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Trumpfkarte Transnistrien?

In der Separastistenregion will Russland möglicherweise Frühwarnradar stationieren

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Auf dem Außenministertreffen im Rahmen des Russland-NATO-Rates, das am Donnerstag in Brüssel stattfand, werde es »gute Nachrichten« für Moskau geben, hatte ein hochrangiger Beamter aus dem Hauptquartier der Allianz die einflussreiche Moskauer Tageszeitung »Kommersant« bereits am Vorabend der Konsultationen wissen lassen.

Den Worten des NATO-Beamten zufolge will das Bündnis eine politische Erklärung verabschieden, in der es heißt, dass die geplante Raketenabwehr in Europa nicht gegen Russland gerichtet ist und das derzeitige Kräfteverhältnis nicht aus dem Gleichgewicht bringt. Wegen einschlägiger Differenzen hatte Moskau sogar den für Mai geplanten Gipfel des Russland-NATO-Rates abgesagt. Der russische Außenminister Sergej Lawrow verlangte bei dem Treffen mit den Außenministern der 28 NATO-Staaten am Donnerstag erneut verbindliche Garantien dafür, dass der Raketenschild nicht gegen Russlands Atomwaffen gerichtet sei. »In der Politik sind nicht die Absichten wichtig, sondern die Fähigkeiten«, so Lawrow. »Wir brauchen keine Versprechen, wir brauchen Garantien.«

Damit nicht genug. Als »symmetrische Antwort« auf den westlichen Raketenschild will Russland bis 2020 an der gesamten Westgrenze das Frühwarnsystem Woronesh-DM installieren. Das erste Lauschzentrum dieses Typs ging bereits im Februar im Raum Kaliningrad in Betrieb. Ein weiteres, so berichtete die »Nesawissimaja Gaseta«, soll seinen Betrieb in Transnistrien aufnehmen. Die vor allem von Slawen bewohnte Region am linken Ufer des Dnjestr hatte sich 1992 von der Republik Moldau mit überwiegend rumänischsprachiger Bevölkerung losgesagt. Transnistrien ist international nicht anerkannt, die Separatisten werden jedoch von Russland unterstützt, das in der Region nach wie vor Truppen stationiert hat.

Jetzt, so die »Nesawissimaja«, sollen dort ein Frühwarnradar und Kurzstreckenraketen des Typs Iskander in Stellung gehen: Hochmobile und extrem zielgenaue taktische Boden-Boden-Raketen mit konventionellen Sprengköpfen und einer Reichweite von maximal 500 Kilometer. Experten vermuten, damit reagiere Moskau auf die Bereitschaft Rumäniens, auf seinem Staatsgebiet eine der geplanten US-amerikanischen Abwehrstellungen zu installieren. Rumänische Medien hatten auch als erste über Moskaus Radarpläne für Transnistrien berichtet.

Moldau warnte Moskau bereits: Die Stationierung von Radar und Raketen ohne Genehmigung von Chisinau, so Verteidigungsminister Vitalie Marinua, würde Russlands internationales Ansehen weiter beschädigen.

Vizepremier Dmitri Rogosin, der bis Herbst Russlands Ständiger NATO-Vertreter war, bezeichnete die Stationierungspläne indes als frei erfunden. Einerseits. Andererseits geben Experten zu bedenken, dass die Separatisten voll und ganz von Moskau abhängig sind. Allein ihre Schulden für erhaltene russische Gaslieferungen belaufen sich inzwischen auf umgerechnet 2,5 Milliarden Euro.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 20. April 2012


Verhärtete Fronten

Von Olaf Standke **

Man kommt nicht voran, im Gegenteil. Je länger die NATO und Russland über eine gemeinsame Raketenabwehr verhandeln, um so verhärteter scheinen die Fronten zu werden. Auch die Frühjahrstagung der Außen- und Verteidigungsminister der Allianz mit Moskauer Gästen endete in dieser Frage wie das Hornberger Schießen. Knackpunkt ist die russische Forderung nach Sicherheitsgarantien. Das heißt, man will schwarz auf weiß in einem verbindlichen Dokument die Zusicherung, dass der geplante Raketenschild des Nordatlantik-Paktes in Europa nicht gegen Russland gerichtet ist. Die militärtechnischen Kriterien sollen beide Seiten gemeinsam erarbeiten.

Die Beteuerungen aus Washington und Brüssel, das Abwehrsystem sei nicht gegen den einstigen Erzfeind gerichtet, hört man wohl. Doch scheint auch 15 Jahre nach Annahme der Grundakte über die gegenseitigen Beziehungen, ein Jahrzehnt nach Gründung des NATO-Russland-Rats und zwei Jahre nach dem Gipfelbeschluss des Paktes über eine Zusammenarbeit bei der Installierung einer Raketenabwehr gegen noch gar nicht existierende schurkische Raketen aus Iran oder Nordkorea der rechte Glaube an die Unverbrüchlichkeit dieser Partnerschaft zu fehlen. Dabei will die Allianz durchaus auch etwas von Russland, reichlich Geld etwa für die Finanzierung der afghanischen Sicherheitskräfte nach dem geplanten NATO-Truppenabzug im Jahr 2014, wie jetzt in Brüssel zu hören war.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 20. April 2012 (Kommentar)


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