Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

US-Deserteur kämpft weiter

Europäischer Gerichtshof setzt Flüchtling Shepherd hohe Hürden. Bayerisches Verwaltungsgericht muss prüfen, ob die USA im Irak Kriegsverbrechen begingen

Von Claudia Wangerin *

Ausgerechnet das Bayerische Verwaltungsgericht in München muss nach einem Urteil vom Donnerstag im Fall des desertierten US-Soldaten André Shepherd prüfen, ob die USA im Irak Kriegsverbrechen begangen haben. Um sich nicht an solchen beteiligen zu müssen, hat der 37jährige in Deutschland Asyl beantragt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte darüber negativ entschieden. Shepherd, der seinen Wohnsitz in Bayern hat, wandte sich daraufhin an das Verwaltungsgericht, das den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg um eine Auslegung der europäischen Richtlinie über den Flüchtlingsstatus ersuchte. Der EuGH stellte in einem Urteil am Donnerstag klar, unter welchen Voraussetzungen einem Deserteur aus einem Drittstaat in der EU Asyl gewährt werden kann. Shepherd war im April 2007 von seinem US-Stützpunkt in Bayern geflüchtet und untergetaucht, um einem weiteren Einsatz im Irak zu entgehen, als ihm klargeworden war, was von ihm reparierte »Apache«-Kampfhubschrauber in Wohngebieten anrichteten. Er wolle nicht mehr an »Kriegen gegen die Menschlichkeit« teilnehmen, so Shepherd in seinem Antrag 2008. Eine Anerkennung ist theoretisch möglich, wenn ihm als Wartungsmechaniker eine auch nur indirekte Verwicklung in Kriegsverbrechen drohte. Der EuGH stellte aber bereits fest, es sei »nicht davon auszugehen«, dass eine drohende Gefängnisstrafe oder die Entlassung aus der Armee unverhältnismäßig oder diskriminierend genug für einen Asylgrund wären. Shepherd hatte auch mit der zusätzlichen sozialen Ächtung argumentiert, da Fahnenflucht in den USA als Kapitalverbrechen gelte.

Die Entscheidung liege bei den Behörden und Gerichten in Deutschland, teilte der EuGH gesteern mit. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der UN-Sicherheitsrat dem Verbleib der US-Truppen im Irak zugestimmt habe. Begonnen hatte der Kriegseinsatz aber ohne ein solches Mandat. Der Sicherheitsrat habe nicht über das »Ob« entschieden, sondern über das »Wie weiter«, betonte Shepherds Anwalt Reinhard Marx am Donnerstag im Gespräch mit junge Welt.

Der EuGH hatte ausgeführt, »dass im Fall einer bewaffneten Intervention, die auf Grundlage einer Resolution des Sicherheitsrats durchgeführt wird, grundsätzlich gewährleistet ist, dass bei ihrer Durchführung keine Kriegsverbrechen begangen werden«. Gleiches gelte, wenn über die Operation »ein internationaler Konsens besteht«. Marx betont, ein solcher habe ja gerade nicht bestanden. Dies für solche Kriege zu »dekretieren«, nannte Pro-Asyl-Geschäftsführer Bernd Mesovic am Donnerstag »skandalös«. Die Generalanwältin beim EuGH, Eleanor Sharpston, hatte im November zugunsten Shepherds argumentiert: Die EU-Richtlinie für geflüchtete Deserteure gelte sogar unabhängig von einem UN-Mandat.

Das EuGH-Urteil setzt aber zudem voraus, dass Fahnenflucht die einzige Möglichkeit gewesen sein müsse, dem Kriegseinsatz zu entgehen. Laut Rechtsanwalt Marx war sie das, weil sein Mandant in den USA nur als absoluter Kriegsdienstverweigerer Chancen in einem entsprechenden Verfahren gehabt hätte. Er sei aber kein Pazifist. Shepherd selbst hatte in Interviews betont, dass er im Verteidigungsfall kämpfen würde. Im Irak habe die US-Armee aber niemanden verteidigt. Im Glauben, den Irakern zu helfen, habe er sich 2004 freiwillig gemeldet. Allerdings aus der Obdachlosigkeit heraus, da er sein Informatikstudium nicht mehr finanzieren konnte und im Auto schlafen musste.

* Aus: junge Welt, Freitag, 27. Februar 2015

Connection e.V. und PRO ASYL: Viel Schatten und wenig Licht

EUGH behauptet: In UN-mandatierten Kriegen würden grundsätzlich keine Kriegsverbrechen begangen
Presseerklärung, 26. Februar 2015

Als unzureichend und teilweise in der Argumentation völlig unverständlich kritisieren das Kriegsdienstverweigerungsnetzwerk Connection e.V. und PRO ASYL die heutige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes im Verfahren des US-Deserteurs André Shepherd (37). „Mit der Entscheidung wird die Position von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren im Asylverfahren nicht gestärkt. Einige Grundsatzfragen hat der Gerichtshof vermieden, andere entgegen dem Votum der Generalanwältin in inakzeptabler Weise beantwortet“, so Rudi Friedrich von Connection e.V.

