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Brisanter Nebenverdienst für Polizeibeamte und Soldaten

Mehr als 30 deutsche SEK-Polizisten, Bundeswehr-Soldaten und GSG-9-Spezialisten sollen libysche Sicherheitskräfte ausgebildet haben

Hier zunächst die offizielle Mitteilung aus dem Justizministerium NRW über die Aktivitäten deutscher Polizeibeamter und Soldaten in Libyen:

Polizisten sollen in Libyen geheime Unterlagen verwendet haben

Freitag, 04. April 2008 12.51 Uhr

Düsseldorf (dpa/lnw) - Deutsche Polizisten sollen bei der Schulung libyscher Sicherheitskräfte geheime Ausbildungsunterlagen der nordrhein-westfälischen Polizei verwendet haben. Das teilte ein Sprecher der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft am Freitag mit. Ein strafrechtlicher Anfangsverdacht habe sich aber nur gegen einen Polizisten ergeben. Dieser bestreite die Vorwürfe. Gegen die anderen Beamten werde strafrechtlich nicht ermittelt, weil es keine Anhaltspunkte gebe, dass sie geheime Kenntnisse verraten hätten.

Mehr als 30 deutsche Polizisten, Bundeswehr-Angehörige und Spezialisten mit GSG-9-Hintergrund sollen auf eigene Rechnung Sicherheitskräfte des libyschen Revolutionsführers Muammar al-Gaddafi ausgebildet haben.

Unterdessen berichtete das Bielefelder «Westfalen-Blatt» unter Berufung auf das NRW-Innenministerium, dass die acht nordrhein- westfälischen Polizisten, die beteiligt gewesen sein sollen, nicht mehr den Spezialeinheiten angehören und auch nicht mehr in diese Einheiten zurückkehren werden. Die Männer würden jetzt im normalen Schutzpolizeidienst eingesetzt. Gegen alle acht wird disziplinarisch ermittelt.

Ein früherer deutscher Elitepolizist, der nach eigenen Angaben sechs Monate in Libyen war, sagte der Zeitung, die deutschen Polizisten seien in Tripolis eingesetzt gewesen und nicht nur mit Geld bezahlt worden: «Einige haben auch einen Urlaub in Tunesien bezahlt bekommen.» Bei der Ausbildung libyscher Spezialkräfte sei aber «kein sensibles Polizei-Know-how» verraten worden. «Es ging zumeist um Schießtraining, Personenschutz und Selbstverteidigung.« Nach Angaben des Informanten sollen zwei Beamte aus NRW sogar sechs Monate in Libyen gewesen sein. Sie hätten sich dazu von ihrer Dienststelle beurlauben lassen.

Die Polizeigewerkschaften kritisierten die Aktivitäten deutscher Polizisten in Libyen scharf. Dies gefährde das Ansehen der Polizei und könne zu einer Gefährdung der inneren Sicherheit Deutschlands führen, sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg. Eine rückhaltlose Aufklärung der Vorwürfe sei dringend geboten. Sollten sie sich bestätigen, wäre dies für die Polizei unhaltbar. Freiberg sprach von einer «groben Instinktlosigkeit», wenn sich bestätige, dass die Beamten sich ihre Nebentätigkeit nicht genehmigen ließen. «Libyen ist ein Schurkenstaat. Da haben deutsche Polizisten nichts verloren», sagte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt dem Sender N24.

Im Verteidigungsministerium bestätigte ein Sprecher, dass gegen einen Angehörigen der Bundeswehr unter dem Vorwurf, er habe in Libyen «in der Freizeit Ausbildungsunterstützung» geleistet, disziplinarisch ermittelt werde. Der Soldat sei gegenwärtig vom aktiven Dienst suspendiert.

Ein früherer Beamter der Anti-Terror-Einheit der Bundespolizei GSG 9 soll eine private Sicherheitsfirma gegründet und bei mehreren Spezialeinsatzkommandos Polizisten auf Honorarbasis angeheuert haben. Die SEK-Beamten sollen vor zwei Jahren nach Libyen geflogen sein und dort Polizeikräfte trainiert haben. Für ihren Einsatz in dem nordafrikanischen Land sollen die Beamten bis zu 15 000 Euro bekommen haben.

