Präsident sagte, es sei wichtig, daß die Ukraine Verfassungsreformen durchführt, die auf den Schutz der rechtmäßigen Interessen der Menschen in allen Regionen der Ukraine abzielen. Herr Putin und Frau Merkel erörterten auch die Lage in Transnistrien. Herr Putin machte auf die Notwendigkeit wirksamer Maßnahmen zur Beendigung der äußeren Blockade des Gebiets und für eine gerechte und umfassende Lösung des Transnistrien-Problems aufmerksam.« Was die deutsche Pressemeldung vielleicht beim »Teilrückzug« zu viel hat, hat sie offensichtlich bei der Wiedergabe des Gesprächsthemas Transnistrien zu wenig.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 3. April 2014


Vormachtsträume

Polen und baltische Staaten fordern NATO-Truppen auf ihrem Gebiet. Rußland: Sprache des Kalten Krieges

Von Reinhard Lauterbach, Nekielka ***


Polen und die baltischen Staaten fordern die NATO auf, größere Truppenverbände in ihren Ländern zu stationieren. Polens Außenminister Radoslaw Sikorski sagte am Montag in Weimar, er wäre glücklich, wenn die USA zwei schwere Brigaden in seinem Land stationieren würden. Das wären rund 10000 Soldaten. Ministerpräsident Donald Tusk sekundierte am Dienstag in Brüssel, die rein vertraglichen Sicherheitsgarantieren der NATO reichten angesichts der aktuellen Bedrohung nicht mehr aus, um seinem Land ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Die polnischen Forderungen werden jedoch offenbar nicht von allen NATO-Staaten unterstützt. Die konservative britische Zeitung Daily Telegraph berichtete am Mittwoch, daß sie vor allem von deutscher und niederländischer Seite mit Zurückhaltung aufgenommen worden seien. Der niederländische Außenminister Frans Timmermans wird mit der Aussage zitiert, es brauche keine NATO-Truppen an der russischen Grenze.

Genau darum, die Truppen an der russischen Grenze zu verstärken, geht es den osteuropäischen NATO-Staaten. Als die NATO in den 1990er Jahren ihre Osterweiterung plante, schloß sie mit der damaligen russischen Regierung unter Boris Jelzin ein Gentlemen’s Agreement ab, die Erweiterung nicht zum Anlaß zu nehmen, größere Truppenteile nach Osten zu verschieben. Die nirgends vertraglich festgelegte Beschränkung wird nun von einem Teil der NATO-Staaten als überholt angesehen. Rußland habe mit der einseitigen Veränderung der Staatsgrenzen auf der Krim die Geschäftsgrundlage der damaligen Vereinbarung gestrichen – die darin bestand, daß Rußland seine geopolitische Niederlage von 1991 als neuen Sachstand zu akzeptieren hatte.

Die Rede über eine gewachsene Bedrohung angesichts des Anschlusses der Krim – über 1000 Kilometer östlich der polnisch-ukrainischen Grenze – ist dabei nur ein populärer Aufhänger für weitergehende Hoffnungen auf eine Eskalation der Spannungen in Osteuropa. In polnischen Medien ist ganz offen zu lesen, die Krise um die Ukraine sei für das Land eine goldene Gelegenheit, sich als Vorposten der NATO weltpolitisch aufzuwerten. Immerhin sei Polen für die USA ein erprobter Bündnispartner, der in der Lage sei, nach zehn Jahren der Beteiligung an den Kriegen im Irak und in Afghanistan Truppen in Divisionsstärke aufzubieten, die »Pulver gerochen« hätten. Manchen polnischen Kommentatoren schwillt dabei der Kamm so weit, daß alte geopolitische Träume von Polen als Vormacht eines regionalen Cordon Sanitaire gegen Rußland »von Meer zu Meer«, also von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer, aufgewärmt werden. Den einstweiligen Vogel schoß die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita ab, die am Mittwoch von einem »Obama-Putin-Pakt« schrieb: Obama habe die Ukraine durch seine Absage an deren kurzfristigen NATO-Beitritt der russischen Einflußsphäre überlassen. Es wird sich zeigen, was Obama zu diesem Hitler-Vergleich sagt.

Rußland hat derweilen die Entscheidung der NATO bedauert, mit sofortiger Wirkung alle Formate der politischen und militärischen Zusammenarbeit mit Moskau einzustellen. Das Außenministerium erklärte, die einzigen Nutznießer dieser Entwicklung seien Kriminelle und Terroristen, gegen die sich die Kooperation im NATO-Rußland-Rat gerichtet habe. Der Sprecher des Ministeriums kommentierte die Entscheidung in eher ironischem Ton: Die NATO habe 2008 schon einmal diese Zusammenarbeit aufgekündigt, wenig später habe sie dann selbst die Initiative ergriffen, sie wieder aufzunehmen.

Parallel zu diesen zurückhaltenden Tönen zeigte Rußland aber offenbar, daß es auch anders könnte. So berichtet der britische Guardian, daß der Präsident der serbischen Teilrepublik Bosniens, Milorad Dodik, nach einem Besuch in Moskau Ende März plötzlich angefangen habe, die Idee eines Unabhängigkeitsreferendums seiner Region zu propagieren. Dies könnte einen Beitritt Bosniens zu EU und NATO deutlich erschweren, denn beide Bündnisse nehmen keine Länder mit unklaren Grenzen auf.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 3. April 2014


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