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Das 21. tritt gegen das 17. Jahrhundert an

Piratenjagd wird Chefsache: Hillary Clinton steigt auf die Kommandobrücke

Von René Heilig *

US-Außenministerin Hillary Clinton berief eine Krisensitzung der von den USA geführten internationalen Kontaktgruppe ein. Genug sei genug, den Piraten vor Somalia müsse das Handwerk gelegt werden. Frage: Was hindert die internationale Gemeinschaft daran? Antwort: Vielleicht die Nützlichkeit einer regional-latenten Krise?

Clinton trat am Mittwoch (15. April) vor die Presse, wollte eigentlich über Haiti sprechen und verlor sich zunächst einmal in Heldenverehrung. Sie lobte »Mut und Heldentum« der überfallenen »Maersk Alabama«-Besatzung sowie die Tapferkeit der US-Marine. Diese Männer seien das Beste, das Amerika aufzubieten hat. Ganz im Gegenteil zu dem, was da aus Somalia auf die Meere treibt. »Diese Piraten sind Kriminelle, es sind bewaffnete Banden auf hoher See. Wer Angriffe plant, muss gestoppt werden. Wer sie ausgeführt hat, muss von der Justiz abgeurteilt werden«, sagte Clinton. Und dann nahm sie dem »Schauspiel« vor der afrikanischen Küste jeglichen noch vorhandenen Hauch von Romantik. Man habe es zwar mit einem Verbrechen aus dem 17. Jahrhundert zu tun, müsse dagegen jedoch die Mittel des 21. Jahrhundert einsetzen, betonte sie.

Genau das tut die Gruppe, die sich als internationale Gemeinschaft bezeichnet und ganze Kriegsflotten in die bedrohte Gegend geschickt hat, bereits seit einigen Monaten. Doch nicht »Mut und Heldentum« oder »Tapferkeit« gewinnen die Oberhoheit, sondern jene »Kriminellen«, die mit gammligen Booten und verrosteten Waffen auf Beutejagd gehen. Trotz einer immer wieder verstärkten Armada von Hightech-Kriegsschiffen und Flugzeugen ist es auch nach fünf Monaten nur unzureichend gelungen, einen gefahrlosen Transport von Hilfsgütern ins somalische Krisengebiet zu garantieren. Und so fragen sich Fachleute, ob nicht genau das vielleicht das gewünschte Ergebnis ist.

Immer wieder wird beklagt, dass es sich ob der Verschlagenheit der Piraten um einen asymmetrisch geführten Kampf handelt. Ja und?! Genau das ergibt sich doch aus der Logik des von den USA begonnenen Feldzugs gegen den Terrorismus, der nun immer mehr zu einem Kampf gegen Piraten wird. Wer hat im Ernst angenommen, dass die in jeder Weise unterlegenen anti-westlichen Kampfgruppen sich erst mit modernen U-Booten, Fregatten und Aufklärungssatelliten hochrüsten müssen, um ihre Interessen auf Augenhöhe, quasi Schiff gegen Schiff durchzusetzen?!

Nein, sie kommen mit kleinen Holzbooten, deren Einsatzradius eng begrenzt ist. So eng, dass man sie durch die beim US-Militär vorhandene kosmische und irdische Aufklärungstechnik mühelos aufspüren kann, wenn sie ihre Stützpunkte verlassen, damit ihre stümperhaft ausgebildeten Besatzungen mit alten Reaktivgeschossen, die heute nicht einmal mehr einen Panzer erschrecken können, riesige Schiffe attackieren.

Und was ist mit den Mutterschiffen der Piraten? Sollte es den hochgerüsteten Kriegsmarinen wirklich unmöglich sein, diese 20 Kähne unter Kontrolle zu halten und notfalls auszuschalten?

Noch etwas kommt hinzu. Da das Piratenunwesen – unabhängig von seinen oftmals sozialen Ursachen – inzwischen zu einer Entführungsindustrie gewachsen ist, würde es doch Sinn machen, deren Management anzugreifen. Das wäre eine Sache der westlichen Nachrichtendienste, die jedoch seltsam inaktiv bleiben. Man erinnert sich noch, wie eilig die USA nach dem 11. September 2001 daran gingen, Konten von Terrorverdächtigen einzufrieren oder einfrieren zu lassen. Umgehend wurden Schwarze Listen verbreitet, die jedem Partner der USA signalisierten, mit wem er lieber keine geschäftlichen Beziehungen eingehen sollte.

Statt dessen will die US-Regierung einen Vertreter zu einer Somalia-Konferenz entsenden, die am 23. April in Brüssel geplant ist. Und natürlich die Flotte verstärken ...

Anti-Seeräuber-Missionen: Viel Aufwand, wenig Erfolg

»Atalanta«: An diesem ersten Marineeinsatz der EU sind zur Zeit acht Schiffe aus Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien und Spanien beteiligt. Im Mai kommen drei schwedische Patrouillenboote hinzu, die gerade verladen werden. Die Mission läuft bis Ende des Jahres, soll aber verlängert werden.

