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Mit allem rechnen

Die Aushöhlung der friedenspolitischen Grundsätze der Partei Die Linke muß abgewendet werden

Von Ellen Brombacher *

Am Sonnabend fand in Berlin die 1. Tagung der 17. Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform (KPF) der Partei Die Linke statt. Wir veröffentlichen im folgenden eine gekürzte Fassung der Rede, die die KPF-Bundessprecherin Ellen Brombacher dort gehalten hat.

Am 30.11.2013 führte Benjamin Hoff auf dem fds-Bundestreffen (fds – Forum Demokratischer Sozialismus) aus: »Ich möchte, daß wir einen Parteivorstand wählen, der in der Lage ist, all diejenigen notwendigen Schritte auf den Weg zu bringen, die erforderlich sind, um in dieser Wahlperiode eine kluge Oppositionspolitik zu betreiben, aber bereits heute diejenigen Voraussetzungen zu antizipieren, die nach 2017 vor uns stehen und darauf Antworten zu finden. (…) Wir Linksreformer/innen sind ja gemeinhin der Kopf und Verstand der Partei, während die selbsternannten Parteilinken eher den Bauch der Partei repräsentieren. Während der Bauch häufig rebelliert, wird gemeinhin an den Verstand appelliert, Bauchentscheidungen zu treffen. (…) Dagegen hilft nur eine gehörige Portion Ratio.«

Ich will heute ausnahmsweise versuchen, meinen Kopf zu gebrauchen, da ich gerade kein Bauchgrummeln verspüre. Vor zwei Wochen tagte der Berliner Landesparteitag. Unsere Partei müsse dafür sorgen, so Klaus Lederer, im Ergebnis der nächsten Bundestagswahlen auf Koalitionsverhandlungen vorbereitet zu sein. Weder dürften wir um jeden Preis in die Koalition streben, noch dürften wir um keinen Preis die Unschuld verlieren wollen. In seiner Rede forderte er auch, wir müßten uns mit dem Mainstream anlegen und benannte entsprechende Inhalte. So z.B., daß der Mainstream Kapitalinteressen für sakrosankt erklärt oder Kriege für notwendig. Es folgte der Schluß, wir könnten uns mit dem Mainstream nur anlegen, wenn wir uns einmischten und uns nicht in Selbstvergewisserung zurückzögen.

Krieg auf Krieg

Natürlich müssen wir uns auf Angebote von Koalitionsverhandlungen vorbereiten. Es ist keine Zeit zu verlieren, deutlich zu machen, daß die roten Haltelinien unseres Parteiprogramms nicht nur gelten, wenn uns ohnehin keiner fragt. Natürlich muß sich Die Linke mit dem Zeitgeist anlegen, und zwar bedeutend intensiver, als wir das gegenwärtig tun. Und natürlich müssen wir uns einmischen. Wir sind keine Sekte, sondern eine linke Partei mit sozialistischem Anspruch. Aber was soll der unbestimmte Hinweis auf Selbstvergewisserung? Ich habe auf dem Parteitag gesagt, daß mir in bestimmten Fragen Selbstgewißheiten fremd sind, so z.B. hinsichtlich des Verhältnisses der Linken zur nationalen Frage. Jedoch sähe ich keinen Grund, alles anzuzweifeln. Es gebe nicht den geringsten Zweifel daran, daß Kriege kein Problem lösen. Demzufolge sei an den friedenspolitischen Prinzipien unserer Partei nicht zu zweifeln, und wenn wir in der Friedensfrage den Weg der Grünen gingen, machten wir uns überflüssig. Wir sollten vielmehr die SPD-Oberen fragen, welche konkreten Probleme sie mit den außen- und sicherheitspolitischen Positionen der Linken haben. Sollten die antworten, so wüßten wir, worüber zu reden sei, und müßten nicht mehr kryptisch über Selbstvergewisserung diskutieren.

Mir wurde interessanterweise eher nicht widersprochen. Das ist, wenn z.B. auch Stefan Liebich mit im Saal sitzt, alles andere als selbstverständlich. Nichts könnte allerdings naiver sein, als anzunehmen, fehlender Widerspruch sei hier Ausdruck von Einmütigkeit. Es geht um etwas ganz anderes: Jene Reformer, die seit langem mit Gleichgesinnten in der SPD und bei den Grünen daran arbeiten, daß es auf Bundesebene zu einer rot-rot-grünen Koalition kommt, sind gezwungen, Flagge zu zeigen. Sie müssen verstärkt darum ringen, daß die Partei Die Linke die BRD-Staatsräson akzeptiert – vor allem also die NATO- und EU-Bündnisverpflichtungen. Nun wird dieser Kampf seit 1996 geführt, und er wurde stetig zugunsten der friedenspolitischen Grundsätze der Partei entschieden. Und: Dieser Kampf ist für die Befürworter der Einzelfallprüfung schwerer geworden. Nicht weil deren Gegner an sich stärker geworden sind. Wir sind stärker geworden durch die normative Kraft des Faktischen. (…) Seit 2001 löst ein Krieg den nächsten ab, und der übernächste wird vorbereitet. Und nirgendwo geht es um Menschenrechte. Die Argumentation, es ginge um Menschenrechte, hat an Wirksamkeit verloren, weil ihre Verlogenheit auf der Hand liegt; denken wir nur an die Absicht der afghanischen Regierung, die Steinigung als gesetzliche Strafe offiziell wieder einzuführen. Das Argumentationsfeld verlagert sich: Weg von der (…) angeblichen Verteidigung der Menschenrechte hin zu eher vorgeblichen Besorgnissen um die Rolle der UNO. Hier sei aus dem von Gerry Woop und Stefan Liebich herausgegebenen Buch »Linke Außenpolitik. Reformperspektiven« zitiert.

