Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ewiger Friede ist möglich!

Sind Kriege gesetzmäßig? Dies fragt der Philosophieprofessor Herbert Hörz

Von Heinz Engelstädter *

Die Schrift kommt zur rechten Zeit, denn das Thema Frieden ist im Programmentwurf der LINKEN unterbelichtet. Eigentlich gehört es an die Spitze eines linken Programms.

Der Berliner Philosophieprofessor Herbert Hörz fragt, ob wir in einer schizophrenen Welt leben, und schlussfolgert, dass wir uns in einer Welt im Kriegszustand befinden. Friedensoasen sind vor individuellem und staatlichem Terror nicht sicher. Die Haltung zu Kriegen muss neu bestimmt werden, um unberechtigter Militanz und dem demagogischen Missbrauch von Menschen- und Völkerrechten zu begegnen. Es kann nicht angehen, dass in Afghanistan und anderwärts Krieg geführt wird, aber kein Kriegsrecht herrscht, sondern offiziell das allgemeine Völkerrecht. Dasselbe gilt für Massaker an ethnischen Gruppen und an der Zivilbevölkerung.

Was bedeutet das Aufrufen von Krieg gegen Terrorismus in Wirklichkeit? Hilft die Unterscheidung von gerechten und ungerechten Kriegen in der globalen Wirklichkeit des Menschen noch weiter? Kann Demokratisierung erreicht werden?

Den damit verbundenen philosophischen Problemen geht der Autor anhand eigener Erfahrungen und dem Wandel seiner wissenschaftlichen Ansichten nach. Ausgangspunkt ist seine Theorie des dialektischen Determinismus, die er von der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation herleitete. Aus dieser Sicht sind Ereignisse und Prozesse letztlich nicht ganz eindeutig zu bestimmen und deshalb wurden die philosophischen Begriffe Gesetz, Kausalität und Zufall vom Autor zu einer statistischen Gesetzestheorie verdichtet.

Gesetzmäßiges Geschehen enthält demnach die notwendige Verwirklichung einer Systemmöglichkeit, ferner die Möglichkeitsfelder für das Verhalten der Systemelemente sowie im Einzelfall die Wahrscheinlichkeit des Übergangs in einen anderen Zustand. Objektive Gesetze sind daher kein Ausdruck der Unvermeidlichkeit gesetzmäßigen Geschehens, da immer eine Wahrscheinlichkeit für die Verwirklichung der Gegentendenz der im Gesetz enthaltenen Haupttendenz vorhanden ist. Statistische Gesetze kennzeichnen die Existenz- und Wirkungsbedingungen der Haupttendenz und für die Realisierung einer Möglichkeit.

Folglich können Kriege nicht als gesetzmäßig angesehen werden. Die Politik einer möglichen kriegführenden Partei enthält die Möglichkeit des Krieges. Gilt der gesetzmäßige Zyklus des Imperialismus von Aufschwung, Krise und Krieg, so enthält er die Möglichkeit zur Verhinderung von Kriegen, die jedoch eine geringe Wahrscheinlichkeit aufweist. Alternative friedliche Lösungsmöglichkeiten bedürfen einer Stärkung ihrer Wirkungsbedingungen. Dafür hat jedes Individuum und jede Gemeinschaft Spielraum und Verantwortung für freie Entscheidung.

Eindringlich schildert Hörz Friedensaktivitäten von Wissenschaftlern und Künstlern während des Kalten Krieges, an denen er vielfach Anteil hatte. Nicht Geschichtsautomatismus, sondern die vereinte Kraft aller Friedenswilligen kann Kriege beenden und besser noch, rechtzeitig verhindern.

Der Autor spannt einen Bogen über Auffassungen zum Krieg in der Antike und im Mittelalter, im Koran und im Christentum der Reformation, in der Neuzeit und in der klassischen deutschen Philosophie. Als Fazit ergibt sich: Kriege werden von Staaten geführt, um bestimmte Interessen durchzusetzen. Das Recht des Stärkeren gilt allgemein, ein Racheverzicht wurde erst nach dreißigjährigem Religionskrieg im Westfälischen Frieden von 1648 festgelegt.

Bei Kriegen handelt es sich um soziale Ereignisse, die sich nicht aus einem Naturzustand der Menschen ergeben. Sie können verhindert werden, wenn ihre Ursachen erkannt und beseitigt werden. Ewiger Friede ist möglich, sobald die Menschheit sich nach Bedingungen organisiert, die friedliche Konfliktbearbeitung erlauben. Gerecht oder ungerecht ist nicht der Charakter von Kriegen. Wenn sie Fortsetzung einer Politik mit anderen Mitteln sind, dann ist diese Politik gerecht oder ungerecht, fortschrittlich oder reaktionär. Gesellschaftliche Verhältnisse sind zu ändern, die Ungerechtigkeit hervorrufen. Auch mit friedlichen Mitteln sind sie zu beseitigen.

