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Kurzer Prozess – gleich an Ort und Stelle

Regierung und Reeder reden über Maßnahmen gegen zunehmende Piraterie im Indischen Ozean / Die Eigner deutscher Schiffe fordern mehr staatlichen Schutz, doch dafür gibt es Grenzen

Von René Heilig *

Heute (24. Jan.) treffen sich deutsche Reeder mit Verantwortlichen der Bundesregierung. Sie wollen über weitere Maßnahmen gegen die Piraterie im Indischen Ozean beraten. Deutschland ist Export-Vizeweltmeister und drittgrößte Importnation. Anti-Piraten-Ideen gibt es viele, doch nur wenige bieten Chancen zur Lösung des auch sozial bedingten Problems.

Die Schiffe, Flugzeuge und Hubschrauber, die in den Operationen »Atalanta« (EU), »Ocean Shield« (NATO) und »Combined Task Force 151« (USA) zur Piratenjagd eingesetzt sind, verkörpern High-Tech. Sogar U-Boote hat man schon eingesetzt. Die Besatzungen sind bestens ausgebildet und hoch motiviert. Dennoch: Seit Jahren vermag es die Dreifach-Armada nicht, die Erfolgsquote der zumeist aus dem Bürgerkriegsgebiet Somalia kommenden Piraten unter 30 Prozent zu drücken.

Jährlich, so schätzt die Fachzeitschrift »Lloyds«, werden Waren im Wert von 1,5 Billiarden US-Dollar durch den Golf von Aden transportiert. Doch die Piraten sind nicht so sehr an der Fracht interessiert. In der vergangenen Woche ließen sie sogar Waffen, Munition und Sprengstoff unbeachtet, die der gekaperte dänische Küstenfrachter »Leopard« geladen hatte. Auch Schiffe sind nicht von erstem Interesse. Als die türkische NATO-Fregatte »Gaziantep« die Position der »Leopard« erreicht hatte, war der Frachter verlassen. Für die Piraten wertvoll sind vor allem die lösegeldträchtigen Besatzungen. In diesem Fall handelt es sich um zwei Dänen und vier Filipinos.

Zum Jahreswechsel waren rund 500 Seeleute in der Geiselhaft von Piraten. Das Kidnapping von Crews ließe sich nur noch toppen durch die Kaperung eines Kreuzfahrtschiffes mit hunderten Urlaubern an Bord. Versuche hat es gegeben, jüngst war das ehemalige ZDF-Traumschiff – die »Berlin« fährt nun als »Spirit of Adventure« – auf seinem Weg von Madagaskar nach Sansibar ein Angriffsziel. Doch die Besatzung konnte das Verfolger-Skiff durch Beschleunigung auf Höchstfahrt abschütteln.

Nicht nur die deutschen Reeder unternehmen so einiges, um ihre Schiffe »durchzubringen«: Stacheldraht an der Reling, Hochdruckwasserschläuche, Schmierseife ... Im schlimmsten Fall flüchtet eine überfallene Besatzung in einen Schutzraum – so einer vorhanden ist – und nachdem das Schiff lahmgelegt wurde. Bislang boten solche »Zitadellen« Zuflucht, weil sie von den Piraten in den verwinkelten Schiffskonstruktionen nicht entdeckt wurden. Falls das jedoch gelingt und die Freibeuter mit der Panzerfaust vor der Tür stehen ...

Permanent werden in Gefahrengebieten Kurs und Geschwindigkeit gewechselt. Doch wie weit reichen die gefährlichen Zonen? Noch vor zwei Jahren konnte man die Piraten abfangen, wenn sie ihre Fischerdörfer an der Küste verließen. Doch dann begannen sie, gekaperte Schiffe als schwimmende Basen zu nutzen. Inzwischen sind die Kaperziele 2000 Seemeilen und weiter von jeder Küste entfernt. Weshalb der Bundestag in seinem »Atalanta«-Mandat erstmals auch kein Einsatzgebiet festgelegt hat.

Die deutsche Handelsflotte ist die drittgrößte der Welt. Der Verband deutscher Reeder schätzt, dass in dem gefährlichen Piratengebiet jährlich mindestens 400 deutsche Schiffe unterwegs sind. Die deutschen Reeder wünschten sich, dass ihre Fahrzeuge von bewaffneten Kommandos bemannt werden. So wie das bei Schiffen der Welthungerhilfe schon üblich ist.

Doch bei der »normalen Schifffahrt« tun sich da (noch) Probleme auf. Die sind nicht finanzieller Natur, denn Michael Behrendt, Präsident des Reederverbandes, ist sicher, dass seine Kollegen sich nicht gegen einen finanziellen Beitrag sperren würden. Doch deutsche Schiffe gelten als deutsches Territorium. Daher scheiden private Schutzteams aus, weil der Besitz von Kriegswaffen in Deutschland verboten ist. Das Bundesinnenministerium weigert sich, eine Sondergenehmigung auszustellen.

Natürlich würden die Reeder auch Bundeswehr-Soldaten willkommen heißen – und deren Einsatz bezahlen. Doch die Bundeswehr hat keine rechtliche Handhabe für Einsätze im Innern.

Diese Aufgabe obliegt der Bundespolizei. Die wiederum ist weder personell noch materiell für solche Einsätze gerüstet. So bleibt nur das, was die Bundespolizei bereits tut: Sie trainiert Frachterbesatzungen für den Ernstfall.

Klar ist: So wird man der Gefahr auf Dauer nicht grundsätzlich begegnen können. Auch die einheimischen Milizen, die derzeit gedrillt werden, um an Land gegen Piraten-Basen vorzugehen, werden das Phänomen nicht lösen. Gleiches ist von der Idee zu erwarten, einen speziellen internationalen Seegerichtshof zu installieren, der sofort und an Ort und Stelle Urteile verkündet.

Das Problem Piraterie wird wohl erst dann entschärft, wenn die Bevölkerung in der somalischen Bürgerkriegsregion endlich eine wirtschaftliche und damit soziale Entwicklungsperspektive verspürt.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Januar 2011


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