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1. Mai 2001: Deutsche Gerichte bahnen Neonazis eine Gasse

Berechtigte Gegenwehr behindert - Gelungener Protest in Mannheim

Lässt man die Ereignisse des 1. Mai 2001 Revue passieren, dann geraten zuallererst die Gerichte ins Blickfeld. Auf welches Recht stützen sie sich, wenn sie Kundgebungen der NPD und anderer alt- und neufaschistischer Organisationen zulassen? Das sind Kundgebungen, auf denen Hass gepredigt, zur Hetze gegen Ausländer und alles "Fremde", Nicht-"Nationale" aufgerufen und Aggressionen gegen andere Länder und Völker geschürt werden. Die gerichtlichen Verfügungen zugunsten der NPD-Aufmärsche in Essen und Augsburg, in Berlin und Frankfurt, in Dresden und Mannheim (um nur einige Städte zu nennen), berufen sich übereinstimmend auf das zu garantierende Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 5 GG, das grundsätzlich jedem zustehe. Eine inhaltliche Qualifizierung dieses Rechts wird von den Gerichten nicht vorgenommen, da sie ja keine "politische" Partei ergreifen wollen.

Doch gerade darin liegt der Hase im Pfeffer. Wer die Neonazis marschieren und grölen lässt, ergreift Partei. Die angeblich "unpolitische" Justiz, die nur einem abstrakten Rechtsverständnis huldigt, macht sich, auch wenn sie das subjektiv nicht will, in diesem Fall zum Handlanger der Neofaschisten. Und es ist eine Legende, wenn behauptet wird, die Gerichte hätten keine andere Wahl, hätten gar keine Handhabe gegen rechte Demonstrationen. Das Grundgesetz selbst mit seinen damaligen alliierten Vorbehaltsrechten (Art. 139) und dem antifaschistischen Grundkonsens verbietet den Verfassungsorganen und allen Bürgern des Landes, (neo-)faschistische Bestrebungen zuzulassen. So gesehen, gewinnt das in den 6oer Jahren von konservativer Seite gegen die studentische Protestbewegung und in den 70er Jahren von der SPD gegen kommunistische Lehrer (Berufsverbote!) fälschlicherweise bemühte Wort von der "wehrhaften Demokratie" heute wieder seine ursprüngliche Bedeutung. "Den Anfängen wehren", das "Übel an der Wurzel packen" und den wieder aufkeimenden Neofaschismus im "Keim zu ersticken" - das wäre in der Tat eine Aufgabe, die sich der Staatsgewalt einschließlich der Judikative stellen müsste.

Es wimmelt im Grundgesetz - und erst recht in den Länderverfassungen, die noch vor 1949 entstanden waren - nur so von einschlägigen Normen, Freiheits- und Menschenrechten, die es gegen ihre Widersacher zu schützen gilt. Dies beginnt mit der Würde des Menschen, die nach Art. 1 GG zu schützen ist, dies setzt sich fort bei den einschlägigen Freiheitsrechten des Menschen (von der Meinungsfreiheit über die Wissenschaftsfreiheit und die Koalitionsfreiheit bis zum Rechts- und Sozialstaatspostulat (Art. 20 und 28) und dies wird "völkerrechtlich" relevant in der Verpflichtung zum Frieden und im strikten Verbot aller Handlungen, die das friedliche Zusammenleben der Völker stören würden, sowie in der Bindungswirkung des Völkerrecht für das staatliche Handeln (Art. 25 und 26). Art. 79 Abs. 3 enthält schließlich jene denkwürdige Bestimmung, wonach der Wesensgehalt des Grundgesetzes vor jeglicher Änderung ein für allemal geschützt bleibt. Es grenzt an juristische Blindheit, wenn rassistische und menschenverachtende Neonazi-Propaganda unter denselben Schutz gestellt wird, den die Grundwerte unserer Verfassung genießen.

Auch ist das nicht auf das Grundgesetz und die innere staatliche Ordnung der Bundesrepublik zu beschränken. Ähnlich haben es auch schon die Vereinten Nationen gehalten, die sich mit der UNO-Charta ganz bewusst eine Verfassung gegeben haben, die für künftige Geschlechter ein Wiederaufleben des deutschen und japanischen Militarismus und Faschismus ausschließen wollte. In dem Zusammenhang war es nur folgerichtig, dass die UNO-Vollversammlung in einer Resolution vom 26. November 1968, also vor dem Hintergrund der damaligen spektakulären Wahlerfolge der NPD in der Bundesrepublik, erklärte, dass "das Wiedererstarken nazistischer Organisationen in der BRD nicht als innere Angelegenheit der BRD" betrachtet werden dürfe (UN-Reolution Nr. 2438 XX, III). Man kann sicher sein, dass die Umtriebe der deutschen Neonaziszene am 1. Mai im Ausland sehr genau beobachtet werden.

