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Krieg und Frieden

Bitte nicht zu revolutionär und pazifistisch: Norddeutsche Landesverbände der Linkspartei debattieren über Programmentwurf

Von Mirko Knoche, Rostock *

Krise, Krieg, Demokratie, Arbeit und Sozialismus. Darüber wollten am Samstag 360 Mitglieder der Linkspartei in der Stadthalle Rostock sprechen. Sechs Landesverbände aus dem Norden und Nordosten der Republik hatten zu der eintägigen Debatte eingeladen. Von Brandenburg bis Bremen waren Parteiaktivisten und -funktionäre an die Ostsee gekommen. Zentrales Thema war der erste Entwurf für ein neues Programm. Dieses soll im Herbst 2011 auf einem Bundesparteitag beschlossen werden. Mit mehreren Regionalkonferenzen will der Bundesvorstand nun die Diskussion in die Partei tragen.

Nach einigem Trubel stand erst wenige Tage vor Beginn des Kongresses die endgültige Tagesordnung fest: Neben zwei schon länger vorbereiteten Debatten über den »demokratischen Sozialismus« und eine mit Gewerkschaftern und Parteipolitikern besetzte Podiumsdiskussion zum Thema »Gute Arbeit« boten die Veranstalter nun zwei Ad-hoc-Workshops zu »Demokratisierung« und »Frieden« an.

Zu einem ersten Schlagabtausch kam es nach dem Einleitungsvortrag des Ökonomen Dieter Klein. Das wesentliche Merkmal des demokratischen Sozialismus sei erfüllt, wenn die »Profitdominanz überwunden« sei, so seine These. Ähnliche Formulierungen finden sich im Entwurf der Programmkommission. Dort ist aber darüber hinaus von »Brüchen und Umwälzungen mit revolutionärer Tiefe« die Rede. Die lehnte Klein am Samstag kategorisch ab: Auf einen »revolutionären Bruch« dürfe sich die Partei nicht »kaprizieren«. Vielmehr gelte es, »irdische Politik« zu machen. Demokratischer Sozialismus sei durch einen Prozeß der (von Klein nicht näher konkretisierten) »Transformation« zu erreichen. Diese Formulierung ist auch im Programmentwurf enthalten.

Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform (KPF) bemängelte in Reaktion auf Klein genau diese Widersprüche im Entwurf der Programmkommission. Zugleich verteidigte sie die »antikapitalistische Substanz« des Papiers. Insbesondere die Positionierung gegen Kriege wolle man »ohne Wenn und Aber« durchfechten.

Entsprechenden Zündstoff bot der Workshop: »Wie schaffen wir Frieden?«. Die Kontroverse hat Tradition: Vom Parteivorstand bis zum Ortsverein, vom Gemeinderat bis in den Bundestag – der Umgang mit NATO und Bundeswehr erhitzt die Gemüter in der Linkspartei. Entsprechend emotional ging es in der Diskussionsrunde mit rund 50 Teilnehmern zu. Im Vordergrund standen nicht die internationale Sicherheitslage oder der Zustand der deutschen Friedensbewegung, sondern das Innenleben der Partei.

Einen schweren Stand hatte hier Gerry Woop vom »Forum Demokratischer Sozialismus« (fds). Er ist Mitautor von 13 Thesen, die der sogenannte Reformflügel als Antwort auf den Programmentwurf verfaßt hat. Woops Ausführungen stießen vor allem bei den Hamburgern Horst Bethge und Hartmut Ring von der Landes-AG Frieden, dem früheren Bundestagsabgeordneten Norman Paech sowie den Außenexperten der Bundestagsfraktion, Wolfgang Gehrcke auf Widerspruch.

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Völkerrechtler Paech kritisierte die fds-These vom »potentiell friedensfähigen Kapitalismus«. Schon der Philosoph Hegel habe den Krieg als »inneren Motor« des Kapitalismus identifiziert. Auch die von Marx geschilderte ursprüngliche Akkumulation des Kapitals in England sei ein permanenter »Kriegs- und Gewaltzustand« gewesen. Engels habe wiederholt auf die »Notwendigkeit des Krieges« für den Kapitalismus hingewiesen. In seinem höchsten Stadium, dem Imperialismus, sei er durch seinen potenzierten Expansionsdrang noch viel mehr auf Krieg angewiesen, so Paech.

Woop verwies dagegen auf frühere Überlegungen in der DDR, ob die friedliche Koexistenz einen friedensfähigen Kapitalismus hervorbringen könne. Er erntete Widerspruch vom Publikum: Nur die militärischen Fähigkeiten des Warschauer Vertrages hätten über 40 Jahre in Europa den Frieden gesichert.

