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"In Handschellen zum Einsatz" in den Irak

Der Fall des US-amerikanischen Kriegsdienstverweigerers Augustín Aguayo

Am 6. und 7. März steht der Kriegsdienstverweigerer Augustín Aguayo in der US-Kaserne "Leighton Barracks" in Würzburg vor dem Kriegsgericht. Auf verschiedenen Veranstaltungen wollen Hilfsorganisationen und Aguayos Angehörige gegen den Prozeß protestieren und die Öffentlichkeit informieren.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel, die am 6. März zu diesem Fall erschienen sind.


Lieber Knast als Krieg

Prozeß in der Kaserne: US-Militärgericht klagt Irak-Kriegsdienstverweigerer in Würzburg an. Friedensorganisationen und Veteranen protestieren

Von Sebastian Wessels


Bis zu sieben Jahre Haft, die unehrenhafte Entlassung aus der Armee und eine Vorstrafe drohen dem US-Kriegsdienstverweigerer Augustín Aguayo, der am Dienstag und Mittwoch in Würzburg vor dem Kriegsgericht steht. Die Armee wirft ihm »Desertion zur Vermeidung eines gefährlichen Einsatzes« und »Verpassen der Verlegung der Einheit« vor. Aguayo hatte bereits Anfang des Jahres 2004, als seine in Schweinfurt stationierte Infanterieeinheit in den Irak abkommandiert wurde, einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen gestellt, der jedoch abgelehnt wurde. Bis heute schöpft er die Mittel des Rechtsweges aus, um die Ablehnung anzufechten, doch bislang ohne Erfolg. Zuletzt hatte der US Court of Appeal in Washington im Februar sein Zivilberufungsverfahren abgelehnt. Es steht Aguayo offen, dort eine zweite Anhörung zu beantragen und anschließend das höchste US-Gericht, den Supreme Court, anzurufen. Doch solange keine Entscheidung der höheren Instanzen vorliegt, schreitet der Militärgerichtsprozeß voran. Nun wird in der Würzburger US-Kaserne »Leighton Barracks« verhandelt.

Beistand von Veteranen

Der bereits drei Jahre dauernde Widerstand des mexikanischstämmigen Aguayo, der im Jahr 2000 US-Bürger wurde, hat inzwischen einige Aufmerksamkeit erregt. Ein internationales Bündnis von Friedensorganisationen setzt sich für seine Freilassung ein. Gemeinsam mit der Ehefrau, der Mutter und den zwei Töchtern Aguayos bemühen sie sich derzeit darum, auf seinen Fall aufmerksam zu machen und öffentlichen Druck zu erzeugen. Die beiden Prozeßtage in Würzburg werden von öffentlichen Mahnwachen begleitet; außerdem stellen sich Friedensaktivisten und Aguayos Angehörige auf Informationsveranstaltungen in Würzburg und Berlin der Öffentlichkeit.

Ein Großteil der Unterstützung für Aguayo kommt aus den USA; unter anderem von den »Iraq Veterans Against the War« (IVAW), einer Organisation, die den sofortigen Rückzug der US-Truppen, eine umfassende Sozialversorgung für die Veteranen und Reparationszahlungen für den Irak fordern. IVAW-Präsidentin Kelly Dougherty, die selbst in den Jahren 2003 und 2004 als Militärpolizistin im Irak stationiert war, sieht in Augustín Aguayo ein »großes Vorbild«, denn mittlerweile stellten viele US-Soldaten den Sinn des Irak-Kriegs in Frage. Es sei jedoch äußerst schwer für Militärangehörige, sich dem Kriegsdienst zu entziehen, erklärte sie am Montag auf einer Veranstaltung der »Berliner Friedenskoordination«. Selbst verletzte Heimkehrer, die sich nach ihrer Genesung weigerten, wieder den Dienst anzutreten, verlören die Sozialversorgung durch die Armee – was viele sich schlicht nicht leisten könnten.

Wie Dougherty, so betonte auch Elsa Rassbach, Mitbegründerin des »American Voices Abroad (AVA) Military Project«, daß sich die für den Irak-Krieg wichtigsten US-Stützpunkte außerhalb der USA in Deutschland befinden. Beide appellierten an die deutsche Bevölkerung, dem Krieg Widerstand entgegenzusetzen. Während etwa in Großbritannien, Spanien und Italien Demonstrationen stattfänden, bleibe es in Deutschland »relativ leise«, so die in Berlin lebende US-Staatsbürgerin. Die Bundesrepublik sei außerdem verantwortlich für die Einhaltung der Menschenrechte auch auf ausländischen Militärbasen in Deutschland. Deshalb dürfe die Regierung im Fall Aguayo nicht wegsehen, dessen Dienstvertrag gegen seinen Willen verlängert wurde und der im Konflikt mit seinem Gewissen im Irak an der Waffe dienen mußte. Dies grenze an »Sklavenarbeit« und »Folter«, so Rassbach. Im Namen zahlreicher Friedensorganisationen hat sie deshalb am 27. Februar einen Brief an die deutsche Bundesregierung gesandt, in dem es heißt, »die versuchte »Entführung« eines ausländischen Soldaten von deutschem Boden zu einem Kriegseinsatz, der er sich nur durch Flucht entziehen konnte, (...) ist eine nicht hinnehmbare Menschenrechtsverletzung«.