Besonders bedenklich sind die Ausführungen des Gerichtshofes zu Kriegen, die durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrates mandatiert sind. Bernd Mesovic von PRO ASYL: „Dass der Gerichtshof für diesen Fall quasi dekretiert, dass in solchen Kriegen keine Kriegsverbrechen ‚begangen werden‘ und dies auch für Operationen gelte, über die ein sonstiger internationaler Konsens besteht, ist skandalös. Hier wird per Tatsachenbehauptung die Realität verdreht.“ Der Gerichtshof vertraut allein auf die Rechtssysteme kriegführender Staaten, nach denen sie Kriegsverbrechen bestrafen. Die Generalanwältin hatte dies in ihrem Schlussantrag völlig anders gesehen. André Shepherd kündigte an, er werde sich im weiter zu führenden Verfahren vor dem Verwaltungsgericht München auf Aussagen des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan beziehen, der sich zur Irak-Invasion geäußert habe. Er habe festgestellt, sie sei nicht in Übereinstimmung mit der UN-Charta und aus seiner Sicht illegal.

Der Europäische Gerichtshof hat zudem keinerlei Entscheidung dazu getroffen, wann Kriegsdienstverweigerer einen asylrechtlichen Schutz beanspruchen können. Die Generalanwältin Eleanor Sharpston hatte in ihrer Vorlage noch deutlich gemacht, dass ein Kriegsdienstverweigerer, der sich aus Gewissensgründen einem bestimmten Krieg verweigert – auch ohne Pazifist zu sein – unter den Schutzbereich der Richtlinie fallen kann, wenn „ein unüberwindlicher Konflikt zwischen den Dienstpflichten und seinem Gewissen besteht.“ Wenn Kriegsdienstverweigerer strafrechtlich verfolgt oder auf diskriminierende Weise behandelt werden, so die Generalanwältin, können sie Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des Flüchtlingsrechts sein. „Seit mehreren Jahren ist auf europäischer Ebene das Menschenrecht auf Kriegsdienstdienstverweigerung anerkannt“, so Rudi Friedrich. „Es ist längst überfällig, hier klarzustellen, dass Kriegsdienstverweigerer bei Verfolgung im Herkunftsland einen asylrechtlichen Schutz erwarten können. Das ist ein schwerer Mangel des heutigen Urteils.“

Laut dem Urteil des EUGH sind die einem Militärangehörigen wegen der Verweigerung des Dienstes drohenden Maßnahmen wie Freiheitsstrafe oder Entlassung aus der Armee angesichts des Rechts jedes Staates auf Unterhaltung von Streitkräften nicht als unverhältnismäßig und diskriminierend im Sinne einer Verfolgung anzusehen. Obwohl der EUGH behauptet, die Prüfung sei letztlich Sache der innerstaatlichen Behörden, hat er mit Fußnoten und Nebenbemerkungen längst Partei genommen, gegen Deserteure, für die Souveränität kriegführender Staaten.

gez. Bernd Mesovic (PRO ASYL) - Rudi Friedrich (Connection e.V.



Mandat schützt nicht vor Verbrechen

Markus Drescher über das Urteil des EuGH zum Asylfall André Shepherd **

André Shepherd desertierte, weil er nicht ein zweites Mal als US-Soldat nach Irak und dort womöglich - wenn auch als Wartungsmechaniker für Kampfhubschrauber nur indirekt - an Kriegsverbrechen beteiligt sein wollte. Zur Frage der Kriegsverbrechen hat der Europäische Gerichtshof am Donnerstag ein sehr bemerkenswertes Urteil abgegeben. Demnach betonten die Richter, dass ein UN-Mandat »grundsätzlich alle Garantien dafür bietet, dass (...) keine Kriegsverbrechen begangen werden«. Gleiches gelte für Einsätze »auf der Grundlage eines Konsenses der internationalen Gemeinschaft«.

Nun, man könnte diese Einschätzung sehr optimistisch nennen. Aber auch naiv oder dummdreist. Unabhängig von der politischen Beurteilung der Richtigkeit von mandatierten Militäreinsätzen in Krisen- und Kriegsgebieten: Wo Waffen und Soldaten sind, herrscht immer die Gefahr, dass Kriegsverbrechen begangen werden. Warum ein UN-Stempel dafür sorgen sollte, dass sich Truppen jederzeit an die »Spielregeln« des Krieges halten, ist schleierhaft. Hat er bisher nicht und wird er auch in Zukunft nicht. Ein lernfähiger Mensch käme doch auch nicht auf die Idee, dass das mehrfach verhaltensauffällige Kätzchen diesmal ganz bestimmt nicht an den Möbeln kratzt, weil es ganz besonders lieb schaut.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 27. Februar 2015


Zurück zur Seite "Pazifismus, Friedensbewegung"

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zur Seite "Friedensbewegung" (Berichte vor 2014)

Zurück zur Homepage