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Modernes Freibeutertum

Hintergrund. Piraterie in der Straße von Malakka. Blicke gen Osten jenseits von Somalia und dem Golf von Aden

Von Rainer Werning *

Am vergangenen Donnerstag (17. Dez.) gab der Bundestag grünes Licht, den Einsatz der deutschen Marine an der sogenannten Antipiratenak­tion »Atalanta« am Horn von Afrika für ein weiteres Jahr bis zum 18. Dezember 2010 zu verlängern. Begründet wurde dies mit der anhaltenden Bedrohung für die internationale Handelsschiffahrt und der Absicherung der humanitären Hilfe für Somalia. Geostrategische Ziele, die sich mit diesem Einsatz verbinden, spielen in der öffentlichen Debatte dagegen kaum eine Rolle. Gleiches gilt für die Bekämpfung der Piraterie im insularen Südostasien durch westliche Staaten. Die historischen Wurzeln des Seeräubertums in dieser Region liegen in der Kolonialzeit, als die Welt zwischen den rivalisierenden Seemächten Spanien und Portugal aufgeteilt wurde. Ging es damals um Spezereien und koloniale Bastionen, steht heute die Sicherung der strategisch bedeutsamsten Tankerrouten und imperialer Interessen gegen Hochseepiraterie, »Terrorismus« und bewaffneten Widerstand im Vordergrund.

Es war ein verwegener Akt grenzüberschreitender Piraterie und Geiselnahme, der vor knapp einem Jahrzehnt die Gemüter erregte und das mediale Sommerloch füllte. Am Ostermontag, dem 23. April 2000, entführte eine Gruppe junger Filipinos 21 überwiegend aus Westeuropa stammende Touristen aus einem Urlaubsressort auf der ostmalaysischen Insel Sipadan. Mit ihren Schnellbooten foppten die Entführer sowohl die malaysische als auch die philippinische Küstenwache und schipperten ihre Geiseln durch die Sulu-See auf die Insel Jolo. Dort vergingen mehr als vier Monate, bis sämtliche Geiseln - darunter auch drei Mitglieder der Göttinger Familie Wallert - nach hoher Lösegeldzahlung wieder auf freien Fuß kamen. Bevor auch nur Näheres über den Tathergang bekannt war, waren die Täter bereits ausgemacht - »islamistische Terroristen«, »Moro-Sezessionisten«, »muslimische Piraten« und »moslemische Rebellen«.

Strapazierte Feindbilder

So schwadronierte der ARD-Korrespondent Hartmut Idzko am 25. April 2000 in der 20 Uhr-Tagesschau über den »Rebellenführer Abu Sayyaf« als Drahtzieher dieser spektakulären Entführung aus Sipadan. Das war so präzise, als hätte im Gegenzug ein Moro den ARD-Mann mit »Mr. Hartmut Tagesschau« begrüßt. Es dauerte einige Zeit, bis die Medien begriffen, daß hinter der Geiselnahme die sich Abu Sayyaf nennende Gruppe1 stand, deren damaliger Anführer Khaddafy Janjalani war. Günter Ederer, von 1985 bis 1990 ZDF-Korrespondent in Ostasien, gelang in einem Beitrag für Die Welt (4. Mai 2000) mühelos ein Rückfall hinter Karl May. Darin schrieb er über die Kidnapper: »(...) fasziniert mich am meisten, wie der wilde und unzivilisierte Stamm der Tausugs (...) es geschafft hat, seine Räuberei und Piraterie international als islamischen Aufstand hoffähig zu machen.« Ederers Beitrag zierte ein postkolonialen Charme ausstrahlendes Privatfoto, das ihn zusammen mit waschechten Piraten zeigte. Zig Artikel ähnlicher »Qualität« waren im Sommer 2000 en vogue. Sie alle zeichneten sich aus durch eine eigentümliche Verschränkung von latentem Rassismus, missionarischem Sendungsbewußtsein der »westlichen Wertegemeinschaft«, projizierten Feindbildern und purer Ignoranz. Daß gleichzeitig der fromm-katholische Präsident der Philippinen, Joseph E. Estrada, auf der nordöstlich vor Jolo gelegenen Insel Mindanao gegen die Moro Islamische Befreiungsfront (MILF) »totalen Krieg« führte, hielt keiner der in die Krisenregion angereisten Medienvertreter auch nur für erwähnenswert. Dem dünnbreiigen Medienmainstream war mehr daran gelegen, den Puls der Jolo-Geiseln zu fühlen, als über das Schicksal von über einer halben Million interner Flüchtlinge zu berichten, die über Nacht zu »Kollateralschäden« einer staatsterroristischen Politik wurden.

