Piraterie am Horn von Afrika - Dauerproblem ohne Lösung?
Ein Beitrag von Franz Feyder und Alexander Richter aus der NDR-Reihe "Streitkräfte und Strategien"
Andreas Flocken (Moderation):
Das Horn von Afrika ist weiterhin ein El Dorado für Piraten. Seit mehr als eineinhalb Jahren versucht die EU das Problem mit der Operation Atalanta in den Griff zu bekommen. Allerdings ohne großen Erfolg. Hören Sie Franz Feyder und Alexander Richter:
Manuskript Franz Feyder/Alexander Richter
Es tobt ein einträglicher Kampf am Horn von Afrika. Auf der einen Seite Pira-ten, die von Mutterschiffen aus mit altersschwachen Fischerkähnen, aber auch mit modernsten Speed-Booten Jagd auf Tanker, Containerschiffe und Autotransporter machen. Der Aktionsraum der Seeräuber reicht inzwischen von der ostafrikanischen Küste Eritreas im Norden über Somalia bis nach Tansania im Süden und im Osten bis weit über die Seychellen.
Auf der anderen Seite durchpflügen auf der Jagd nach Freibeutern acht Fregatten und sogar ein französisches Atom-U-Boot unter der Flagge der Europäischen Union das Rote Meer und den Indischen Ozean. Zu den Schiffen der EU-Mission "Atalanta" kommen weitere der NATO und aus einzelnen Länder wie Indien, China, Japan und Russland.
Die Kriegsschiffe haben reichlich zu tun am Horn von Afrika: Allein in diesem Halbjahr alarmierten Seeleute mehr als 380 Mal NATO-Schiffe der Mission "Ocean Shield" im Zusammenhang mit vermuteten oder tatsächlichen Piratenangriffen. 250 Millionen Dollar jährlich lässt sich alleine das Pentagon die Piratenhatz kosten. 150 Millionen Dollar Lösegeld, so schätzt das US-Verteidigungsministerium, seien in den vergangenen drei Jahren an die See-räuber gezahlt worden.
Es ist aber zweifelhaft, dass mit dem aufwendigen Militäreinsatz die Piraterie wirksam bekämpft wird. Das räumt der FDP-Politiker Rainer Stinner ein, der sich seit Jahren mit dem Problem beschäftigt:
O-Ton Stinner:
"Die Wirksamkeit ist nur eingeschränkt gegeben. Wir schützen dort, wo wir sind. Das ist richtig, das ist gut. Aber dadurch ist das Phänomen der Piraterie nicht nachhaltig bekämpft."
Der verteidigungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Paul Schäfer, spricht den Seepatrouillen gar jeden Sinn ab:
O-Ton Paul Schäfer
"Natürlich hat man einige Piraten gefasst. Einige musste man laufen lassen. Aber es scheint doch eine ,Never ending story' zu werden. Also dass man da-rüber das Problem nicht wirklich in den Griff bekommt. Und genau das hatten wir ja prophezeit."
Stinner und Schäfer wollen Lösungen für das Problem anbieten: Die Ursachen der Piraterie sollen bekämpft werden - etwa durch langfristige Entwicklungsprojekte in Somalia, um den Menschen Alternativen für das lukrative Piratengeschäft zu eröffnen. Grundlegend seien aber auch der Aufbau einer Küstenwache oder überhaupt irgendwelcher staatlicher Sicherheitsstrukturen. Denn in Somalia tobt seit 1991 ein blutiger Bürgerkrieg und die Übergangsregierungen sind machtlos.
Die Gründe für die Piraterie sind aber nicht nur in Armut und fehlender staatli-cher Gewalt zu suchen. Amina Mire von der Carleton Universität im kanadischen Ottawa:
O-Ton Amina Mire (overvoice)
"Für die Somalier sind die wahren Piraten, jene die mit Schiffe mitten in der Nacht radioaktiven Abfall aus Europa bringen oder jene mit ihren Fischfangflotten."
Die gebürtige Somalierin wirft dem Westen und einigen asiatischen Ländern vor, das Chaos in Somalia auszunutzen, um vor dessen Küste illegal Müll zu verklappen und die Fischbestände skrupellos zu plündern. Erst dadurch sei die Piraterie am Horn von Afrika zu einem Massenphänomen geworden.
