Mit Brunnenbohren fing alles an
Im April 1993 beschloss der Bundestag den ersten Somalia-Einsatz der Bundeswehr – die sozialen Konflikte wurden nicht gelöst
Von Marek Voigt *
Fast genau 20 Jahre nach dem ersten
Somalia-Einsatz der Bundeswehr wird
heute der Bundestag über die weitere
Beteiligung deutscher Soldaten an
der Mission »Atalanta« vor der Küste
des bis heute von Bürgerkrieg beherrschten
Landes entscheiden.
1993 sollten deutsche Einheiten
den Nachschub für andere Truppen
sichern, heute geht es im Verbund
mit weiteren europäischen
Ländern um die Bekämpfung der
Piraterie auf See. Im Rückblick
zeigt sich die erdrutschartige Verschiebung
der politischen Positionen.
Innerhalb kurzer Zeit stellte
sich der heutige politische Konsens
her, der bewaffnete Auslandseinsätze
der Bundeswehr befürwortet.
Im April 1993 beschloss der
Bundestag, die UN-Mission UNOSOM
II mit 1700 Soldaten zu unterstützen.
Zum ersten Mal seit
1945 nahmen damit deutsche Soldaten
an einem Kampfeinsatz teil,
auch wenn dieser aus innenpolitischen
Gründen noch als »humanitär
« verbrämt wurde. Die Somalia-
Entsendung 1993 war eine der
wichtigsten Scheiben in der vom
damaligen Verteidigungsminister
Volker Rühe (CDU) verfolgten Salamitaktik,
die die Bevölkerung in
der Bundesrepublik schrittweise
an Kriegseinsätze in aller Welt gewöhnen
sollte.
Zuvor waren Sanitätssoldaten
in Kambodscha und AWACS-Aufklärungsflugzeuge
auf dem Balkan eingesetzt worden. Somalia stellte jedoch mit den »zum Selbstschutz« bewaffneten Soldaten eine neue Eskalationsstufe dar. Zudem war es dieser Einsatz, der das Propagandabild der Bundeswehr
als »Entwicklungshelfer in Uniform« ermöglichte, weil die Logistikeinheiten ihren ursprünglichen Auftrag nicht umsetzen konnten und deshalb Brunnen bohrten und Lebensmittel verteilten.
Die deutsche Beteiligung an
UNOSOM II war heftig umstritten.
Die SPD hielt sie für verfassungswidrig
und zog deshalb vor das
Bundesverfassungsgericht. Die
Sozialdemokraten strebten allerdings
selbst an, die Beteiligung an
sogenannten friedenserhaltenden
Maßnahmen der UN durch eine
Verfassungsänderung möglich zu machen. Kurz zuvor
hatte sich die Partei auf diese Kompromissposition
zwischen den widerstreitenden
Flügeln geeinigt, die auf der
einen Seite Auslandseinsätze
der Bundeswehr vollständig ablehnten und auf der
anderen für sogenannte »robuste«
– also unter Einsatz von Kriegswaffen
durchgeführte – UN-Einsätze
eintraten. Mit dem Karlsruher
»Out-of-area«-Urteil 1994, das
Auslandseinsätze generell ermöglichte,
gewannen ein Jahr später
nicht nur in der SPD die Interventionsbefürworter
die Oberhand.
Die Bundestagsgruppe PDS/Linke Liste sprach sich gegen
alle Bundeswehrauslandseinsätze
aus und forderte stattdessen, das
militärische Personal durch zivile
Kräfte zu ersetzen. Kritiker prophezeiten
schon damals, dass Militäreinsätze
die Fragen, vor denen
die Welt steht, nicht lösen würden.
Das Beispiel Somalia gibt ihnen
recht: Die Situation dort hat sich
seit 1993 keineswegs verbessert.
Der damalige UN-Einsatz scheiterte,
der Bürgerkrieg verschärfte
sich. Eine Folge der anhaltenden
Instabilität des Landes ist die Piraterie,
gegen die die EU seit 2008
mit Waffen vorgeht.
Für die heutige Bundestagsabstimmung
zur Pirateriebekämpfung
gibt es einen parteiübergreifenden
Konsens. Nur die Linksfraktion
ist dagegen: Die Abgeordnete
Kathrin Vogler kritisierte in
der ersten Lesung die Piratenjagd
als Scheinerfolg und stellte die
Nachhaltigkeit infrage, weil die
Bundesregierung sich nicht um die
Ursachen kümmere. Alle anderen
Fraktionen betonen übereinstimmend,
wie erfolgreich die Mission
sei. Streit gibt es lediglich im Detail.
SPD und Grüne haben Bedenken
gegen die Ausweitung des
Einsatzgebiets auf den »Strand«,
die im letzten Jahr in das Mandat
aufgenommen wurde.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 16. Mai 2013
Neuerscheinung
Maybritt Brehm / Christian Koch / Werner Ruf / Peter Strutynski: Armee im Einsatz. 20 Jahre Auslandseinsätze der Bundeswehr
Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung; vsa Verlag, Hamburg 2012, 256 Seiten | EUR 16.80; ISBN 978-3-89965-546-9
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