Piraten machen keine Weihnachtsferien
Somali-Freibeuter wechseln ihre Reviere – an Land wird eine Privatarmee gegen sie ausgebildet
Von René Heilig *
Es stört die Seeräuber vor Somalia nicht, dass die Politik in den westlichen Staaten gerade Jahresendurlaub macht. Sie erledigen ihren Job und haben am Dienstag (28. Dez.) erneut einen deutschen Frachter gekapert. Das Anti-Piratenprogramm der EU NAVFOR half wieder einmal nichts. Derzeit gibt es in der Region 26 gekaperte Schiffe mit 609 Seeleuten an Bord.
Die am Dienstag (28. Dez.) vor Oman gekaperte »EMS River« ist mit acht Seeleuten bemannt. An Bord sind sieben Philippinos und ein Rumäne. Das Schiff fährt unter der Flagge von Antigua & Barbuda und gehört der Reederei Grona Shipping mit Sitz in Papenburg.
Bei dem Überfall setzten die Piraten die »MV Motivator«, einen im Juli entführten Frachter, als Mutterschiff ein. Die NATO warnt derzeit vor insgesamt fünf derartigen gekaperten und hochseetüchtigen Schiffen. Mit ihnen erweitern die Seeräuber ihre Reichweite bis vor die Seychellen.
Ebenfalls vor Oman attackierten am Montag (27. Dez.) Piratenskiffs von einem entführten Frachter aus einen Flüssiggas-Tanker. Als ein NATO-Kriegsschiff herbei eilte. wurde der Angriff abgebrochen. Doch als der Bordhubschrauber der Fregatte auf das Piraten-Mutterschiff zuhielt, drohten die Piraten, ihre »Gastgeber« zu ermorden. Am 1. Weihnachtsfeiertag wechselte die Befehlsgewalt auf der unter der Flagge Thailands fahrenden »MV Thor Nexus« an die Gangster. Am 19. Dezember konnte der griechische Tanker »Doubtles« nordöstlich von Salalah die Enterversuche zweier Skiffs abwehren. Einen Tag später eroberten Piraten aber den Bulk Carrier »Orna«.
Grund zur Freude hatten dagegen bereits am Samstag (25. Dez.) die 22 Seeleute aus Indien, Bangladesch und der Ukraine an Bord des deutschen Chemietankers »Marida Marguerite«. Vor acht Monaten war er gekapert worden. Nach zähen Verhandlungen hatte man sich auf ein Lösegeld von 5,5 Millionen Dollar geeinigt. Das Geld wurde per Fallschirm aufs Deck des Tankers abgeworfen.
Die EU-Kriegsschiffe, die NATO-Armada, die Schiffe der USA, Russlands, Chinas, Indiens und weiterer Staaten haben die Gefahr an der Küste Somalias gemindert. Deutschland beteiligt sich derzeit mit der Fregatte »Hamburg«, die auch ein zehnköpfiges »Vessel Protection Detachment« an Bord hat, das als Schutztruppe auf Frachter übersetzen kann. Eine neue Taktik tat ein Übriges. Beispielsweise fuhr das niederländische U-Boot »Zeeleeuw« über drei Monate im Rahmen der NATO-Operation »Ocean Shield« Aufklärung vor den Basen der Piraten. So konnten Angreifer schon direkt nach Auslaufen gestellt werden.
Auch Operationen zu Land werden geplant. So verdichten sich Hinweise, dass in Somalia eine 2000-Mann-Privatarmee zur Bekämpfung der Piraten ausgebildet wird. Die Finanzierung der Truppe soll durch ein »moslemisches Land« erfolgen. Experten tippen auf Saudi-Arabien. Die USA wollen sich nicht direkt einmischen.
Als Konsequenz des Ausweichens der somalischen Piraten in die offenen Regionen des Indischen Ozeans haben die in London ansässigen internationalen Schiffsversicherer kurz vor Weihnachten die »piratengefährdeten Gebiete« deutlich erweitert. Es wird allgemein erwartet, dass die neue Definition der Risikogebiete demnächst höhere Versicherungsprämien nach sich zieht. Daher nehmen viele Reeder schon jetzt weite Umwege in Kauf. Ihre Schiffe fahren von asiatischen Häfen aus Richtung Osten durch den Panamakanal und über den Atlantik nach Europa.
* Aus: Neues Deutschland, 30. Dezember 2010
Überreeder
Von René Heilig **
Kapitän Eggers, 69 Jahre alt, war Chef auf der »Taipan«. Die hatten Freibeuter zu Ostern am Horn von Afrika geentert. Die Besatzung stoppte alle Maschinen, schloss sich in der eigens dafür eingebauten »Zitadelle« ein und wartete ab, bis niederländische Marines die ungebetenen Gäste abholten. Sie stehen nun in Hamburg vor Gericht und Zeuge Eggers warnt davor, die Piratengeschichte »zu überdrehen«: Piraterie sei nun mal für Seeleute Berufsrisiko, er sei auf See schon öfter abgezockt worden. Doch dabei hatten die Angreifer nie geschossen.
Nun aber tun sie es – vor Somalia, vor den Seychellen. Als Antwort feuern Kriegsschiffe auf sie. Keiner weiß, wie viele Opfer es schon gibt. Wohl aber kann man wissen, dass Feuerwechsel und Aufrüstung das Problem nicht lösen. Dennoch will der deutsche Reederverband die Regierung (abermals) überreden, »bewaffnete hoheitliche Kräfte« auf seinen Schiffe zu stationieren. Bewusst lässt man offen, ob die von der Bundespolizei oder der Bundeswehr gestellt werden. Völker-, verfassungs- und strafrechtliche Weiterungen werden ignoriert. Das passt! Allzu viele deutsche Reeder flaggen zwar nicht Schwarz-Rot-Gold, denn ausgeflaggt lassen sich Steuern, Heuer und bisweilen sogar Sicherheitseinrichtungen – zu denen neuerdings auch piratensichere Räume gehören – sparen. Und dennoch verlangen sie Schutz – vom deutschen Staat, seinen Bewaffneten und den Steuerbürgern. Wenn das nicht »überdreht« ist!
** Aus: Neues Deutschland, 30. Dezember 2010 (Kommentar)
Zurück zur "Piraten"-Seite
Zur Somalia-Seite
Zurück zur Homepage