Woop plädiert im fds-Papier für Verständnis, daß in über 20 NATO-Staaten die »Bevölkerungsmehrheiten ihre Sicherheit mit dieser Institution« verbänden. Für Alternativen zur NATO gelte es dort »erst einmal Verständnis« zu schaffen.

Im Laufe der Debatte fragte ein Zuhörer Woop, ob er die Teilnahme deutscher Truppen an UN-Kampfeinsätzen verweigern würde, falls dies SPD und Grünen zur Bedingung für eine Koalition im Bund machten. Die Antwort des »Friedensexperten« des fds: »Nein, das entspricht nicht meiner Position.«

»Die historische Bedeutung der Friedensfrage« könne nicht hoch genug eingeschätzt werden, entgegnete der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Wolfgang Gehrcke. Das habe sich am deutlichsten »an der Spaltung der Arbeiterbewegung in der Zeit des Ersten Weltkriegs« gezeigt. Selbst die Vereinigung von WASG und PDS wäre ohne »Klarheit in der Friedensfrage« nicht zustande gekommen, versicherte er. Auch Gehrcke vertrat die Position, der Realsozialismus habe den europäischen Frieden bewahrt. Die nach 1990 geführten Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und Irak bestätigten diesen Zusammenhang. Das allein begründe schon die Notwendigkeit, die Eigentumsfrage wieder auf die Tagesordnung zu stellen.

* Aus: junge Welt, 20. September 2010

Dokumentiert

»Verläßlichkeit der Linken«

Auszüge aus den 13 Thesen des »Forum Demokratischer Sozialismus« (fds) zum Entwurf des Programms der Partei Die Linke

9. Für gerechten Frieden

(…) Mit dem programmatisch wenig tauglichen und zudem nicht definierten Imperialismusbegriff wird zwar sprachlich an bekannte linke Rhetorik des letzten Jahrhunderts angeknüpft, jedoch im Ergebnis eine politisch fragliche, vereinfachte Darstellung der Vielschichtigkeit internationaler Beziehungen vorgenommen.

Während der Programmentwurf kaum Akteure benennt, sehen wir die UNO in zentraler Funktion für Friedenssicherung und Konfliktbearbeitung. Worin die geeigneten Instrumente zur Bearbeitung der damit verbundenen Herausforderungen bestehen und welche Ressourcen dafür vorhanden sind, ist noch zu klären.

Ausgehend von einer potentiellen Friedensfähigkeit des Kapitalismus ist es unseres Erachtens wichtig, die Vision einer friedlichen Welt ohne Gewalt in den internationalen Beziehungen durch konkrete Auseinandersetzungen um fair gesteuerte Globalisierung und politisch kooperative Ordnungsmuster zu untersetzen. (…)

11. Für realistische Sicherheitsperspektiven

(…) Der gegenwärtige Programmentwurf (…) erfaßt in seiner Analyse die gegenwärtige Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Grundbedingungen der bestehenden internationalen Institutionen, einschließlich der NATO, nur unzureichend. Es dominiert ein enger deutscher Fokus und plakative Argumentation. Damit bleiben Widersprüche unberücksichtigt:
  • Die Haltung zur NATO muß beispielsweise berücksichtigen, daß mit dieser Institution in über 20 Mitgliedstaaten Bevölkerungsmehrheiten ihr Sicherheitsbedürfnis verbinden. Hier gilt es also erst einmal, für Alternativen überhaupt Verständnis zu schaffen.
  • Auch völkerrechtlich nach UN-Charta mandatierte internationale militärische Einsätze sind oft, aber nicht immer und per se abzulehnende Kriegseinsätze.
Es ist falsch, im innerparteilichen Diskurs die Suche nach Antworten auf diese Widersprüche und Herausforderungen als Vernachlässigung friedenspolitischer Grundpositionen oder gar Selbstaufgabe mit dem Ziel der Regierungsbeteiligung auf Bundesebene zu denunzieren. Im Gegenteil: Gerade das Interesse an einer solchen grundsätzlichen Debatte beweist die Bereitschaft zum Erkennen der Komplexität politischer Entscheidungen. Sie ist Ausdruck der Ernsthaftigkeit der inhaltlichen Debatte und damit Grundvoraussetzung für Glaubwürdigkeit und Verläßlichkeit der Linken. (…)

Quelle: junge Welt, 20. September 2010




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