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Den Völkermord benannt

Das Bild vom Juden und der Holocaust im DDR-Schulunterricht

Von Andreas Fritsche *

War die DDR antisemitisch? Hat ihre Schule vierzig Jahre lang den Holocaust verschwiegen? War allein der kommunistische Widerstand Thema im Schulunterricht? Oder war nicht doch alles ganz anders und viel komplizierter?« Diese Fragen stellt sich der Journalist Matthias Krauß in seinem neuen Buch.

Er beantwortet sie auch, mit gleichermaßen einfachen wie einleuchtenden Mitteln. Krauß, der in Hennigsdorf nördlich von Berlin die Schule besuchte, kramte seine Lesebücher hervor und blätterte in seinen Heftern, schaute sich außerdem noch die Lehrpläne an. Dabei gelangt er zu einem Ergebnis, zu dem eigentlich jeder kommen muss, der diese Methode benutzt. Denn was behandelt wurde, war in der DDR viel genauer zentral vorgegeben als in der BRD üblich. Die Untersuchung von Krauß ist also weniger subjektiv gefärbt, als es vielleicht scheinen mag.

Friedrich Wolfs »Professor Mamlock« gehört zu den besten künstlerischen Auseinandersetzungen mit der Judenverfolgung. Das Drama kam im Unterricht dran. Aber damit beginnt die Liste zum Thema erst. Krauß nennt Willi Bredels »Frühlingssonate«, Johannes R. Bechers »Ballade von den Dreien«, verweist auf Passagen in Anna Seghers »Das siebte Kreuz« und auf die Beschreibung eines Pogroms in Nikolai Ostrowskis »Wie der Stahl gehärtet wurde« ... Und er erinnert daran, dass in »Nackt unter Wölfen« von Bruno Apitz zwar der kommunistische Widerstand im KZ Buchenwald im Vordergrund steht. Der Roman baue aber darauf auf, dass die Häftlinge ein jüdisches Kind vor der SS verstecken. »Nackt unter Wölfen hatte wie kein zweites Werk den Vorwurf zu illustrieren, die Erinnerungskulte seien zu DDR-Zeiten auf den kommunistischen Widerstand reduziert gewesen«, schreibt Krauß. Dabei sprechen die Zahlen der ermordeten »Roten« für sich. Verengt sei der Erinnerungsfokus dagegen heute – »auf die Offiziersrevolte vom 20. Juli 1944, als Hitlers gehätschelte Vollstrecker bemüht waren, mit einem Attentat auf den ›Führer‹ Großdeutschland und ihre eigenen Standesprivilegien zu retten«.

Kaum ein Schuljahr verging ohne Zeilen von Heinrich Heine. Freilich spielte die jüdische Herkunft des Dichters keine Rolle, räumt Krauß ein. Bei ihm jedenfalls war es so. Er sprach mit vielen, die ihm sagten, in der DDR nichts über den Holocaust gelernt zu haben. Das trifft sogar zu: Die DDR-Schule verschwieg den Holocaust tatsächlich, aber nur insofern, als der Begriff nicht verwendet wurde. Man sagte Völkermord. Die in der BRD gebräuchliche Bezeichnung Holocaust geht auf eine US-amerikanische Fernsehserie zurück. Antisemitische Einstellungen mag es vereinzelt gegeben haben. Der Staat DDR war nach Ansicht von Krauß jedoch nicht antisemitisch, sondern er verstand sich als antiimperialistisch. Eine kritische Sicht auf die Politik Israels gegenüber den Palästinensern sei noch längst kein Antisemitismus ist, betont er.

Das Buch ist nicht in einem wissenschaftlichen Stil geschrieben, sondern erfrischend feuilletonistisch gehalten. Es lebt von den Fähigkeiten des Matthias Krauß, der in Potsdam wohnt und arbeitet und dessen besondere Stärke als Journalist Politiker-Porträts und Analysen sind. Zu den Vorzügen seiner ebenfalls im Anderbeck Verlag erschienenen Angela-Merkel-Biografie zählt, dass er die CDU-Politikerin nicht platt runterschreibt, stattdessen seine Kritik aus einer fairen Beurteilung ableitet.