Notfalls in Handschellen

Aguayo hatte ab Februar 2004 ein Jahr im Irak als Rettungssanitäter gedient und war mit seiner Einheit nach Deutschland zurückgekehrt, die im August 2006 wiederum im Irak eingesetzt werden sollte. Aguayo entzog sich der Verlegung und stellte sich freiwillig der Militärpolizei in Schweinfurt, darauf gefaßt, mit Gefängnis bestraft zu werden. Als sein Kommandeur jedoch befahl, ihn »notfalls in Handschellen« zum Einsatz in den Irak zu schicken, floh er und reiste über Mexiko in die USA ein. Dort stellte er sich wiederum freiwillig und wurde ins Militärgefängnis nach Mannheim verfrachtet, wo er bis heute einsitzt.

Wie viele junge US-Amerikaner hatte sich auch Aguayo aus finanziel­len Gründen zur Armee gemeldet – er wollte Arzt werden und war nach dem teuren Studium hochverschuldet. Die Armee verspricht in solchen Fällen finanzielle Sicherheit. Trotz dieser Anreize habe die Armee Schwierigkeiten, neue Rekruten zu finden, erklärte Rassbach; und dies umso mehr, nachdem ein Großteil der US-Bevölkerung den Krieg ablehne. So versuche man nicht nur mit allen Mitteln, Männer zu rekrutieren, sondern auch, sie festzuhalten. Im Verhältnis zur Gesamtzahl derjenigen, die den Kriegsdienst verweigern wollen, geht die Zahl der anerkannten Anträge seit Jahren zurück.

In Anbetracht der verbreiteten Ablehnung des Krieges auch in den USA sei es keineswegs »antiamerikanisch«, sich der US-Kriegspolitik entgegenzustellen, schloß Rassbach ihren Appell an die Deutschen. »Im Gegenteil – wir bitten euch darum«.


"Deutschland darf nicht wegschauen"

Mexikanische Politiker protestieren. Organisationen fordern Bundesregierung zum Eingreifen auf. Reaktionen auf den Aguayo-Prozeß

Von Sebastian Wessels

Mexikanische Regierungsvertreter haben das Militärgerichtsverfahren gegen Augustín Aguayo scharf verurteilt und die mexikanische Botschaft in Deutschland aufgefordert, Aguayo alle erdenkliche Unterstützung zu gewähren. Aguayo, der mexikanischer Herkunft ist, besitzt erst seit dem Jahr 2000 die US-Staatsbürgerschaft. Nachdem Susana Aguayo, die Mutter des Angeklagten, um ein Gespräch mit der mexikanischen Außenministerin Patricia Espinoza Cantellano ersucht hatte und am 21. Februar vorgelassen wurde, befaßte sich auch der Senat mit dem Fall und veröffentlichte eine Erklärung, die von Connection e.V., einer Hilfsorganisation für Kriegsdienstverweigerer, verbreitet wurde.

In dem Dokument fordert der Senat das Außenministerium auf, »alle politischen und diplomatischen Mittel auszuschöpfen, um zur sofortigen Freilassung von Augustín Aguayo beizutragen und seine psychische und körperliche Unversehrtheit zu garantieren«. Senator Silvano Aureoles von der Partei der demokratischen Revolution bezeichnete Aguayo als »politischen Gefangenen« und als »weiteres Opfer von George W. Bushs militärischem Ehrgeiz«. Für seine Weigerung, so die Senatoren, »sich an Massakern an der Zivilbevölkerung und Unschuldigen im Irak« zu beteiligen, drohten Aguayo sieben Jahre Gefängnis. Sie betonten, er habe das Recht, die Teilnahme an einem Krieg zu verweigern. Es sei »nicht zu rechtfertigen, daß jemand für seine Entscheidung eingesperrt werden kann, sich nicht an Militäreinsätzen jeglicher Art zu beteiligen«.

Eine Reihe internationaler Friedensorganisationen hat sich derweil mit einem Brief an die deutsche Bundesregierung gewandt, in dem eine Untersuchung des Falls Aguayo und die Einhaltung internationaler und deutscher Rechtsstandards auf ausländischen Militärbasen gefordert werden. Zu den Unterzeichnern gehören Vertreter der »Achse des Friedens«, des »American Voices Abroad (AVA) Military Project«, des Connection e.V., der Berliner Friedenskoordination, von Pax Christi und andere.

Der Brief vom 27. Februar bezieht sich auf die »Menschenrechtsverletzungen, die auf deutschem und europäischem Boden durch die USA begangen werden« und nennt »CIA-Flüge bzw. -Entführungen und die vermutliche Nutzung des US-Militärgefängnisses in Mannheim für Verhöre arabischer Gefangener«. Weiter wird an die Bundesregierung appelliert, »darauf hinzuwirken, daß Augustín Aguayo als Kriegsdienstverweigerer anerkannt und freigelassen wird«. Die »zahlreichen« Fälle von Menschenrechtsverletzungen in US-Kasernen auf deutschem Boden nähmen noch zu, »seit die Bush-Regierung versucht, gegen den Willen der Mehrheit und auch gegen den Willen vieler Militärs den Krieg im Nahen und Mittleren Osten auszuweiten«.

Daher dürfe Deutschland »nicht wegschauen«; die »Einhaltung menschenrechtlicher Standards in US-Militäreinrichtungen« gehöre »in den Verantwortungsbereich der Bundesregierung«.

* Beide Artikel aus: junge Welt, 6. März 2007


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