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Kinder des 6. Dezember

Beate Zschäpe und das bürgerliche Gewissen

Von Velten Schäfer *

Ist ein Ruck durch Deutschland gegangen? Der Skandal um das Nazi-Trio aus dem Osten ist bereits vorbei, bevor der Prozess begonnen hat. Die Unterstützer wussten nichts voneinander, der Verfassungsschutz hat Fehler gemacht, ist aber nicht in Frage zu stellen. Die Polizei war wacker, wenn auch auf der falschen Fährte - und in einigen Städten werden kleine Plätze nach den Opfern benannt: In etwa das wird herausgekommen sein, wenn Deutschland diese ledige Geschichte demnächst abgehakt hat.

Bleibt noch die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte? Erste Ergebnisse wurden nun per Vorabdruck aus dem Buch »Die Zelle - Rechter Terror in Deutschland« im der »Zeit« veröffentlicht. Und siehe da: die NSU-Zelle war nur möglich, weil Uwe Mundlos Beate Zschäpe »noch so geliebt hat«, als sie nicht mehr zusammen waren. Ohne diese amour fou, haben die Journalisten Christian Fuchs und John Goetz herausgefunden, wäre die Dreiecksbeziehung der rechtsradikalen Militanten nicht funktionsfähig gewesen, da Zschäpe zuletzt ja mit dem anderen Uwe zusammen war.

Wie war das noch mal ganz genau? Den Nachbarn soll sie ja gesagt haben, sie habe nach anderthalb Jahrzehnten noch immer guten Sex. Wer denn nun mit wem? »Frau Zschäpe benahm sich den Männern gegenüber wie eine Ehefrau - nur eben für zwei Männer«, sagt einer der Bekannten des Trios. Aha, und gekocht hat sie, gut gerochen habe das. Sie habe lieber Prosecco als Bier getrunken, mit den Nachbarn gescherzt und ihre Katzen geliebt. Sie suchte im Internet nach Campingplätze, sie »leiht mehr als 300 Filme und Egoshooter-Computerspiele« bei einer Videothek aus! »Beate, die braune Witwe« sorgt demnach für die Emotionen, erzeugt mit Mamas Rezepten die »Familie«, die den Dreien in ihrer postsozialistischen Orientierungslosigkeit fehlte! Seltsam, dass noch nicht über Zschäpes bevorzugtes Haarwaschmittel berichtet wurde. Man könnte so schöne Sätze daraus drehen: »Während sie hinter zugezogenen Gardinen das Geld aus dem letzten Banküberfall zählt, duften ihre Haare nach grünem Apfelshampoo.«

Aber warum werden solcherlei Null-Informationen eigentlich in seriösen Zeitungen gedruckt? Es geht hier um mehr als den verdrucksten Voyeurismus der Gebildeten. Der Bürger braucht solche Geschichten: Um sein Gewissen zu imprägnieren, MUSS er den »Extremisten« dämonisieren. In den wohlgesetzten Andeutungen über das unklare amouröse Verhältnis, über Zschäpes vielleicht sogar halbrumänische Herkunft, über die vermeintliche Suche der drei nach »Geborgenheit« kann er das Wilde und Perverse erkennen, das er für seinen Popanz braucht - und zugleich seine Familienwerte rückversichern. Nur vor diesem Hintergrund kann etwa die Tatsache, dass Beate Zschäpe ein Kochbuch besaß, zu einer gruseligen Nachricht werden, die die »Zeit«-Redakteure zum Kursivsetzen des Titels animiert hat. Wie unheimlich: Das Abnorme mit alltäglichen Zügen!

Der Sinn dieses Schnüffelns im Lotterbett des »Extremismus« ist durchsichtig: Es dient der kategorischen Abspaltung des Gewaltrassismus vom eigenen aufgeklärten Bürgerbewusstsein, das nichts gegen Migranten hat, solange deren Kinder nicht in die selbe Kita gehen wie das eigene. Das es für engagiert hält, den nächsten Muslim auf »Ehrenmorde« anzusprechen - und für nur realistisch, auch einmal nachzurechnen, was diese kinderreichen Schwarzköpfen die Allgemeinheit eigentlich kosten. Hilfreich bei der Verschiebungsleistung ist, dass Zschäpe offenbar zunächst kurz bei den »Zecken« mitmachte. Siehe da: eine extreme Persönlichkeit! Es ist ein schöner Zufall, dass die selbe »Zeit«-Nummer mit dem Bundespräsidenten aufmacht, der auf die Frage »Kann man auf Deutschland stolz sein« auf der Titelseite mit »Ja, das ist jetzt möglich« antwortet.

Was der Bürger so dringend abspalten muss, sind die tatsächlichen Entstehungsbedingungen des Untergrundtrios. Es gibt Ereignisse, die politische Epochen auslösen - etwa den 11. September 1973, der 15 Jahre verschärften Guerillakrieges in Lateinamerika nach sich zog, weil er den dortigen linken Bewegungen klarmachte, dass es einen »demokratischen« Weg für sie nicht gibt. Nicht unähnlich, wenn auch in kleinerem Maßstab, war der 6. Dezember 1992 ein Schlüsselerlebnis für den deutschen und europäischen Rechtsradikalismus: An diesem Tag einigten sich die schwarz-gelbe Bundesregierung und die SPD-Opposition darauf, faktisch das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen, nachdem sich zuvor in Ost wie West gespenstische Pogromszenen zugetragen hatten.

Die Lektion dieser Geste war einfach und wurde verstanden: Eure Gewalt zahlt sich aus, signalisierte der Staat den Pogromisten. Und: Im Prinzip habt ihr ja Recht, nur artikuliert Euch parlamentarisch. Für die Dynamik subkultureller politischer Bewegungen ist solch ein positives »Momentum« unverzichtbar. Es gibt die Energie für das kraftraubende Wirbeln in halbformalen Gruppen, er gibt Ideen für Taktik und Kampagnen - und die Vision eines letztendlichen Erfolgs. Ohne den 6. Dezember sind weder die »national befreiten Zonen« vorstellbar, noch die Schweriner und Dresdner NPD-Fraktion - und sicherlich nicht der NSU. Man geht nicht eben mal in den Untergrund; es ist kein Zufall, dass dies den Dreien zumindest anfangs plausibel erschien. Vielleicht sind die drei tatsächlich ein Fall für die Gruppen- und Küchenpsychologie, ganz sicher aber sind sie Kinder des 6. Dezember.

In wenigen Wochen jähren sich die Brandnächte vor dem Rostocker Sonnenblumenhaus und im Winter der 6. Dezember selbst zum 20. Mal. Es gäbe auch ohne das Mördertrio Anlass genug, sich darüber zu verständigen, was genau damals und was seither geschah - und ob man wirklich so rückhaltlos stolz sein kann wie Joachim Gauck im »Zeit«-Gespräch. Ein Tipp in dem Zusammenhang an den Präsidenten, der die Deutschen so sehr lobt, weil es hier keine »rechtspopulistische« Partei gebe: Es war immer Strategie der Union, eine solche »überflüssig« zu machen. Härten? Ja, die gibt es vielleicht. Aber wir leben in der besten aller möglichen Welten.

* Aus: neues deutschland, Montag 4. Juni 2012


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