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Zwei Kilometer Strand

Linke kritisiert geplante Ausweitung der "Atalanta"-Mission auf Somalia. Militärisches Vorgehen gegen Piraten laut Westerwelle jetzt auch an Land "nationale Pflicht"

Von Rüdiger Göbel *

Die EU-Außenminister haben in der vergangenen Woche nicht nur eine Verlängerung des »Atalanta«-Militäreinsatzes im Indischen Ozean bis Ende 2014 beschlossen, sondern nach mehrmonatiger Debatte auch eine Ausweitung des Mandats. »Boote, Waffenlager, Treibstofftanks und andere Einrichtungen von Piraten am Strand sollen von Schiffen oder Hubschraubern aus beschossen werden können«, meldeten dazu die Agenturen. Das Bundeskabinett will die neuen Regeln wahrscheinlich schon am heutigen Mittwoch (28. März) verabschieden. Nach der Osterpause sollen sie im Bundestag abgesegnet werden.

Bislang war unklar, was mit »Strand« gemeint ist. Am Dienstag sorgte die Abgeordnete Christine Buchholz für Klarheit. Es geht demnach um einen Kampfeinsatz in einem Küstenstreifen von zwei Kilometern Tiefe, wie die friedenspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag erklärte. Wenn die Bundesregierung von »Strand« rede, sei dies eine Lüge. »Die Bundesregierung verfolgt eine Strategie der Intransparenz«, so Buchholz weiter, »um die Öffentlichkeit über die Gefahren der Mandatsausweitung im unklaren zu lassen«. Der Kabinettsbeschluß ebne den Weg für einen Einsatz, »der unausweichlich zu Opfern unter der somalischen Zivilbevölkerung führen wird«. Ein Einsatz mit deutschen Hubschraubern bis tief in das somalische Festland hinein erhöhe dieses Risiko erheblich. Zugleich werde der Piraterie in keiner Weise der Boden entzogen. »Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Piraten auf das neue Mandat reagieren und sich hinter die Zwei-Kilometer-Line zurückziehen. Nach der militärischen Logik der Bundesregierung wird sich daraus eine weitere Eskalation des Militäreinsatzes ergeben«, warnte die Friedenspolitikerin.

Es sei absurd zu glauben, daß unter dem neuen Mandat nur Material zerstört werden wird. Auf den möglichen Beschuß der Hubschrauber werde die Bundeswehr mit Beschuß antworten. »Die Bundesregierung ist dabei, Deutschland in einen Krieg auf dem Boden Afrikas hineinzuziehen. Die Linke lehnt den gesamten Militäreinsatz vor dem Horn von Afrika ab«, so Buchholz.

Kritik an der geplanten Ausweitung der Kampfzone in Ostafrika gibt es auch bei anderen Parteien.Wenn von den Piraten keine direkte Gefahr ausgehe, seien solche Angriffe »völkerrechtswidrig«, erklärte der Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer am vergangenen Freitag in Brüssel. »Die EU-Außenminister ignorieren, daß Piraten Kriminelle und keine feindlichen Kämpfer sind.« Der SPD-Wehrexperte Rainer Arnold nannte die geplante Mandatserweiterung im Deutschlandfunk eine »Scheinlösung«. Zwar sei bei den Sozialdemokraten im Bundestag noch keine Entscheidung zum Abstimmungsverhalten gefallen, doch wäre sein Rat, »diesmal nein zu sagen«. Die Piraten seien »ein lernfähiges System«. Wenn das Mandat sage, man dürfe nur so und so viele Meter vom Strand weg, »werden die Piraten als erstes versuchen, natürlich ihre Logistik weiter zurückzuziehen«.

Die Bundesregierung verteidigt den Beschluß. »Es ist einfach nicht wirkungsvoll, wenn Piraten sich mit ihren Waffen in dem Augenblick sicher fühlen können, wenn sie in Sichtweite zu unseren Soldaten den Strand betreten haben«, erklärte Außenminister Guido Westerwelle. Es sei »nationale Pflicht, gegen Piraterie robust vorzugehen«, um »Leib und Leben von unseren Seeleuten« zu schützen.

Der Parlamentarische Verteidigungsstaatssekretär Christian Schmidt hatte in der vergangenen Woche bei den Beratungen in Brüssel noch erklärt, eine Ausdehnung des Marineeinsatzes über den Ufersaum hinaus werde Deutschland nicht akzeptieren. »Es kann sich nur um begrenzte Aktionen handeln. Richtige Landaktionen, das wollen wir nicht.« Weil man sich »nicht grundsätzlich sperren« will, ist das Ufer kurzerhand großzügig definiert worden.

Die Bundeswehr ist derzeit mit 291 Soldaten und dem Einsatzgruppenversorger »Berlin« an der »Atalanta«-Marinemission beteiligt. Für die geplanten Luftangriffe an Land kommt derzeit vor allem die Bundeswehr in Frage, weil sie im Einsatzgebiet über geeignete Hubschrauber verfügt.

* Aus: junge Welt, 28. März 2012


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