Quelle: Justizportal des Landes Nordrhein-Westfalen; www.justiz.nrw.de


Deutsche Privatkrieger in Libyen

Rund 30 Polizisten und Soldaten in "eigenmächige Ausbildungseinsätze" verwickelt

Von Roland Etzel *


Die Bundesregierung will eine vollständige Aufklärung der eigenmächtigen Ausbildungseinsätze deutscher Sicherheitskräfte in Libyen erreichen. Dies erklärte Verteidigungsminister Franz Josef Jung am Freitag am Rande des NATO-Gipfels in Bukarest. Auch Staatsanwälte sollen ermitteln.

Insgesamt geht es um mindestens 30 Personen, die im Verdacht stehen, libysches Sicherheitspersonal in dessen Heimat ausgebildet zu haben – aktive und ehemalige Angehörige der Polizei, der Anti-Terror-Einheit GSG 9 und ein Hauptfeldwebel der Bundeswehr. Wer von den Beteiligten ehemalig und wer aktiv ist, gegen wen nur disziplinarisch und gegen wen strafrechtlich oder gar nicht ermittelt wird, war im Verlaufe des gestrigen Tages immer wieder Gegenstand von Dementis und neuen Erklärungen. Den Hauptanteil an diesem Verwirrspiel trugen die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft, Innenministerium und Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen.

Zu den denkbaren rechtlichen Konsequenzen für die Beteiligten, zum Beispiel wegen des möglichen Verrats von Dienstgeheimnissen, gab es gestern diverse Erklärungen von den zuständigen Behörden. Die Kernfrage wurde dabei mit großer Sorgfalt ausgespart: Selbst wenn keine »polizeilichen Dienstgeheimnisse« verletzt wurden und selbst wenn doch eine »Genehmigung des Dienstherrn über eine gewerbliche Nebenbeschäftigung« vorgelegen hätte – wäre dann alles »rechtens« gewesen? Dürfen (Ex-)Polizisten/Soldaten aus und in diesem Lande bereits private Firmen gründen, um irgendwo ihr einst im Staatsdienst erlerntes Killer-Know-how aktiv oder passiv anzubieten, wie es zum Beispiel Blackwater tut?

Jene Söldnerzentrale aus North Carolina (USA) hat vor zehn Jahren auch einmal bescheiden angefangen, nennt sich heute »Blackwater worldwide«, macht Milliardenumsätze als »militärischer Dienstleister« und ist der wohl skrupeloseste Haufen der in Irak stehenden Aggressorenfront. Blackwater hat den vom Pentagon sehr geschätzten Vorteil, dass die von seinen Rambos verübten Verbrechen zumindest formal nicht der US Army und damit dem Staat zur Last gelegt werden können. Krieg und Kriegsverbrechen können somit im Zweifel zum privaten Sündenfall erklärt werden.

Die Vermutung liegt nahe, auch deutsche Dienststellen könnten der betörenden Idee erlegen sein, an strategisch interessanten Orten im Ausland militärisch mitzumischen und offiziell ihre Hände in Unschuld zu waschen. Der Ermittlungseifer der Behörden, wenn es ihn denn gab, war bisher jedenfalls begrenzt. Schließlich räumen sie selbst ein, die Angelegenheit schon seit zehn Monaten zu kennen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. April 2008

Kölner Sklandaltruppe: Fakten und Meldungen

Tim Stinauer hat sich für die "Frankfurter Rundschau" auf die Fährte des Kölner SEK (Sondereinsatzkommando) begeben. "Von Skandalen umwittert" sei diese Polzeitruppe mehrfach "in die Schlagzeilen" geraten. Immerhin: Unter den acht verdächtigen Elitepolizisten aus Nordrhein-Westfalen, die libysche Sicherheitskräfte trainiert haben sollen, befinden sich offenbar zwei Kölner SEK-Beamte. Folgende Fakten werden genannt:
  • 2004 kam es zu einer strafrechtlichen Verurteilung: ein Kölner SEK-Beamter hat bei einer Übung einen Kollegen versehentlich erschossen.
  • Ende 2006 stürmte ein Kölner SEK-Kommando eine falsche Wohnung in Siegburg, der Verdächtige wohnte eine Etage höher. Kölns Polizeipräsident löste daraufhin die Einheit auf.
  • Dasselbe Kommando, schreibt Stinauer, habe bereits 2003 während einer Drogenrazzia zwei Wohnungen verwechselt: Die vermummten Kräfte überraschten eine Hausfrau, der Verdächtige wohnte nebenan. Drei Tage zuvor hatten die Einsatzkräfte bei der Suche nach einem Bankräuber eine falsche Wohnung in Gummersbach gestürmt.
  • Üb er eine andere Kölner SEK-Truppe heißt es in dem Artikel: In Hennef hatte sich (2004) ein Schuss aus dem Gewehr eines Selbstmord-Kandidaten gelöst. Unklar blieb, ob das geschah, weil ein SEK'ler ihm die Waffe aus der Hand treten wollte.
  • 2008 wurde einem Fliesenleger 30.000 Euro Schmerzensgeld zugebilligt: 16 Kölner Elitepolizisten hatten ihn im Einsatz 2001 verletzt.
Quelle: Frankfurter Rundschau, 5. April 2008 ("Von Skandalen umwittert")


