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Urteil im Piratenprozeß

Hamburg: Zehn Somalis müssen nach bewaffnetem Überfall auf Handelsschiff für zwei bis sieben Jahre ins Gefängnis. Regierung will private Sicherheitsdienste auf See zulassen

Von Jörn Boewe *

Das Hamburger Landgericht hat zehn Somalis wegen Piraterie am Freitag zu Freiheitsstrafen zwischen zwei und sieben Jahren verurteilt. Das Gerichtsverfahren dauerte fast zwei Jahre, es war der erste Piratenprozeß in Hamburg seit 400 Jahren. Die Richter sprachen die etwa 19- bis 50jährigen Männer des Angriffs auf den Seeverkehr und des erpresserischen Menschenraubs schuldig.

Die Angeklagten hatten das unter deutscher Flagge fahrende Containerschiff »Taipan« am 5. April 2010 rund 530 Seemeilen vor der Küste Somalias überfallen und geentert. Dabei beschossen sie Deck und Brücke mit automatischen Waffen. Die 13 Besatzungsmitglieder der Taipan, zwei Deutsche, drei Russen und acht Seeleute aus Sri Lanka, konnten sich in einem Sicherheitsraum verschanzen und von dort aus die Hauptmaschine abschalten und einen Hilferuf absetzen. Die Piraten hatten zwar das Schiff gekapert, konnten es aber nicht mehr manövrieren. Wenig später stürmte ein niederländisches Marinekommando die Taipan und nahmen die zehn Somalis fest. Die Männer wurden im Juni 2010 nach Deutschland ausgeliefert. Der Älteste ist 1962 geboren, der jüngste etwa 1992. Drei Jugendliche wurden inzwischen aus der U-Haft entlassen.

Mit seinem Urteil blieb das Gericht zum Teil deutlich unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft, die Haftstrafen zwischen vier und zwölf Jahren gefordert hatte. Die insgesamt 20 Pflichtverteidiger hatten in ihren Plädoyers die Einstellung des Verfahrens, Freisprüche oder deutlich niedrigere Strafen beantragt. In ihren letzten Worten an das Gericht baten einige der Angeklagten am Freitag um Milde und wiesen auf die katastrophale humanitäre Lage in Somalia hin, einem »zerfallenen Staat«, in dem seit Jahrzehnten Bürgerkrieg, Hunger und Chaos herrschen. »Mein Heimatland ist zusammengebrochen. Ich bitte den Herrn Vorsitzenden: Seien Sie gerecht«, sagte einer von ihnen nach Übersetzung des Gerichtsdolmetschers. Die Verteidigung hatte im Verlauf des Prozesses auch die illegale Überfischung der somalischen Gewässer und jahrzehntelange Müllverklappung durch internationale Unternehmen vor der Küste des ostafrikanischen Landes als Ursachen für die Misere der somalischen Küstenbevölkerung benannt.

Im Februar 2012 hatte einer der Angeklagten ein Geständnis abgelegt, mit dem er seine Mitangeklagten schwer belastete. Niemand sei zur Beteiligung an den Überfällen gezwungen worden, alle hätten freiwillig angeheuert. Hintermänner in London hätten den Überfall organisiert und die Kalaschnikow-Sturmgewehre und Panzerbüchsen besorgt. Wer diese Drahtzieher waren, konnte das Gericht jedoch nicht klären.

Die Bundesregierung hat erst am Montag einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem der Einsatz privater bewaffneter Sicherheitsdienste auf Handelsschiffen unter deutscher Flagge geregelt werden soll. »Bislang wurde noch kein Schiff, das bewaffnete Sicherheitskräfte an Bord hatte, entführt«, heißt es in der Vorlage. Daher würden immer mehr Reeder Bewachungsunternehmen beauftragen, die ihren Sitz meist im Ausland hätten. Nach Angaben der Regierung ist Deutschland weltweit die zweitgrößte Handelsnation und besitzt die drittgrößte Handelsflotte. Die Gewerkschaften ver.di und Internationale Transportarbeiterföderation ITF fordern ebenfalls seit Jahren einen effektiven Schutz der Seeleute vor Piratenangriffen, lehnen den Einsatz privater Sicherheitsdienste jedoch ab.

* Aus: junge Welt, Samstag, 20. Oktober 2012


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