»Die UNO hat auf der Grundlage der Charta die Aufgabe, als System kollektiver Sicherheit für Frieden zu sorgen (…) Zugleich kann es im Einzelfall völkerrechtskonforme Zwangsmaßnahmen bis hin zu militärisch ergänzten UN-Missionen geben.«

Und Paul Schäfer schreibt: »Eine Linke, die für sich beansprucht, Partei der Menschenrechte zu sein, muß auf (diese) Grenzfälle innerstaatlicher Gewaltexzesse eine konkrete Antwort haben. Wir werden daher nach meiner Überzeugung einer Einzelfallprüfung nicht ausweichen können: um unserer eigenen Glaubwürdigkeit willen.«

Scharfer Gegenwind

Paul Schäfer redet dankenswerterweise Klartext. (…) Würde in der Linken eine Mitgliederbefragung darüber durchgeführt werden, ob die friedenspolitischen Prinzipien zugunsten unserer Koalitionsfähigkeit im Bund über Bord gehen sollten, so wäre das Befragungsergebnis klar. Nur – so wird es nicht laufen. (…) Die Befürworter der Einzelfallprüfung werden in den Medien ein solches Übergewicht erhalten, daß der mediale Eindruck entsteht, Die Linke habe kaum mehr eine andere Sorge, als die, ob eine Einzelfallprüfung hermüsse oder nicht. Eine solche Atmosphäre ist herstellbar, und dann müssen die Befürworter der Einzelfallprüfung nur noch die Delegiertenmehrheit auf einem Bundesparteitag haben. (…) Und wenn unsereins dann daran erinnert, daß wir doch ein Parteiprogramm haben, dann genau wird dies als ein Rückzug in Selbstgewißheiten denunziert werden. Die Gegner der Einzelfallprüfung in der Partei müssen also in den bevorstehenden Jahren drei Aufgaben lösen: Sie müssen erstens (…) alle Vorstöße zurückweisen, die friedenspolitischen Grundsätze der Partei in Frage zu stellen. Sie müssen zweitens (…) die überzeugenderen Argumente präsentieren. Und drittens muß langfristig darauf hingewirkt werden, daß das Kräfteverhältnis auf (…) Parteitagen zugunsten der die Einzelfallprüfung ablehnenden Delegierten erhalten bleibt.

Zum Schluß noch ein Wort zur KPF. Stellen wir uns darauf ein, daß die Winde schärfer wehen werden. Am 22. November veröffentlichte Die Welt einen Artikel »Die SPD muß Koch, die Linke Kellner sein«. In (…) bösartiger antikommunistischer Weise wird der DDR unterstellt, sie habe fortgesetzt, »was die Nationalsozialisten begonnen hatten: das Verbot der Sozialdemokratie.« Es folgt die Zeitgeist-Lesart von der Zwangsvereinigung, die mit den Worten endet: »Ausgerechnet die SPD (…) erfuhr mit aller Wucht eine der furchtbarsten Eigenschaften des Kommunismus: daß im Namen einer großen guten Sache (…) eine große böse Sache verwirklicht wird.« (…) Aus den großen bösen Taten der Kommunisten wird geschlußfolgert, die SPD müsse der Führung der Linken deutlich machen, »daß – bei allem Respekt vor (…) Ost-Lebensläufen – mit der SPD keine Politik zu machen ist, in der Reste von DDR-Nostalgie mitgeschleppt werden und in der der böse kommunistische Impetus weiter schwelt« (…) Weil diese Partei »nun einmal der abgeleitete Erbe einer totalitären Unrechtspartei« sei, müsse »klar sein, daß die SPD kocht und die Linkspartei kellnert«. (…) Thomas Schmid (…) hätte platzsparender schreiben können. Etwa so: Auf die Knie! Kappt jegliche kommunistische Wurzel! (…) Wir, Kommunistinnen und Kommunisten in der Linken, werden mit allem rechnen müssen. Mit Provokationen aller Art. (…) Man wird uns von rechts angreifen. (…) Es werden welche kommen, die uns vorhalten, wir seien nicht links genug, und die uns auf Felder der Auseinandersetzung führen wollen, die uns von den Hauptfragen ablenken. Wir werden Spaltungsversuche erleben und die ewig währenden defätistischen Versuche, uns erklären zu wollen, wir (…) seien nicht mehr als das Feigenblatt für die Opportunisten. Und vor der Beschneidung statuarischer Rechte sind wir ebensowenig gefeit, wie davor, womöglich mit finanziellen Einschränkungen leben zu müssen. (…)Wir können das durchstehen, wenn wir unsere Lage illusionsfrei einschätzen, Meinungsverschiedenheiten und Spaltungsversuche klar auseinanderhalten, solidarisch miteinander umgehen, ohne jedes elitäre Gehabe Bündnispartner suchen und bereit sind zu kämpfen, wissend, daß es keinen Blankoscheck für den Erfolg gibt.

Der Text erscheint vollständig im Dezember-Heft der Mitteilungen der KPF, das kommende Woche ausgeliefert wird (Bezug über kpf@die-linke.de; Spendenempfehlung: 1 Euro)

* Aus: junge welt, Montag, 9. Dezember 2013



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