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Bundeswehr und Drahtrollen an Bord

Auf der maritimen Messe SMM in Hamburg wurden die neuesten Trends in Sachen Piratenabwehr zur Schau gestellt

Von Hermannus Pfeiffer, Hamburg *

Zur Piratenabwehr setzen deutsche Reeder auf Selbsthilfe - ein Besuch auf der maritimen Leitmesse SMM.

»Unser Firmenname geht auf die alten Römer zurück«, sagt Sven Fürüs stolz. Er ist Geschäftsführer bei Lex Gabinia, einem in Darmstadt ansässigen Spezialisten für Sicherheitstechnik. Der römische Volkstribun Aulus Gabinius hatte im Jahr 67 v. u. Z. das erste Gesetz gegen Piraten durchgeboxt, die »Lex Gabinia«. Es ermächtigte Roms Marine, mit allen Mitteln die Piraten im Mittelmeer zu bekämpfen. Heute ist das Anti-Piraten-Mittel der Wahl für Herrn Fürüs Stacheldraht. Allerdings nicht »NATO-Draht«, der nach drei Monaten verrostet ist, sondern scharfkantiger Draht aus Edelstahl. Der Clou: Der Draht verschwindet in einer Trommel, die bei Bedarf wie eine Ziehharmonika entlang eines Seils auseinander gezogen wird, um die Bordwand abzudecken. »Ausgefahren macht das Sicherheitssystem ein Entern fast unmöglich«, versichert Fürüs.

Piraterie und Militärtechnik spielen nur eine Nebenrolle in der kleinen Halle B8 der neuen Hamburger Messe unterhalb des stillgelegten Fernsehturms. Das war 2010 noch anders. Angesichts der Schifffahrtskrise stehen die Zeichen auf der maritimen Weltleitmesse SMM aber auf »Grün«. Weniger Sprit, weniger CO²-Ausstoß und sauberes Ballastwasser sollen Meere, Küsten und Häfen ökologisch entlasten. Technisch, dies die Botschaft, ist »Green Shipping« möglich. Zur 25. »Shipbuilding, Machinery & Marine Technology International Trade Fair«, die heute endet, waren Aussteller aus 62 Ländern und 50 000 Fachbesucher nach Hamburg gereist.

Fürüs ärgert das öffentliche Desinteresse an seinem Metier: »Hunderte Seeleute sind schließlich Geiseln der Piraten.« Andere Anbieter auf der SMM wollen mit Wasserstrahl und Lichtkanone Seeräuber vertreiben, Schmiermittel wie Seifen und Reizstoffe wie Pfeffer oder CS-Gas einsetzen. Davon hält Norbert Kahl wenig bis nichts: »Nett, aber nicht wirksam«, so der Militärexperte. Einzig die Drahttrommeln von Lex Gabinia akzeptiert er als Ergänzung zu seinem Tätigkeitsfeld: Kahl gründete die gleichnamige Firma, die private Militärteams auf die Schiffe deutscher Reeder schickt. Vier gut ausgebildete Männer - plus zwei in Reserve an Land. Allerdings keine Einzelkämpfer: KSK- oder GSG9-Leute kommen Kahl nicht an Bord, die seien »Alphatiere« und bekämen schnell Stress mit dem Kapitän. Die zwei Bordteams von Kahl starten ihre Reisen um die Piratenzone am Horn von Afrika in Djibouti und beenden sie im Hafen von Mombasa (Kenia). Oder umgekehrt. Mit beiden Ländern gebe es Übereinkommen, die Waffen der Söldner werden von Polizei oder Militär verwaltet. »Schwarze Schafe« der Branche werfen die Waffen vor der Hafenankunft über Bord; beim nächsten Einsatz werden illegal neue Waffen besorgt.

Bis zu 70 000 Dollar zahlen deutsche Reeder angeblich für den achttägigen Turn. Viel Geld, das sich aber oft rechnet. Versicherer, die Reeder gegen Piratenattacken absichern, schreiben enge Regeln für die Gefährdungsgebiete vor, beispielsweise eine Mindestgeschwindigkeit von 15 Knoten. Je schneller ein Schiff fährt, desto schwieriger ist aufgrund von Bugwelle und Strömung ein Entern. Doch schon eine geringfügig nie-drigere Reisegeschwindigkeit spart weit mehr Spritkosten ein als die Bordteams kosten.

Drei Monate lang bildet die Kahl Sicherheit Consulting GmbH ihre Leute, meist frühere Bundeswehrsoldaten, aus. »Damit schießen wir eigentlich weit übers Ziel hinaus«, kritisiert Kahl die schwarz-gelbe Koalition und ihren im Juli vorgelegten Gesetzentwurf. Dieser legalisiert erstmals private Militärfirmen an Bord, verlangt aber eine Zertifizierung. Dafür, so Kahl, reiche es aber aus, die Söldner nur eine Woche auszubilden. Diese Minianforderungen würden aber auch »schwarze Schafe« in der Branche erfüllen. Zur Unterscheidung legt Kahl Wert auf die regelmäßige Überprüfung seiner Teams durch den Schiffs-TÜV Germanischer Lloyd. Wildwest also mit Zulassung und Siegel.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 07. September 2012


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