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Russland pariert Raketenschild

Bei Nichteinigung mit den USA eigenes System angekündigt

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Moskaus Position ist klar: Sollte es keine Einigung mit den USA bei deren Plänen zur Stationierung von Teilen der globalen Raketenabwehr in Europa geben, könnte Russland in fünf bis sieben Jahren darauf mit einem eigenen Abwehrschild reagieren.

Die Möglichkeit eines eigenen Abwehrschildes stand in der Grußbotschaft des scheidenden Präsidenten Dmitri Medwedjew an eine hochkarätig besetzte internationale Konferenz zum Thema, die das russische Verteidigungsministerium am Donnerstag in Moskau veranstaltete.

Diese Position, so hieß es weiter in dem Text, den der Koordinator des Nationalen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, verlas, bedeute jedoch nicht das Ende der Verhandlungen zu dem umstrittenen Thema. Moskau sieht sich durch die Stationierungspläne bedroht und besteht auf juristisch verbindliche Garantien, dass die Raketenabwehrstellungen Russlands Verteidigungsfähigkeit nicht beeinträchtigen. Die NATO und deren Führungsmacht sind bisher nur zu einer entsprechenden politischen Deklaration bereit. Obwohl die russische Führung wiederholt darauf verwies, dass mit der Stationierung auch das derzeitige strategische Gleichgewicht in Europa zerstört würde.

Ähnlich hatte sich schon Generalstabschef Nikolai Makarow auf der Tagung des Russland-NATO-Rates Ende April in Brüssel geäußert. Hält Washington dennoch an seinen Plänen fest, warnte Medwedjew daher, bleibe Russland gar nichts anderes übrig, als ebenfalls zu stationieren.

Auch Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow sprach auf der Abrüstungskonferenz von einem »Dilemma«. Die Verhandlungen mit den USA würden in einer Sackgasse stecken. Bisher sei es nicht gelungen, gegenseitig annehmbare Lösungen zu finden.

Derzeit gebe es zwei Alternativen: Kooperation, mit der beide Staaten gemeinsam auf Bedrohungen durch Drittstaaten reagieren, oder Konfrontation, bei der Russland die Umsetzung US-amerikanischer Raketenabwehrpläne mit eigenen »militärtechnischen Maßnahmen« pariert.

Russland habe zwar nicht vor, seinen Standpunkt irgendjemandem aufzuzwingen und sei zu einem offenen Dialog bereit. Von einem Vertrag über ein gemeinsames europäisches Raketenabwehrsystem würden jedoch alle Länder profitieren, so Serdjukow.

Einen Kompromiss halten Serdjukow und Medwedjew allen Schwierigkeiten zum Trotz nach wie vor für möglich. Die zurückliegenden vier Jahre, so der Kremlchef in einem TV-Interview, seien die bisher besten in der Geschichte der russisch-amerikanischen Beziehungen gewesen.

Sein Amtskollege Barack Obama hatte zudem bei der jüngsten Begegnung beider Politiker durchblicken lassen, er sei nach einem Wahlerfolg im November auch bei der Raketenabwehr-Problematik flexibler.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 4. Mai 2012


Raketenabwehr

Von Olaf Standke **

Nun ist es nicht so, dass man schon morgen befürchten müsste, dass die Raketen Moskaus und des Westens wie in kalten Kriegszeiten wieder aufeinander gerichtet sind. Aber sollte keine Einigung über die geplante Raketenabwehr von USA und NATO in Europa gefunden werden, dann geht man in Russland davon aus, dass spätestens 2020 die eigenen Interkontinentalraketen im Fall der Fälle am Abwehrschild der Allianz zerschellen könnten. Schon deshalb dürfe Moskau Abfangraketen unmittelbar an seiner Grenze wie in Polen nicht dulden - es sei denn, man habe die rechtlich verbindliche Garantie, dass sie nicht gegen Russland gerichtet würden. Das ist die Botschaft einer internationalen Raketenabwehr-Konferenz, mit der der Kreml jetzt auf seine Weise den NATO-Gipfel Mitte dieses Monats in Chicago vorbereitet hat. Dort sollen wichtige Weichen für den Fortgang des Vorhabens gestellt werden.

Auf dem letzten NATO-Spitzentreffen in Lissabon hat man mit großer Geste eine prinzipielle Zusammenarbeit mit Russland bei diesem umstrittenen Rüstungsprojekt verkündet. Doch als es ums Konkrete ging, fuhren sich beide Seiten in den Verhandlungen schnell fest. Moskau droht beim Scheitern zwar mit Gegenstationierungen, doch ist man nach wie vor an einer kooperativen Lösung interessiert. Und auch USA-Präsident Obama hat beim letzten Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Medwedjew versehentlich öffentlich gemacht, dass die Dinge einfacher laufen könnten - nach seiner Wiederwahl.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 4. Mai 2012 (Kommentar)


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