O-Ton Amina Mire (overvoice)
"Das sollten die Leute wissen. Nicht, um die Piraten zu romantisieren, sondern um auf das Ausmaß des, wie ich es nenne, ökologischen Vandalismus am Horn von Afrika aufmerksam zu werden. Das ist ein sehr ernstes Sicherheitsproblem."
Amina Mire ist nicht die einzige, die Umweltverbrechen an der somalischen Küste anprangert: Greenpeace Italien veröffentlichte Mitte Juni unter dem Titel "The toxic ships" einen Bericht. Darin werden vor allem europäische Firmen beschuldigt, illegal Müll auf den Weltmeeren verklappt zu haben. Das letzte der sechs Kapitel widmet sich einzig Somalia. Dort sei in den späten 80er- und in den 90er-Jahren illegal Abfall an Land und vor der Küste entsorgt worden, heißt es in dem Report. Die Staatsanwaltschaft im italienischen Asti ermittelt deswegen.
Exil-Somalier erzählen, dass der Tsunami 2004 im Indischen Ozean am Mee-resgrund liegende Container aufgebrochen und so giftigen Müll an die Strände gespült habe. Viele Küstenbewohner seien krank geworden. Die UNO hält diese Berichte für glaubwürdig.
Schwer zu überprüfen in dem zerrütten Land sind dagegen Gerüchte, wonach gewissenlose Geschäftsleute chemische und radioaktiv belastete Abfälle nach Somalia bringen lassen. Offen ist auch, ob und gegebenenfalls wie stark die Umweltverbrechen die Entwicklung der Piraterie beeinflusst haben. Denn erste Berichte gab es schon in den frühen 90er Jahren - deutlich vor Beginn des Piratenbooms in der Region.
Aber auch fremde Fischfangflotten räubern seit Jahrzehnten in den Gewässern vor dem Horn von Afrika. Die Trawler aus diversen Ländern sind entweder ohne Verträge unterwegs oder haben undurchsichtige Abkommen mit somalischen Warlords. In beiden Fällen stehlen sie vielen Küstenbewohnern die Lebensgrundlage.
Für die Somalia-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Annette Weber, liegt es auf der Hand, was die EU neben den bisherigen Bemühungen auch unternehmen müsste, damit der Anti-Piraten-Kampf zum Erfolg wird.
O-Ton Annette Weber
"Ich denke, da ist es wirklich jetzt ganz notwendig, von europäischer Seite quasi die Hausaufgaben zu machen und offenzulegen, wer von europäischer Seite aus in den Gewässern Somalias Fischfang betreibt. Und von europäischer Seite aus quasi einfach eine Grundlage zu schaffen, um so etwas wie vertrauensbildende Maßnahmen mit Somalia, mit den der somalischen Bevölkerung, beginnen zu können."
Das alleine wird aber nicht ausreichen: Denn Ziel der Piraten sind auch die Hilfsschiffe der UNO. Sie haben Frachter gekapert und die Hilfsgüter überteuert an die Bevölkerung verkauft. So werden die vermeintlichen Opfer zu Tätern. Frankreich hat darauf im Piratenkampf bereits auf eigene Weise reagiert: Paris handelt erst mit den Piraten das Lösegeld für freizulassende Schiffe und deren Besatzungen aus. Dann verfolgen französische Elitesoldaten die Freibeuter bis tief ins Landesinnere, nehmen sie fest oder töten sie gezielt. Auch die USA setzen inzwischen unter dem als liberal geltenden Präsidenten Barack Obama auf das sogenannte "Kinetic Targeting": Im April 2009 erschossen US-Kampfschwimmer drei somalische Piraten und befreiten so den als Geisel genommenen Kapitän Richard Phillips. "Drei Piraten, drei Verhandlungsrunden, drei Leichen", kommentierte ein Sprecher des Pentagons die Befreiungsaktion lapidar, die der Präsident ausdrücklich genehmigt hatte.
Ein Vorgehen, über das in den meisten westlichen Hauptstädten die Regierungen pikiert die Nase rümpfen. Die gleichen Regierungen haben aber offensichtlich auch kein Interesse daran, mehr als gelegentlich einen Piraten medienwirksam festzusetzen: Ihre Kriegsflotten habe keinen Auftrag, am Horn von Afrika Schiffe zu kontrollieren, die möglicherweise Giftmüll an Bord haben oder illegal fischen könnten.
* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 17. Juli 2010; www.ndrinfo.de
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