BND (Bundesnachrichtendienst) wusste angeblich von Libyen-Ausbildern

(Auszug aus tagesschau.de vom 5. April)

In die umstrittene Schulung libyscher Sicherheitskräfte durch deutsche Polizisten war der Bundesnachrichtendienst (BND) nach einem Zeitungsbericht offenbar von Beginn an einbezogen. Der BND habe die Ausbildungskooperation "beratend begleitet", berichtet die "Berliner Zeitung" ** (siehe weiter unten) unter Berufung auf Sicherheitskreise. Demnach war eine Ausbildungs-Kooperation mit Tripolis nach dem Besuch des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) beim libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi im Oktober 2004 vereinbart worden.

(...)

Insgesamt sollen gut 30 deutsche Polizisten, ein Soldat und Spezialisten mit GSG-9-Hintergrund auf eigene Rechnung Polizeikräfte Gaddafis ausgebildet haben. Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts des Verrats von Dienstgeheimnissen gegen einen Beamten, der früher in einer Spezialeinheit eingesetzt war.

In Nordrhein-Westfalen wurden zudem nach Angaben von Innenminister Ingo Wolf gegen acht Polizisten Disziplinarverfahren eingeleitet. Auch ein inzwischen vom Dienst suspendierter Hauptfeldwebel der Feldjäger unterstützte nach Angaben des Verteidigungsministeriums in seinem Urlaub die nicht genehmigten Einsätze.

Nach einem Bericht der "Frankfurter Rundschau" hat sich bei sieben der acht Männer der Verdacht, sie hätten Dienstgeheimnisse verraten, nicht bestätigt. Juristisch könnte die Nebentätigkeit aber zumindest für einen Beamten Folgen haben. Die zentrale Frage für die Düsseldorfer Ermittler sei, ob der 48-jährige Mann tatsächlich Dienstgeheimnisse weitergegeben hat. "Wir prüfen nun, ob er nur ein paar Klimmzüge angeordnet hat oder Dinge vermittelt hat, die er ausschließlich bei seiner Ausbildung gelernt haben kann", sagte Staatsanwalt Mathias Proyer der Zeitung.

Nach Angaben von Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für transatlantische Sicherheit handelt es sich nicht um einen Einzelfall. "So mancher Pensionär der Bundeswehr oder der Spezialeinsatzkräfte hat private Sicherheitsdienstleistungen im In- und Ausland für sich als lukrative Geldquelle entdeckt", sagte er der "Frankfurter Rundschau". Als frühes Beispiel nannte er Ulrich Wegener, den ersten Chef der Sondereinheit GSG 9 des damaligen Bundesgrenzschutzes. Dieser habe nach seiner Dienstzeit bei der GSG 9 zum Beispiel Sicherheitskräfte für das saudische Königshaus ausgebildet.

www.tagesschau.de (abgerufen am 6. April 2008)

* Auszüge aus der Berliner Zeitung:

"Eine Kooperation mit Tripolis bei der Ausbildung war nach dem Besuch des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) beim libyschen Revolutionsführer Muammar el Gaddafi im Oktober 2004 vereinbart worden. Der BND habe damals aber darauf bestanden, im Hintergrund zu bleiben und sich nicht mit eigenen Kräften zu beteiligen.
Vermutlich wollte Pullach einen Skandal wie 1995 vermeiden, als bekannt wurde, dass sich der BND Ende der siebziger Jahre illegal an der Ausbildung von Offizieren und Soldaten in Libyen beteiligt hatte."

"Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden sollen bundesweit über 30 aktive und ehemalige SEK-Beamte sowie Mitglieder der Eliteeinheit GSG 9 und Bundeswehrsoldaten als Ausbilder in Libyen aktiv geworden sein. Die deutschen Polizisten sollen in Einzelfällen bis zu 15 000 Euro kassiert haben, zum Teil wurde ihre Ausbildungstätigkeit auch mit Urlauben in Tunesien abgegolten.
Bei der Organisation der Trainingscamps war auch ein Feldwebel der Bundeswehr eingesetzt. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bestätigte gestern, dass ein Bundeswehrsoldat "wegen Vorbereitungshandlungen" für die Libyen-Einsätze vor dem Truppengericht angeklagt worden ist. Derzeit gebe es aber keine Anhaltspunkte, dass weitere aktive Soldaten verstrickt seien. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erklärte, über eine Beteiligung aktiver GSG 9-Beamter gebe es keine Erkenntnisse. Die Bundesregierung kündigte eine Aufklärung der Vorgänge an."

Quelle: Berliner Zeitung, 5. April 2008 ("BND wusste von Libyen-Ausbildern", von Andreas Förster und Johannes Nitschmann)



Weitere Stimmen und Kommentare

Das Parlamentarische Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste soll sich nach dem Willen der FDP mit der umstrittenen Ausbildung libyscher Sicherheitskräfte durch deutsche Polizisten befassen. Es gebe erheblichen Fragebedarf, sagte FDP-Innenexperte Max Stadler der "Welt am Sonntag".
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, nannte es skandalös und inakzeptabel, dass deutsche Beamte ein Regime unterstützten, das die Verantwortung für Terroranschläge trage. Im Deutschlandfunk sagte Freiberg, es überrasche ihn nicht, dass auch der BND in die Affäre verwickelt sein solle. Freiberg kritisierte die Entwicklung, dass polizeiliches Wissen zunehmend durch private Firmen ins Ausland transportiert würde.
Deutschlandfunk, 5. April 2008

Unions-Bundestagsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) sprach von einem „gravierenden Vorgang, der dringend aufgeklärt werden muss“. Der Düsseldorfer Landtag wird sich auf Antrag der Grünen nächste Woche mit dem Skandal befassen. Es stelle sich die Frage, ob es über das Fehlverhalten Einzelner hinaus „strukturelle Fehlentwicklungen in der Polizei von NRW gibt, die unter Umständen Korpsgeist und Verselbstständigungstendenzen fördern“, sagte die Grünen-Abgeordnete Monika Düker. Der GdP-Landesvorsitzende Frank Richter monierte, dass dem NRW-Innenministerium der Libyen-Skandal seit Monaten bekannt sei, es aber nach seiner Kenntnis noch keine Veränderung einsatztaktischer Maßnahmen gegeben habe.
Welt am Sonntag, 6. April 2008

Privat-Rambos

Von Roland Etzel ***

In Afghanistan sind 3500 Bundeswehrsoldaten stationiert, in Kosovo standen und stehen sie, in Bosnien auch. Was 1993 in Somalia begann – Ausländseinsätze der Bundeswehr –, bemüht sich Berlin heute als pure Selbstverständlichkeit zu verkaufen. Deutsche Polizisten trainieren heutzutage ganz offiziell künftige afghanische Amtskollegen und wohl nur zum geringsten Teil darin, wie man eine Anzeige wegen Eseldiebstahls fertigt. Trotzdem übertreffen sich jetzt die Pressesprecher mit Empörungsschreien, weil ein paar unausgelaste deutsche (Ex-)Polizisten in Libyen private Entwicklungshilfe für Ghaddafis Leibwächter leisteten.
Dabei sollte doch keiner etwas dagegen haben, wenn die Menschen auch anderenorts in Heiligendammer Streitkultur unterwiesen werden. Doch der Grüne Beck spricht vom »Unrechtsregime« Libyen, Polizeigewerkschafts-Boss Wendt gar vom »Schurkenstaat«. Ihnen geht es allein um das »ob, nicht das »Wo«. Das ist erstens unverständlich, denn warum sollen nur demokratische Regimes demokratisch unterwiesene Polizisten haben dürfen? Und es ist zweitens unfair. Denn beide Grüne hätten dies zumindest Gerhard Schröder verraten können, ehe dieser 2004 als Bundeskanzler Gaddafis Zelte aufsuchte, oder Außenminister Steinmeier erst letztes Jahr. Man wird also auf das Ende der staatstanwaltlichen Ermittlungen warten müssen, Vielleicht erfahren wir dann wenigstens, ob die Privat-Rambos ihre Honorare ordentlich versteuert haben.

*** Aus: Neues Deutschland, 5. April 2008 (Kommentar)


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