Krauß schaut genau hin. Er schont die DDR-Schule nicht. Er verhüllt keineswegs, was bei Louis Fürnbergs Gedicht »Abendgang« über den Vorabend der Befreiung Warschaus durch die Rote Armee verschwiegen wurde. Er sagt, dass Stalin die Landeerlaubnis hinter den sowjetischen Linien versagte, als britische Kampfflieger dem Aufstand der polnischen Heimatarmee zu Hilfe kommen wollten. Diese Ehrlichkeit, die keine Verklärung der DDR duldet, macht das Buch glaubwürdig, macht auch die These nachvollziehbar, dass die Juden die sowjetischen Truppen als Retter herbeisehnten. Als in Berlin kürzlich die Ausstellung »Das hat's bei uns nicht gegeben!‹ Antisemitismus in der DDR« eröffnet wurde, ging Krauß hin und informierte über sein Buch.

Matthias Krauß: Völkermord statt Holocaust. Jude und Judenbild im Literaturunterricht der DDR. Anderbeck Verlag, Leipzig 2007. 203 S., br., 14,80 EUR.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Mai 2007

Zur Geschichte des Begriffs "Holocaust"

Als Holocaust, auch Holokaust (von griechisch ὁλοκαύτωμα, holokáutoma: ὅλος holos - „ganz, vollständig“ - und καῦσις kausis - „Brand, Verbrennung“), bezeichnet man heute vor allem den Völkermord an etwa sechs Millionen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus (auch Shoa genannt) sowie die systematische und massenhafte Ermordung mehrerer nichtjüdischer Gruppen: von Roma, Sinti und Jenischen und weiteren sogenannten Zigeunern, von Behinderten, von Zeugen Jehovas, von Homosexuellen, von polnischen Intellektuellen, von sowjetischen Kriegsgefangenen und anderen, überwiegend slawischen Volksangehörigen.

Das griechische Wort holókaustos („vollständig verbrannt“) bezog sich auf die in der Antike verbreitete religiöse Praxis der Verbrennung von Tieren als Opfer. Dafür verwendete es erstmals der Historiker Xenophon, dann auch die griechische Bibelübersetzung, die Septuaginta. Über die lateinische Bibelübersetzung der Vulgata drang holocaustum in die englische Sprache ein, nicht aber in die deutsche, da Martin Luther den Ausdruck mit Brandopfer übersetzte.

Darum wurde der Völkermord an den europäischen Juden zunächst nur im englischen Sprachraum mit dem Wort Holocaust bezeichnet, erstmals im Dezember 1942 in der Tageszeitung News Chronicle. Diese verband noch ohne Kenntnis von „Vernichtungslagern“ damit bereits Adolf Hitlers Vernichtungsplan an den Juden: … the Jewish people are to be exterminated. Von nun an behielt der Begriff im politischen Diskurs diesen Sinn und setzte sich in der angelsächsischen Geschichtswissenschaft nach 1945 allmählich durch. Der Autor Frederick Forsyth machte 1972 diesen Sinn mit seinem Roman Die Akte Odessa einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Zwar gab es im Deutschen bereits das Fremdwort Holokaust, das aber kaum für den Völkermord an den Juden gebraucht wurde und in wichtigen Wörterbüchern nicht verzeichnet war. Doch seit der Fernsehserie "Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiß" von 1979 wurde der Begriff, auch in englischer Schreibweise, in der (alten) Bundesrepublik heimisch. Er bezeichnete nun verbreitet das, was zuvor als „Judenverfolgung“, „Judenvernichtung“, „Judenmord“ oder „Mord an den europäischen Juden“ umschrieben worden war.

Quelle: Wikimedia zum Stichwort "Holocaust"



Siehe auch:

Aufklärung: JUDEN IN DER DDR
Kurt Pätzold bespricht ein Buch von Detlef Joseph
"Ich ahnte nicht, wie viele es werden"
Eine Kärrnerarbeit mit Nutzwert für Historiker und gegen Legenden über die DDR: eine Bibliographie aller ostdeutschen Titel zu jüdischer Thematik. Ein Gespräch mit Renate Kirchner




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