Doch zur Ehrenrettung der Justiz sei gesagt, dass die nazifreundlichen Urteile in der Zunft nicht mehr ganz unumstritten sind. In Essen hatten das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen und in Augsburg der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die NPD-Kundgebungen verboten. Es blieb in beiden Fällen dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorbehalten, diese demokratie- und grundgesetzkonformen Urteile zugunsten eines Marschbefehls für die Glatzen aufzuheben. Das Münsteraner Oberverwaltungsgericht hielt anschließend nicht mit seiner Enttäuschung über diese höchstrichterliche Entscheidung hinter'm Berg und erlaubte sich sogar eine Richterschelte gen Karlsruhe. Die Richter in Münster hatten am 30. April bestritten, dass die Demonstrationen der Neonazis unter den Schutz der grundgesetzlichen Demonstrationsfreiheit fielen. Damit haben sie beweisen, dass sie von Verfassungsfragen, dem eigentlichen Metier des Bundesverfassungsgerichts, mehr verstehen als die obersten Verfassungs"hüter".

Schaden genommen haben am 1. Mai aber die Demokratie und der Verfassungsstaat - trotz der vielfältigen und großartigen Proteste der Demokraten und Antifaschisten. Wer in Berlin den Neonazis juristisch die Straße frei hält und der linken Szene das Demonstrationsrecht verweigert, wer in Hamburg, Frankfurt, Dresden und einigen anderen Städten alle polizeiliche Macht einsetzt, um den Neonazis zu ihren provokativen Auftritten zu verhelfen, der gerät selbst ins politische Zwielicht und darf sich nicht wundern, wenn das wenige Vertrauen, das insbesondere Jugendliche noch in die Staatsgewalt haben, vollends aus ihnen herausgeknüppelt wird. Für die Gegendemonstranten - auch das zeigte der 1. Mai - ist es nicht leicht besonnen zu bleiben, wenn den unbesonnenen rechten Schlägern der besondere Schutz des Staates gewährt wird.

Peter Strutynski

Im Folgenden dokumentieren wir noch einen kurzen Bericht über die Gegendemonstrationen in Mannheim, die aus unserer Sicht besonders gelungen sind. Interessant war hier, dass im Vorfeld die Mannheimer Stadtverwaltung von ihrer Sympathie mit den Gegendemonstranten kein Hehl gemacht hat.

Der erste Mai bleibt rot!

Nazis kamen nicht in die Mannheimer Innenstadt

Rund 3000 Menschen demonstrierten am 1. Mai 2001 eindrucksvoll gegen Faschismus und für einen roten 1. Mai. Neben dem DGB hatte ein breites Bündnis zur Demonstration und Kundgebung aufgerufen, um so ein machtvolles Gegengewicht zu der geplanten NPD-Demo zu bilden.

Rund 300 Faschisten versammelten sich am Bahnhof hinter der Post. Ein starkes Polizeiaufgebot schützte die Nazis und erzwang eine Gasse durch die zahlreichen antifaschistischen Gegendemonstranten.

Nach dem Verbot durch die Stadt war die NPD-Demo von den Gerichten erlaubt worden. Doch schon hier verhinderte die Stadtverwaltung die von der NPD vorgesehenen provokativen Kundgebungen vor der Moschee und vor dem Gewerkschaftshaus. Stattdessen wies die Stadt der NPD den Toulonplatz als Kundgebungsort zu.

Um die Kundgebung dort zu verhindern, besetzten mehrere hundert Demokraten schon frühzeitig den Platz. Doch so weit sollten die Faschisten nicht kommen. Kurz vor 13 Uhr zog der Demonstrationszug begleitet von fast 1000 Gegendemonstranten los. Doch schon nach wenigen hundert Metern war Schluss. Mehrere Hundert Demokraten saßen und standen auf der Kreuzung zwischen L 4 und L 6, direkt am Polizeipräsidium und blockierten die Straße. Zwar wurden diese von der Polizei eingekesselt, doch weiter passierte nichts.

In allen Seitenstraßen standen Demokraten, die die Faschisten blockierten, sodass es kein Weiterkommen gab. Auch die Polizeiführung war an einer Konfrontation mit den demokratischen Kräften, die sich durchweg ruhig verhielten, offenbar nicht interessiert. Eine Räumung der Blockade vor L4/L6 fand nicht statt.

Erst nach 15 Uhr kam Bewegung in die Kolonne. Polizeiwagen wendeten und eingeschlossen von der Polizei und immer begleitet von antifaschistischen Demonstranten bewegte sich der Zug wieder zurück Richtung Hauptbahnhof.

Auf der Kreuzung Kaiserring/Bismarckstraße hielt ein Nazi-Sprecher eine Ansprache, die jedoch weitgehend in Pfeikonzert und "Nazi-raus"-Rufen unterging.

Somit ist es zwar nicht gelungen, die Nazi-Demo vollständig zu verhindern, trotzdem ist es ein wichtiger Erfolg, dass die Faschisten ihre geplante Kundgebung inmitten unserer Stadt nicht abhalten konnten, sondern schon am Rande abgedrängt und wieder zurück geschickt wurden.

© copyright 2001 Bernd Merling, Mannheim
(www.bernd.merling.net)

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