Abschließend erfolgt ein Ausblick auf die Zukunft als Gestaltungsraum. Was wissen wir? Was ist zu hoffen? Was können wir tun? Erfülltes Leben ist nur im Frieden möglich, deshalb ist alles zu tun, um Kriege zu verhindern.

Dieses Buch erweist sich als ein äußerst anregendes Kompendium von Ideen, die gegen die noch weit verbreitete Meinung gerichtet sind, Kriege habe es immer gegeben und sie seien naturgegeben. Ein historisches Beispiel: In Australien bildeten sich keine Stämme. Infolge-dessen gab es 40 000 Jahre lang keinen Krieg. Moralische Normen regelten die Beziehungen innerhalb der Clans und zwischen ihnen. Sogar in Zeiten knapper Nahrung griff man nicht zu Waffen, sondern wechselte ohne Probleme zum Nachbarn, dem es noch besser ging. Kriege sind schon in ursprünglichen Zuständen kein gesetzmäßiges Naturereignis.

Wünschenswert wäre es gewesen, wenn der Autor den inneren Widersprüchen eines gegebenen Kriegs- oder Friedenszustandes größere Aufmerksamkeit gewidmet hätte. Letztlich bestimmen sie den Ausgang sowohl eines bewaffneten Kampfes als auch den eines gegebenen Friedens. Die äußere Konfrontation kann bei Verhandlungsbereitschaft und Waffenstillstand relativ schnell beendet werden. Danach aber entscheidet sich, inwieweit ein anschließender Friedensprozess von allen Beteiligten und Betroffenen möglichst menschenwürdig gestaltet wird. Der Krieg in Afghanistan verdeutlicht diese widersprüchliche Eigendynamik heutigen Friedens.

Für alle Kriegskonflikte gewinnt daher die Unterscheidung von negativen und positiven Frieden Bedeutung, die der Friedensforscher Johan Galtung schon vor 50 Jahren in Wissenschaft und politische Strategie einzuführen suchte. Verhandlungsbereitschaft und Waffenstillstand sind demnach erst negativer Frieden. Er ist unabdingbar, wird aber zu positiven Frieden erst, wenn alle Beteiligten und unmittelbar Betroffenen kooperative Friedensverhältnisse zueinander gestalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten auf diese Weise regionale Konfliktzonen entspannt und ein atomarer Weltkonflikt verhindert werden.

Daher sollten in die wissenschaftliche Diskussion und die weitere Programmdebatte zwei Überlegungen einbezogen werden, die sich auf die Stärkung von Friedenskräften beziehen:

Ideen zu Krieg und Frieden lassen noch immer das elementare ökonomische Wertverhältnis außer Acht, das Menschen zueinander eingehen, wenn sie Gebrauchswerte produzieren. Seine Erscheinungsform in der Gegenwart ist die globale gesellschaftliche Arbeitsteilung. Sie ist das ausschlaggebende soziale Fundament dauerhaften Friedens, persönlicher Sicherheit und ansteigenden Lebensniveaus in der Welt.

Die zweite Überlegung betrifft die Determiniertheit positiven Friedens nicht nur durch rationale Erkenntnis und Vernunft, sondern auch durch die massenpsychologische Haltung in einer Bevölkerung. Aktuelle soziale Missstände und Ängste um persönliche Sicherheit, aber auch die Mahnung des Ausgangs von 1933 zwingen dazu, diesem Aspekt von Krieg und Frieden außerordentliche Aufmerksamkeit zu widmen.

Wie sich zeigt, kann der intellektuelle Anspruch dieses Buches dazu beitragen, überlebensfähiges Wissen und Handeln für Frieden zu fördern.

Herbert Hörz: Sind Kriege gesetzmäßig? Standpunkte, Hoffnungen, Handlungsorientierungen. Hg. v. Forschungsinstitut der Internationalen Wissenschaftlichen Vereinigung Weltwirtschaft und Weltpolitik e.V., Berlin 2010. 219 S., kart., 19,90€ €;
Bezug über: Forschungsinstitut der IWVWW e.V., Waltersdorfer Str. 51, 12526 Berlin; Tel.: 030/67689855, Fax: -6763387, IWVWW@t-online.de

* Aus: Neues Deutschland, 17. Juni 2010


Zurück zur Seite "Pazifismus"

Zur Seite "Neue Kriege"

Zur Seite "Neue Weltordnung"

Zurück zur Homepage