»Moros« nannten die spanischen Kolonialisten in Anlehnung an das lateinische Wort »Mauros« (für die Bewohner der einst römischen Provinz Mauritania im Nordwesten Afrikas) abschätzig alle, die Muslime waren oder die sie dafür hielten. Statt von »Moros« wurde auch synonym von »Banditen« und »Piraten« gesprochen. Und als solche galten alle, die seit Beginn des 16. Jahrhunderts die damalige Weltordnung nicht als sakrosankt hinnahmen. Anfang Juni 1494 schlichtete Papst Alexander VI. im Vertrag von Tordesillas schwelende Konflikte zwischen den dominanten Handels- und Seemächten Portugal und Spanien um neuentdeckte und noch zu entdeckende Gebiete, indem er mittels einer willkürlichen Trennungslinie die Welt in zwei Herrschaftssphären aufteilte, in denen fortan beide Protagonisten nach Gusto schalten und walten konnten. Natürlich änderte sich das Bild, als den beiden Imperien später mit Holland, Britan­nien, Frankreich - und noch später mit den USA und dem Deutschen Kaiserreich - formidable Konkurrenten erwuchsen. Vor allem die an europäischen Herrschaftshäusern beliebten Erzeugnisse wie Gewürze, Seide, Porzellan und Edelsteine weckten Begehrlichkeiten und erforderten gleichzeitig die Absicherung der entsprechenden Transportwege. In Südostasien, wo Portugal mit Malakka (im heutigen Malaysia), Macao und Portugiesisch-Timor (heute Osttimor) Flagge zeigte, und in jenem Archipel, den der Rivale Spanien nach dem Thronfolger und späteren König Philipp II. die Philippinen getauft und sich unter den Nagel gerissen hatte, ging es fortan um die Absicherung von kolonialen Pfründen und königlichen Privilegien. Allesamt Regionen, die keineswegs unbewohnt und herrenlos waren, sondern lange vor dem Advent der europäischen Kolonialisten einen regen Handelsaustausch mit China, Japan, Indien und Arabien pflegten.

»Wohlwollende Assimilierung«

Seit etwa 1380 unserer Zeitrechnung setzte die Islamisierung des Gebiets der heutigen Südphilippinen ein. In Jolo und in Maguindanao (Mindanao) entstanden Sultanate mit ausgeprägten hierarchischen Strukturen, die ihrerseits verwandtschaftlich mit den Herrschern auf Borneo verbunden waren. Höchstes Ansehen genoß die dominante Klasse der Aristokratie, der Beamten sowie der Geistlichen und Gelehrten. Auf der untersten sozialen Stufe befanden sich die in militärischen Beutezügen eingefangenen Sklaven, denen eigener Besitz verwehrt blieb. Deren Arbeit bildete den Eckpfeiler des Militärapparates der die Sulu-See dominierenden Tausug. Diese präkoloniale Gesellschaft schuf im Prozeß der Ausweitung von Handel, Schiffahrt und exportorientierter Produktion die Basis für eine engere Verquickung von Landbesitz mit Handelskapital. Chinesische Handelsgüter wurden von Dschunken nach Manila transportiert, das, bevor die Kolonialmacht Spanien die Stadt 1571 zu ihrem Hauptsitz erkor, eine mit Palisaden befestigte muslimische Siedlung war. Von Manila aus gelangten die Waren auf wendigen Auslegerbooten und seetüchtigen Prahus weiter südlich nach Cebu und Borneo bis in die Molukken, dem eigentlichen Zentrum des Gewürzhandels.

Trotz der spanischen Flottenpräsenz vermochten »Moro-Piraten« allein im Zeitraum von 1599 bis 1604 pro Jahr durchschnittlich 800 Gefangene zu machen. Wenngleich es der Kolonialmacht nicht glückte, Mindanao und die Sulu-See unter ihr Joch zu zwingen, kam es lediglich zu einer Blockade ohne Eroberung. Durch kolo­nialen Druck in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt, fiel das Handelskapital auf eine lokale Stufe zurück. Schiffsbauer und Navigatoren wurden zu Piraten, ständige Kriegshandlungen ließen die landwirtschaftliche Produktion sinken, was zur weiteren Militarisierung beitrug. Erst der neuen, waffentechnologisch allen Kontrahenten haushoch überlegenen Kolonialmacht USA gelang es ab 1898, die Philippinen im Namen von »wohlwollender Assimilierung« zu beherrschen und auch die Moros in blutigen Feldzügen zu »befrieden und zu entwickeln«.

Was die neuen Kolonialherren unter Entwicklung verstanden, verdeutlichten US-Truppenkommandeure auf Mindanao und Sulu: »Es wird notwendig sein«, so hieß es beispielsweise im Jahresbericht 1903 von US-Generalmajor George W. Davis, »nahezu sämtliche Bräuche auszumerzen, welche bislang das Leben (der Moros) auszeichneten. Sie sind ein grundlegend verschiedenes Volk; von uns unterscheiden sie sich in Gedanken, Worten und Taten, und ihre Religion wird eine ernste Hürde bei unseren Bestrebungen darstellen, sie im Sinne des Christentums zu zivilisieren. Solange der Mohammedanismus vorherrscht, kann der angelsächsischen Zivilisation nur mühsam der Weg geebnet werden«.

Als US-Präsident Theodore Roosevelt die »Insurrektion« offiziell am 4. Juli 1902 für beendet erklärte, hatte buchstäblich ein Zehntel der damals etwa sechs Millionen Einwohner zählenden philippinischen Bevölkerung gewaltsam den Tod gefunden. Diese erste militärische US-Intervention in Asien und eines der größten Kolonialmassaker in der Geschichte - in Washington beschönigend »wohlwollende Assimilierung« genannt- sah laut Untersuchungen des amerikanischen Kongresses knapp 127000 US-Soldaten im Fronteinsatz, von denen 4234 Mann fielen. Zu den »Pazifizierungs«-Methoden zählten sogenannte strategische Wehrdörfer, Freifeuerzonen, systematische Such-und-Zerstör-Aktionen, Nahrungsmittelblockaden und planmäßiges Massakrieren von Zivilisten. Flankiert wurde diese Haudegenpolitik von drakonischen Bestimmungen wie dem Brigandage Act (1902). Dieser stufte Widerstandskämpfer als »ladrones« (Diebe, Wegelagerer) ein, worauf die Todesstrafe und für Helfershelfer eine zehnjährige Haftstrafe stand.

»Schlupfwinkel für Terroristen«

Für Manila bedeuteten das Geiseldrama von 2000 und damit zusammenhängende Aspekte nationaler Sicherheit und regionaler Counterinsurgency eine engere Anbindung an die alte Kolonialmacht USA. Dies zeigte sich in dem innigen Verhältnis, das Estradas Nachfolgerin, Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo, mit dem zeitgleich (Ende Januar 2001) ins Weiße Haus eingezogenen US-Präsidenten George W. Bush pflegte. Vor allem einte beide der Kampf gegen den »Terror« - erst recht nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Bush ließ unmittelbar danach die Abu Sayyaf auf die erste Liste von 27 weltweit operierenden »Terrororganisationen« setzen. Seit Januar 2002 gaben sich hochrangige US-amerikanische Politiker, Geheimdienststrategen und Militärs in Manila buchstäblich die Klinke in die Hand, um ein regionales Krisenmanagement zu planen. Für die Bush-Administration war Südostasien - so wörtlich - die »neue Zufluchtstätte für Terroristen« (»new haven for terrorists«). Und dort sind die Philippinen als einstiges koloniales Objekt auch in postkolonialen Zeiten der verläßlichste Brückenkopf. Aus Afghanistan, erläuterte der damalige CIA-Direktor George Tenet dem U.S. Senate Armed Services Committee Ende März 2002, hätten sich etliche Al-Qaida-Kämpfer und Gefolgsleute Osama bin Ladens auf die Philippinen, nach Malaysia und Indonesien abgesetzt, deren Küstenstreifen nicht ausreichend kontrolliert würden. Um eben diese Kontrolle künftig zu erhöhen, war kurz zuvor FBI-Direktor Robert Mueller in die Hauptstädte Manila, Kuala Lumpur und Jakarta gereist. Mit ihren über 17500 beziehungsweise 7000 Inseln böten das insulare Südostasien, nämlich Indonesien und die Philippinen, »ideale Schlupfwinkel für Piraten und Terroristen«.

Brutherde der Piraterie waren vor allem Aceh (Nordwestindonesien), Mindanao (Südphilippinen) und Pattani (Südthailand) - allesamt von extremer Armut gezeichnete Regionen, wo es dem Gros der Menschen um kaum mehr als das nackte Überleben geht. Indizien deuteten darauf hin, daß zumindest zeitweilig die Bewegung Freies Aceh (GAM) durch das Kapern von Schiffen und die Geiselnahme von deren Besatzungen Lösegelder zur Finanzierung ihres Kampfes für Unabhängigkeit erpreßte. Gleichermaßen schienen auch indonesische Militär- und Zolleinheiten aktiv in Piratenakte in der Malakka- und Singapurstraße verwickelt gewesen zu sein. Überfälle fanden häufig innerhalb der indonesischen Territorialgewässer statt, um Komplikationen mit den Anrainern zu vermeiden. Mit Ausbruch der sogenannten Asien­krise (Sommer 1997) und dem Abgang des langjährigen Diktators Suharto (Mai 1998) sowie zeitweilig drohenden Zerfallserscheinungen des Zentralstaates häuften sich Akte der Piraterie.

Öl- und Sicherheitsinteressen

Vor allem der an Rohstoffen reiche Süden der Philippinen ist in den vergangenen Jahren verstärkt ins Blickfeld geopolitischer, militärstrategischer und ökonomischer Interessen gerückt. Dort werden neben Gold-, Diamanten- und Kupfervorkommen in den Gewässern um Palawan, im Sulu Sea Basin sowie in der Reed Bank und im Cotabato Basin beträchtliche Öl- und Gasvorkommen vermutet. Die im texanischen Austin beheimatete Strategic Forecasting Inc. (kurz: STRATFOR) befürwortet den Aufbau eines US-Militärstützpunktes in Sarangani Bay, während US-Verteidigungsminister Robert Gates bereits am 22. August 2009 Nägel mit Köpfen machte und ankündigte, im Süden der Philippinen auf Dauer eine 600 Mann starke Eliteeinheit zu stationieren. Dieses Kontingent, so Gates, benötige man, um die Abu Sayyaf wirksam zu bekämpfen. Kritiker vermuten indes, daß die US-Truppe den philippinischen Streitkräften bei ihrer Aufstandsbekämpfung gegen die Neue Volksarmee, die Guerilla der Kommunistischen Partei, und bewaffnete Kämpfer der für Selbstbestimmung eintretenden MILF Hilfestellung leisten soll.

Bedeutsame US-amerikanische Ölfirmen wie Hess Corporation beziehungsweise Amerada Hess Corporation, Marathon Oil Corporation, Hunt Oil Company Inc., die Occidental Petroleum Corporation, Crestone Energy Corporation, Exxon Mobil Corporation, Amoco (American Oil Company), ARCO (Atlantic Richfield Company) und VAALCO Energy Inc. sind in höchstem Maße daran interessiert, in Mindanao, der Sulu-See, Palawan sowie auf den angrenzenden Spratly- und Paracelinseln ins Geschäft einzusteigen. Doch die beiden letztgenannten und zur Kontrolle des Südchinesischen Meeres bedeutsamen Inselgruppen werden teilweise oder in ihrer Gesamtheit von sechs Ländern beansprucht - der VR China, Malaysia, den Philippinen, Taiwan, Vietnam und dem Sultanat Brunei. Allein das Blue Dragon Oil Field im Südchinesischen Meer soll über ein Reservoir von mehr als 500 Mil­liarden Barrel verfügen, über das Peking während der Ära von Bush junior im Clinch mit Washington lag.

Nadelöhr Malakka

Am gefährlichsten bleiben in der Region die Gewässer in der Straße von Malakka und dem Südchinesischen Meer, wo von 1995 bis 2003 mit 1240 Seeräuberangriffen mehr als die Hälfte der weltweiten Überfälle registriert wurden. Die Straße von Malakka, die sich zwischen der malaysischen Halbinsel und Sumatra erstreckt, ist eine strategische Meeresstraße, die den Indischen Ozean mit dem Pazifik über die Andamanen-See und das Südchinesische Meer verbindet. Der größere Teil der Straße verläuft durch die Territorialgewässer von Indonesien, Malaysia und Thailand sowie der Straße von Singapur. Zahlreiche Schiffswracks, heftige Wasserströmungen sowie Platzregen in der Regenzeit erschweren die Schiffahrt in dieser Region. Diese seit Jahrhunderten bedeutsame Route zwischen West und Ost wurde allein im vergangenen Jahr von über 70000 Schiffen befahren. Tendenz stark steigend - bis 2020 soll sich diese Zahl auf 141000 Schiffspassagen verdoppeln. Mehr als ein Drittel der internationalen Schiffsflotte nutzt diese Straße. Fast ein Viertel des Welthandels, ein Drittel des Erdgases und über die Hälfte des auf Meeren transportierten Öls passieren diese Meerengen. Durch diese Gewässer verlaufen auch Japans und Südkoreas (beide rohstoffarme Länder) ökonomische Lebensadern: Rohöl aus Nah- und Mittelost, industrielle Rohstoffe aus Indonesien und Kontinental-Südostasien sowie deren Exporte in die ganze Welt.

Die wachsende Nachfrage Chinas nach importiertem Öl wird die Bedeutung dieser Straße in den nächsten Jahren erheblich erhöhen. Singapur rangiert nach Tonnage als weltweit wichtigster Hafen und dient als Umschlagplatz von gut 90 Prozent des regionalen Frachtguts (mit knapp 30 Millionen Containerverladungen im Jahr 2008), das für die südostasiatischen Nebenhäfen bestimmt ist. Singapur begrüßt deshalb nachdrücklich die seit 2006 von Washington im Rahmen seines Globalen Trainings- und Ausrüstungsprogramms geleistete Hilfe in Höhe von knapp 80 Millionen Dollar für zusätzliche Radar- und Überwachungsstationen an Indonesien, Malaysia und die Philippinen, um deren maritime Sicherheit zu erhöhen und ihnen im »Kampf gegen den Terror« beizustehen.

Regionalpolitiker und Militärstrategen haben wiederholt ein Horrorszenario an die Wand gemalt: Gelänge es, so beispielsweise der Direktor für Auslandsbeziehungen der Asia Foundation in Wa­shington, John J. Brandon, mit modernsten automatischen Schnellfeuerwaffen, Sprengstoff, Boden-Luft-Raketen, Antischiffsminen, leichte Mörser und Raketenmunition ausgestatteten Piraten einen mit Erdöl oder Flüssiggas beladenen Supertanker zu kapern und in die Luft zu sprengen, bedeutete dies nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine ökologische Katastrophe - mit verheerenden Konsequenzen für die Weltwirtschaft und den globalen Umweltschutz. Der regierungsnahen Asia Foundation geht es freilich darum, solche Szenarien politisch zu instrumentalisieren und einer verstärkten und dauerhaften US-amerikanischen Flottenpräsenz in dieser Region das Wort zu reden.



Erhöhte Gewaltbereitschaft auf See

Das International Maritime Bureau (IMB) in London, 1981 als eine Unterabteilung der in Paris ansässigen Internationalen Handelskammer (ICC) gegründet, erfaßt als Sondereinheit der auf internationale Kriminalitätsbekämpfung spezialisierten Commercial Crime Services (CCS) weltweit alle relevanten Daten über Piraterie und Verbrechen auf den Weltmeeren. Von 1990 bis 1992 bezeichnete das IMB die Seegebiete in den Straßen von Malakka und Singapur als gefährlichste maritime Zone. Die beiden Meerengen werden täglich von 150 bis 900 Schiffen aller Größen und Typen durchfahren. Sandbänke, Wracks und die engste Stelle der Malakka-Straße zwingen Schiffe, langsam zu fahren. Damit werden sie zu einer leichten Beute. Mehr als die Hälfte aller Piratenüberfälle zwischen 1990 und 1992 ereignete sich in diesen Seegebieten. Zwischen 1993 und 1995 verlagerte sich der Schwerpunkt der Piratenaktivitäten in das Südchinesische Meer, die Territorialgewässer um Hongkong und Macao sowie das Dreieck zwischen Hongkong, Luzon (Nordphilippinen) und der Insel Hainan (China). Lloyd's Register in London schätzt die Gesamtzahl der Piraten in chinesischen Gewässern auf 20 000. »Shipjacking« mit dem Ziel, die Ladung eines entführten Schiffes illegal zu veräußern und anschließend das gekaperte Schiff mit neuen Ausweispapieren und unter neuer Flagge weiterhin einzusetzen, definiert das IMB als »major criminal hijack« (MCHJ), als größtes auf den Weltmeeren begangenes Verbrechen.

Eine Außenstelle des IMB ist das 1992 in der malaysischen Hauptstadt Kuala Lumpur eingerichtete Piracy Reporting Centre (PRC). Dieses ermöglicht Schiffseignern, Vorfälle jederzeit und von jedem Ort aus zu melden, es erteilt Warnungen, steht Schiffsbesatzungen bei Überfällen mit Rat zur Seite und koordiniert medizinische Hilfe sowie die Unterstützung der zuständigen lokalen Behörden. Überdies ermittelt das PRC wöchentlich Daten und Zahlen über Vorfälle von Piraterie, auf deren Grundlage das IMB sodann Quartals- und Jahresberichte erstellt und publiziert. Im vergangenen Jahrzehnt verdreifachte sich die Zahl von Piraterieüberfällen, wobei das IMB die unmittelbaren jährlichen Schäden an Schiffen und Fracht auf rund 200 Millionen Euro und die Gesamtsumme inklusive höherer Versicherungspolicen auf nahezu 16 Milliarden US-Dollar schätzt.

Laut IMB-Direktor Captain Pottengal Mukundan waren im Sommer 2008 die vier internationalen maritimen Hochrisikogebiete die Gewässer nahe der nigerianischen Hafenstadt Lagos, die Küste Somalias einschließlich des Golfs von Aden, Indien und Indonesien. Im Jahr 2007 registrierte das IMB weltweit 263 Überfälle, 24 mehr als im Vorjahr. Überdies sind die Piraten besser bewaffnet als je zuvor und führen ihre Angriffe immer brutaler aus: 2007 wurden von den Freibeutern 35 Prozent mehr Schußwaffen als im Vorjahreszeitraum eingesetzt. 64 Seeleute wurden verletzt oder tätlich angegriffen, 2006 waren es 17. Genaue Statistiken gibt es dennoch nicht, da zahlreiche Reedereien Piratenübergriffe gar nicht erst melden. Sie fürchten entweder langwierige Untersuchungen, deren Kosten den angerichteten Schaden möglicherweise übersteigen, und eine drastische Erhöhung der Versicherungsprämien oder eine schlechte Publicity in den Medien.

[1] Abu Sayyaf (Vater des Scharfrichters), Ende der 1980er Jahre aus in Afghanistan ausgebildeten Kämpfern hervorgegangen, »akquirierte« die Gruppe allein nach der Freilassung der westlichen Geiseln auf Jolo bis September 2000mal Lösegelder in Höhe von zirka einer Milliarde Peso, damals umgerechnet rund 50 Millionen DM

* Aus: junge Welt, 22. Dezember 2009


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