»SNMG1«: Der NATO-Einsatz begann Ende März im Golf von Aden. Die Einheiten aus Kanada, den Niederlanden, Portugal, Spanien und den USA sollen bis zum 20. April vor Ort bleiben. Die NATO will jedoch dauerhafte Anti-Piraten-Mission installieren.

»Combined Task Force 151«: Die reine US-Aktion begann im Januar 2009. Die Task-Force der fünften US-Flotte besteht aus drei Schiffen und zwei Flugzeugen. Sie hat die Führerschaft aller westlichen Aktivitäten in diesem Seegebiet inne.

Vor allem um im betreffenden Seegebiet gegenüber den westlichen Staaten Präsenz zu zeigen, haben auch China, Indien, Japan und Russland Kriegsschiffe im Einsatz.



* Aus: Neues Deutschland, 17. April 2009


Schießwut gegen Piraten

Von Arnold Schölzel **

Was für George W. Bush der »internationale Terrorismus« war, könnte die Seeräuberei für die Obama-Administration werden: das angeblich globale Problem Nummer eins. Jedenfalls verglich US-Außenministerin Hillary Clinton am Mittwoch (Ortszeit) in Washington schon mal den Kampf gegen Piraten mit dem gegen islamische Extremisten und erklärte: »Wir frieren die Guthaben von vielen staatenlosen Gruppen ein. Wir stellen fest, daß Piraten immer ausgefeiltere Ausrüstung und immer schnellere Boote kauften.« Dafür seien Finanztransfers nötig, die es zu unterbrechen gelte.

Vor allem soll aber mehr geschossen werden. Clinton sagte, die USA würden sich für unverzügliche Treffen einer internationalen Arbeitsgruppe einsetzen, um die Einsätze der Marine in den Gewässern vor Ostafrika auszuweiten. Washington werde einen Sonderbotschafter zu einer für den 23.April in Brüssel geplanten Geberkonferenz von 30 europäischen und afrikanischen Staaten für Somalia entsenden und Unterstützung für die somalische Regierung organisieren, damit diese zum Kampf gegen die Stützpunkte der Piraten beitragen könne.

Einwände, die westlichen Staaten konzentrierten sich auf den bewaffneten Kampf gegen die Piraterie, anstatt deren Ursachen – Armut und westliche Raubfischerei – zu beseitigen, wies Clinton zurück: »Bevor das Haus wieder aufgebaut wird, muß erstmal das Feuer gelöscht werden. Und im Moment haben wir hier ein tobendes Feuer.«

Diesem Prinzip folgte am Donnerstag eine Reihe von schießwütigen Militärexperten der Bundestagsparteien. In der Stuttgarter Zeitung taten sich Ernst-Reinhard Beck (CDU), zugleich Vorsitzender des Reservistenverbandes in Deutschland, und Rainer Arnold (SPD) besonders hervor. Beck forderte: »Um die Seeräuberei auszutrocknen, müßten die Mutterschiffe der Piraten auf See und deren Stützpunkte und Häfen in Somalia zerstört werden.« Gegen derartige Einsätze an Land hatte es selbst in der Union bisher massive Bedenken gegeben. Nun muß aber auch nach Ansicht der SPD schärfer vorgegangen werden. Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, ließ sich mit »das Mandat erlaubt mehr als nur Schüsse vor den Bug« zitieren. Das hochgerüstete Maulheldentum macht FDP-Wehrfachmann Rainer Stinner komplett, der »mehr entschlossenes Handeln« verlangte.

Nach Ansicht der Linken sind die Militäraktionen bislang ein »Fehlschlag«. Der Verteidigungsexperte der Linksfraktion, Paul Schäfer, kritisierte: »Die Verkaufsrhetorik der Bundesregierung für den Piraterie-Einsatz steht im krassen Widerspruch zur Realität. Offiziell sollte es vor allem um den Schutz von Hilfslieferungen für Somalia gehen, die Marine beteiligte sich aber in erster Linie an dem Schutz der normalen Handelsflotten für die westlichen Märkte.« Er wies zugleich darauf hin, daß den »vollmundigen Ankündigungen«, Piraten auch vor deutsche Gerichte zu bringen, ein juristisches Chaos gefolgt sei. Zwei von neun Somaliern, die von der Bundeswehr wegen Seeräuberei am Horn von Afrika festgesetzt und Mitte März an Kenia übergeben worden waren, klagen jetzt gegen die Bundesregierung. Von ihren beiden deutschen Anwälten wird kritisiert, daß das afrikanische Land europäische Mindeststandards – wie zwischen EU und Kenia vereinbart – nicht einhalte. In der Frankfurter Rundschau (Donnerstagausgabe) bestritt einer von ihnen, Rechtsanwalt Oliver Wallasch, daß sein Mandant Pirat sei und und kündigte Schadenersatzforderungen an.

** Aus: junge Welt, 17. April 2009


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