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Ruhe vor dem nächsten Sturm?

Anti-Piraten-Einsatz: Deutsche Marinesoldaten begleiten Somalia-Hilfsfrachter nun auch ohne Schutz von Kriegsschiffen

Von René Heilig *

Etwas später als normal geht derzeit die stürmische Monsunzeit zu Ende. Beginnt damit nun wieder die Hochzeit der Piraten vor Somalia? Anders als in anderen Jahren bleiben Experten gelassen.

Ein Glas Tee kostet wieder fünf Cent. Noch im vergangenen Jahr musste man in den somalischen Küstenorten das Zehnfache dafür zahlen. Geheimdienst- und andere Sicherheitsexperten im Westen verweisen zudem auf den Rückzug der Huren, wenn sie mit aller Vorsicht ein mögliches Ende des somalischen Piratenunwesen prognostizieren. Das Gewerbe zieht dem Geld nach und das wird zumindest derzeit nicht auf dem Meer »verdient«.

Die örtlichen Verwaltungsbeamten sind - nachdem sie zunächst begeistert waren über die Kaufkraftzunahme in ihren Regionen - nun sehr zufrieden, dass der Piratenboom abebbt. Die plötzliche Geldschwemme hat die Inflation in die Höhe getrieben. Die wird jetzt gebändigt, dafür wächst wieder die Arbeitslosigkeit.

Doch noch gibt es ja Piraten. Die Besatzung eines Speedbootes des niederländischen Docklandungsschiffes »Rotterdam« kann das bestätigen. Als die Marinesoldaten bei einer Aufklärungsfahrt an der Nordküste der Region Puntland unterwegs waren, wurde das Boot beschossen. Verletzte oder gar Tote gab es zwar nicht zu beklagen, doch hat man das Achtungszeichen wohl verstanden. Nach dem die Marinesoldaten der EU-Anti-Piraten-Operation »Atalanta« im Mai das Mandat erhalten hatten, Piraten auf fremdem Territorium zu verfolgen, hat es wohl einige Aktionen dieser Art gegeben.

Jacqueline Sherriff ist Britin, Oberstleutnant und Sprecherin der EU-Anti-Piraten-Einheiten. Neben dem Lob für die gute Zusammenarbeit mit Besatzungen aus den USA, China, Indien und Russland betonte sie jüngst die Wirkung solcher - in der EU kaum beachteten - Landattacken, bei denen Waffen, Ausrüstung und Treibstoff zerstört wurden. Und noch etwas hebt sie lobend hervor: Bislang wurde noch kein Schiff gekapert, das ein bewaffnetes Team an Bord hatte. Der Verband Deutscher Reeder bestätigt, dass viele Eigner private Schutztruppen anheuern.

Ein Schwerpunkt der Mission »Atalanta« ist dagegen der militärische Schutz von Schiffen des Welternährungsprogramms. Auch deutsche Kriegsschiffe haben bereits mehrfach derartige Frachter mit Hilfsgütern nach Somalia eskortiert. Nun kommt eine neue Aufgabe hinzu. Seit gestern - so gab der niederländische Verteidigungsminister Hans Hillen vor seinem Parlament bekannt - übernehmen die Deutschen von den Niederländern den Schutz solcher Schiffe mit so genannten Autonomous Vessel Protection Detachments (AVPD).

Das A - wie autonom - macht den Unterschied. AVPD sind auf sich selbst gestellt. Bislang hatte die Deutsche Marine nur sogenannte Vessel Protection Detachments (VPD) gestellt. Insgesamt sind rund 200 Soldaten und Soldatinnen für den Job qualifiziert. Ein Detachment besteht aus zwölf Angehörigen der Marineschutzkräfte aus Eckernförde. Sie sind immer abgesichert durch ein in der Nähe kreuzendes Marineschiff, das im Notfall eingreifen und die medizinische Versorgung sicherstellen kann. Doch diese Variante ist teuer. Zudem hat die Marine nicht genügend taugliche Schiffe in Fahrt. Also bildet man besagte autonome Teams, die aus 18 Soldaten bestehen, einer ist Militärarzt.

Der niederländische Verteidigungsminister räumte ein, dass es ein wenig schwierig gewesen sei, unter den EU-Verbündeten einen Nachfolger für diese Art Transportsicherung zu finden. Die meisten Staaten, die an »Atalanta« teilnehmen, hätten sich das nicht zugetraut. Man darf bezweifeln, ob die Ablehnung mit Zutrauen zu tun hat. Wohl eher scheut man das zusätzliche Risiko.

Das erste Schiff, das ein deutsches AVPD an Bord nimmt, ist die »Caroline Scan«. Der Billig-Flaggen-Frachter wird am 11. Oktober in Mombasa (Kenia) erwartet.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 02. Oktober 2012


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