Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Spiel mit dem Feuer

Von Stefan Liebich *

Erst vor wenigen Wochen hat sich die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zum Konflikt zwischen Russland und der Ukraine geäußert. Es war eine eher drastische Wortmeldung: Der Westen müsse klarmachen, dass »die NATO nicht nur auf dem Papier besteht«. »Präsenz« müsse sie an ihren Außengrenzen zeigen.

Schon unmittelbar nach ihrer Amtsübernahme hatte von der Leyen die Messlatte für Militäreinsätze im Ausland deutlich nach unten gehängt: »Wir können nicht zur Seite schauen, wenn Mord und Vergewaltigung an der Tagesordnung sind.« Wohlgemerkt, da spricht nicht der für Polizeiarbeit zuständige Innenminister, sondern die für Bundeswehreinsätze zuständige Verteidigungsministerin. Ihre Worte stehen nicht im Widerspruch zum Koalitionsvertrag zwischen CDU, SPD und CSU, in dem man einen Verweis auf die Kultur der militärischen Zurückhaltung vergeblich sucht.

Derart ermutigt gab im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz, noch vor Putins völkerrechtswidrigem Griff nach der Krim, auch Bundespräsident Joachim Gauck einer Politik seinen Segen, die kurzerhand das Völkerrecht infrage stellt: »Und ich weiß auch um das Spannungsverhältnis zwischen Legalität und Legitimität, das fortbestehen wird, solange der Sicherheitsrat in diesen Fragen so oft gespalten ist.« Das harmlos daher kommende Spiel mit den Worten entpuppt sich bei genauem Hinschauen als Spiel mit dem Feuer. Denn wenn dieses »Spannungsverhältnis zwischen Legalität und Legitimität« von den Veto-Mächten des UNO-Sicherheitsrats immer so ausgelegt werden kann, wie es ihnen gerade passt, droht unsere Welt völlig aus den Fugen zu geraten.

Raimund Krämer, Chefredakteur der Zeitschrift »Welttrends«, hat die Rede Gaucks an dieser Stelle scharf kritisiert: »Geschichtsvergessenheit und moralische Hybris sind mit Händen zu greifen. Das Jahr 1914 wird völlig verdrängt und gegen eine vermeintliche Instrumentalisierung der deutschen Schuld für den Zweiten Weltkrieg polemisiert.« Denn in der Tat disqualifizierte der Bundespräsident jene, die als Kritiker von Bundeswehreinsätzen keine »aufrichtigen Pazifisten« sind, als Leute, »die Deutschlands historische Schuld benutzen, um dahinter Weltabgewandtheit oder Bequemlichkeit zu verstecken«. Aus solcher Zurückhaltung kann, so Gauck, »so etwas wie Selbstprivilegierung entstehen«. Es sind beklemmende Worte und Sätze, einst sprach man gern auch von »vaterlandslosen Gesellen«.

Und überhaupt, wer war bisher bequem und weltabgewandt? Wo hat sich unser Land selbst privilegiert? Ist es falsch, die einmalige historische Schuld, die Deutschland in seiner Geschichte auf sich geladen hat, immer zum Maßstab von aktuellen und zukünftigen Entscheidungen zu machen?

DIE LINKE jedenfalls sollte, gerade angesichts der Krise in der Ukraine, nicht der Versuchung erliegen, neues Unrecht mit altem zu relativieren. Bereits 2007 konstatierte Oskar Lafontaine bei seiner Kandidatur für den Vorsitz unserer Partei: »Wir sind die neue Kraft, die in die deutsche Außenpolitik das Völkerrecht wieder einführen will. Seit Jahren wird das Völkerrecht in der Welt, aber auch in der deutschen Außenpolitik nicht mehr zur Grundlage der Entscheidungen gemacht. Das ist ein Skandal, denn, wie im Inneren der Staaten nur das Recht den Frieden herstellt, so kann zwischen den Staaten nur das Völkerrecht den Frieden herstellen.«

Es gibt zu viele, die in diesen Tagen Antworten auf Fragen der Zukunft vor allem in der Vergangenheit suchen. Die UdSSR zu verteidigen oder zu bekämpfen, ist gleichermaßen sinnlos, denn es gibt sie nicht mehr. Und die VR China wird nicht allein dadurch zum linken Bündnispartner, dass sie hin und wieder andere Interessen als die USA verfolgt. Schon jetzt hat China bei Waffenexporten Frankreich überholt. Die alten Muster passen nicht mehr – der Kalte Krieg ist zu Ende, auch wenn das einige bis heute nicht gemerkt haben oder nicht merken wollen.

Moderne linke Außenpolitik weiß immer noch, dass die ungerechte Weltwirtschaftsordnung das Hauptübel in der internationalen Politik ist. DIE LINKE wird die Einhaltung des Völkerrechts einfordern, egal, von welcher Seite es verletzt wird. Es gibt keinen Grund, dabei mit zweierlei Maß zu messen. Und es ist an uns, immer wieder deutlich zu machen, dass die Messlatte für Militäreinsätze und Waffenexporte nicht hoch genug hängen kann. Denn: Jede Waffe findet ihren Krieg.

* Stefan Liebich, MdB Die Linke, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und dort Obmann seiner Fraktion.

Aus: neues deutschland, Mittwoch 30. April 2014 (Gastkommentar)



Zurück zur Parteien-Seite

Zur Parteien-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage