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Waffenschiebereien und viel Bakschisch – der zweifelhafte Schutz vor Piraten durch private Sicherheitsunternehmen

Ein Beitrag von Jasmin Klofta und Anne Ruprecht in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien"

Bernd Musch-Borowska (Moderation):
Um verdeckten Waffenhandel im weitesten Sinne geht es auch in unserem ersten Beitrag. Private Sicherheitsleute, die auf Handelsschiffen zum Schutz vor Piraten eingesetzt werden, führen nämlich auch Waffen mit sich. Und das in vielen Fällen ohne entsprechende Genehmigungen. Wenn ein solches Handelsschiff dann einen ausländischen Hafen anläuft, macht sich der Kapitän mitunter strafbar, weil er in bestimmten Fällen gegen das Verbot der Einfuhr von Waffen verstoßen hat. Dabei sind die Kapitäne selbst machtlos gegen die Sicherheitsfirmen, die in der Regel von den Reedereien angeheuert wurden und ihre Arbeit nach ihren eigenen Regeln machen. Jasmin Klofta und Anne Ruprecht berichten:


Manuskript Jasmin Klofta/Anne Ruprecht

Es war eine ruhige Fahrt durch den Indischen Ozean für das deutsche Handelsschiff – bis sich kleine Boote näherten. Ob es nur Fischer waren oder Piraten, konnte nicht geklärt werden. Dann sei die Situation eskaliert– durch die privaten Sicherheitskräfte an Bord, sagte der Kapitän, der aus Angst seine Arbeit zu verlieren, unerkannt bleiben will – seine Stimme wird nachgesprochen:

Zitat
„Die Sicherheitskräfte stürmten los und riefen mir nur zu: wir schießen jetzt! Dann gab es keine einzelnen Warnschüsse, wie eigentlich vorgeschrieben, sondern alle schossen sofort gleichzeitig immer in Richtung Boot – wie im Schießrausch.“

Die bewaffneten Sicherheitskräfte, die eigentlich zum Schutz gegen Piraten mitfahren, wurden selbst zur Gefahr. Der Kapitän versuchte verzweifelt und erfolglos, die schießwütigen Männer zu stoppen. Am Ende bleib ihm nur eines: er erhöht auf maximale Geschwindigkeit, und fuhr den kleinen Booten davon. Ob es wirklich Piraten waren, weiß er bis heute nicht.

Zitat
„Wenn es tatsächlich zu Toten und Verletzten gekommen wäre - egal ob eigene Besatzungsmitglieder durch Querschläger oder Menschen auf diesen Booten – ich hätte es nicht verhindern können.“

Zwar trägt der Kapitän die juristische Verantwortung an Bord - doch nicht er, sondern die Reederei hat die Sicherheitskräfte ausgewählt. Von den vier Sicherheitsleuten waren drei vorher offenbar arbeitslos gewesen und per Zeitungsannonce aus einem kleinen Dorf in Osteuropa rekrutiert worden. Nur einer konnte ein paar Brocken Englisch sprechen, sagt der Kapitän. Solche Ramsch-Teams an Bord von Handelsschiffen seien leider kein Einzelfall bestätigt Horst Rütten, Geschäftsführer der Hamburger Firma I.B.S., einem Anbieter für Maritime Sicherheit.

O-Ton Rütten
„Das größte Problem auf dem Markt ist, dass die Zugangsvoraussetzung relativ einfach sind, in diesem Bereich. Es kann sich faktisch jeder eine Maritime-Sicherheitsfirma gründen und diese Dienstleistung anbieten, ohne dass im weitesten Sinne er eine Qualifikation nachweisen muss und zwar behördlicherseits.“

Es ist ein ständig wachsender Markt. Denn die Gefahr durch Piraterie beschränkt sich schon lange nicht mehr auf die Küstengewässer vor Somalia. Allein in diesem Jahr hat das Internationale Schifffahrtsbüro in seinem Live Piracy Report schon mehr als 160 Piraten-Angriffe registriert. Die Nachfrage nach bewaffnetem Schutz sei größer als das Angebot von qualifizierten Leuten, sagt Horst Rütten.

O-Ton Rütten
„Am Ende aller Tage ist es dann so, dass faktisch in Anführungsstrichen jeder genommen wird, sofern er den Weg an Bord findet und eine Waffe halten kann. Und das führt dann dazu, dass dort dann die Professionalität leidet.“

Nicht nur die Auswahl des Personals ist fragwürdig. Wenn die nötigen Genehmigungen fehlen, würden immer wieder Waffen illegal erworben, illegal an Bord gebracht und illegal entsorgt, kritisiert Horst Rütten. Mit einem einfachen Trick.

O-Ton Rütten
„Eine Waffe, die ich mir ohne Lizenz in einem Drittstaat besorgt habe, gekauft habe, die also offiziell nicht registriert habe, die vermisst natürlich auch niemand, also es ist relativ einfach, die über Bord zu werfen, dann im Wasser zu versenken und unbewaffnet von Bord zu gehen.“

Selbst diese Art von „Waffenentsorgung“ scheint sich zu rechnen. Denn auf dem Schwarzmarkt, etwa in Jemen, sind Waffen schon für ein paar Hundert Euro zu haben. Ein klares Prozedere für die Waffenlogistik gebe es nicht, sagt der Sicherheitsberater Dirk Steffen. Der ehemalige Marine-Offizier berät Reedereien bei der Auswahl von Sicherheitsfirmen.

O-Ton Steffen
„Grundsätzlich kann ich mit meinen Waffen aus Deutschland in den Indischen Ozean fliegen, das ist völlig legitim, die vorläufig einführen, am Hafen sie an Bord des Schiffes bringen, an einem anderen Hafen wieder ausschiffen und sie mit dem Flugzeug samt Munition wieder mitnehmen. Das ist rechtlich möglich, ist relativ anspruchsvoll.“

Das sei vielen Firmen aber zu anspruchsvoll und aufwendig, sagt Dirk Steffen. Einige Länder im Risikogebiet bieten Alternativen.

O-Ton Steffen
„Deshalb haben einige Staaten wie Dschibuti eine Art Agenten beauftragt, die genau wissen, wo man Waffen lagern kann, gegen eine Gebühr und dann kann man seine Waffen dort anfordern. Der Agent bringt diese Waffen dann an Bord des Schiffes und kümmert sich auch um die papiermäßige Abwicklung und wenn die Waffen dann wieder zurückkommen, werden sie dann wieder eingelagert im Depot.“

Von ihnen können Sicherheitsfirmen auch Waffen mieten, zum Teil direkt aus den Beständen der Streitkräfte - wie offenbar in Sri Lanka. Und das alles lassen sich die Länder gut bezahlen. Die Preise seien in den vergangenen Jahren stark gestiegen, sagt Richard Fillon, der früher Soldat einer Eliteeinheit der Royal Navy war und heute als Sicherheitsberater arbeitet.

O-Ton Fillon (overvoice):
„In Dschibuti waren es vor einem Jahr 15.000 Dollar pro Monat für die Lizenz, um dort Waffen im Hafen zu lagern. Und Jemen und Oman haben ähnliche Preise. Aber ja – solange sich das für die Sicherheitsfirmen lohnt.“

Immer mehr Waffen kommen in dieser Region dadurch in den Umlauf kritisiert Kerstin Petretto vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik.

O-Ton Petretto
„Die Folgen für die Region sind natürlich vielfältig. Zum einen kommen noch mehr Waffen ins Land oder es wird der ohnehin sehr rege Waffenhandel in der Region noch zusätzlich angeheizt dadurch. // Private Sicherheitsfirmen// schaffen hier gerade einen neuen Markt, der sich in dieser Region etabliert, in einer Region, wo man gerade versucht staatliche Strukturen in diesem Bereich aufbauen.“

Einige Firmen aber wollen ihre Waffen weder direkt einfliegen, noch ihre Waffen in teuren Depots lagern. Um all das zu umgehen, habe sich die Sicherheitsbranche nun ihre eigene Infrastruktur auf hoher See geschaffen: sogenannte floating armories - schwimmende Waffenlager. Dort können Waffen gemietet oder Teams zwischengeparkt werden, erklärt Horst Rütten.

O-Ton Rütten
„Als Beispiel: Es gibt floating armories vor den Vereinigten Arabischen Emiraten. Wenn ich also ein Team von einem Handelsschiff runternehmen möchte, möchte das ausschiffen, darf aber mit dem Team und der Bewaffnung nicht in die vereinigte arabische Emirate einreisen, dann parke ich diese Herren und die Waffen einfach auf diesen floating armories zwischen, bis zum nächsten Transit, bis man sie an Bord auf ein anderen Schiffes verlege.“

Diese schwimmenden Waffenlager befinden sich nicht in Territorialgewässern eines Staates, sondern auf hoher See. Hier ist allein der Flaggenstaat entscheidend. Angeblich fahren viele Floating Armories unter einer Flagge wie z.B. der Mongolei, die eher als „weiche Flagge“, d.h. als Flagge mit wenig Kontrollen gilt. Rund zehn solcher schwimmenden Waffenlager soll es im Risikogebiet geben. Kerstin Petretto, vom Hamburger Institut für Friedensforschung sieht die floating armories kritisch:

O-Ton Petretto
„Das Problem mit den floating armories ist, dass wir eben schwimmende Waffenlager haben, die natürlich, die keinerlei Hochheitsgebiet, keinerlei staatlicher Kontrollen unterliegen. Das alles ist nicht überprüfbar und wir befinden uns hier in einer Grauzone, bei der wir nicht wissen, wie sich das Ganze entwickelt.“

Vor allem internationale Firmen wie z.B. „Sea Marshals“ oder „Maritime Guard“ bieten bislang solche Dienste an. Über ihren Service wollen diese Unternehmen aber nicht so gerne sprechen. Doch selbst in der Branche wird Kritik an dieser neuen Infrastruktur laut. Horst Rütten:

O-Ton Rütten
„Es eröffnet natürlich auch Möglichkeiten, gerade für Firmen die legal keine Waffen besitzen dürfen. Da werden Menschen mit Waffen bestückt, die vielleicht unter legalen Umständen nie eine Waffe bekommen würden, das ist die große Gefahr dabei.“

Ramschteams an Bord von deutschen Schiffen, Waffenschieberein in der Grauzone. Die deutschen Schiffseigner sind mit der Situation überfordert, sagt Ralf Nagel vom Verband Deutscher Reeder. Er sieht die Bundesregierung in der Pflicht.

O-Ton Nagel
„Wir sind nicht diejenigen, die wirklich das Wissen haben können, welches Unternehmen ist seriös. Deshalb drängen wir die Bundesregierung darauf, wenn sie uns schon nicht den Polizisten oder Soldaten schickt, wenigstens eine Liste von staatlich zugelassenen Sicherheitsunternehmen organisiert, aus denen unsere Unternehmen dann auswählen können. Damit das nicht passiert, was offensichtlich hin und wieder stattfindet.“

Tatsächlich plant das zuständige Bundeswirtschaftsministerium ein Zulassungsverfahren für private Sicherheitsfirmen. Eine Änderung der Gewerbeordnung soll dafür sorgen, dass zukünftig nur noch qualifizierte Sicherheitsfirmen an Bord von deutschen Schiffen gelangen. Doch es bleibt fraglich, ob sich so wirklich kontrollieren lässt, was weit weg auf hoher See passiert. Denn die Qualifikation von Firmen soll nur anhand der Papierlage geprüft werden.

* Aus: NDR Info Das Forum, STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 16.07.2012; www.ndrinfo.de


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