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Zum Umgang mit dem Rechtsradikalismus

Hilfloser Antifaschismus zur Verteidigung des Wirtschaftsstandorts Deutschland

Der nachfolgende Text des weithin bekannten Münchener Soziologen Ulrich Beck wurde am 8. August 2000 im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht. Wir geben ihn hier wieder, weil Beck sehr sensibel die Implikationen der "anti"-rassistischen Argumentation innerhalb der politischen Klasse unseres Landes aufdeckt. Ein wenig erinnert die Haltung großer Teile der Öffentlichkeit an jenen "hilflosen Antifaschismus", den W.F. Haug schon vor fast 40 Jahren denselben Kreisen ins Stammbuch geschrieben hatte. Es ist schon grotesk, wie manche Politiker aller etablierten Parteien heute für ein härteres Durchgreifen in der rechtsextremen Szene plädieren und gleichzeitig jede antifaschistische Aktion gegen die provokativen Aufmärsche der Neonazis kriminalisieren und mit Polizeigewalt nieder halten. Entlarvend ist es, wenn dieselben Politiker ihr Herz für die Ausländer offenbar erst dann und nur dann entdecken, wenn wegen der zunehmenden rassistischen Hetze der "Wirtschaftsstandort Deutschland" in Gefahr zu geraten scheint. Dass auch Bundesumweltminister Trittin (Bü90/Die Grünen) vor wenigen Tagen in dieses Horn gestoßen hat, zeigt nur, wie herunter gekommen die politische Kultur hierzulande ist.

Den Vogel abgeschossen hat aber CSU-Generalsekretär Thomas Goppel, wenn er sich über die Berichterstattung über die rechten Gewalttaten beklagt. Man müsse, so meint Goppel, die Sache "etwas tiefer hängen". Der Presse warf er "Sensationsberichterstattung" vor, die nur Nachahmungstäter animiere und das Geltungsbedürfnis der Rechtsradikalen befriedige. So richtig zur Sache ging es dann in der Pressekonferenz der CSU (Dienstag, 7. August 2000), als Goppel zur Asylpolitik Stellung bezog. "Auch ein Bus ist irgendwann voll", meinte er und plädierte deshalb dafür, die Asylbewerber unter das Kontingent einer beschränkten Zahl von Zuwanderern (er sprach von 500.000 bis 700.000 jährlich) zu zählen. Mit der Bemerkung "Wir können nicht das Leid der ganzen Welt lindern" tut er so, als sei Deutschland das einzige Land, das anderen Menschen Asyl gewähre! Die Asylbewerber müssten bereits bei ihrer Ankunft in Deutschland "belegen", dass sie politisch verfolgt sind. Darüber hätten dann "Schnellgerichte" zu entscheiden.

Für "Schnellgerichte" plädierte in der CSU-Pressekonferenz auch der Unionsgeschäftsführer Peter Ramsauer, und zwar für Schnellgerichte für "Rechts- und linksextremistische Gewalttäter". Was davon in Bayern am Ende übrig bleiben wird, kann sich jeder selbst ausmalen.


Deutsche Lebenslügen

Der Umgang mit Fremden in Zeiten der Globalisierung

Von Ulrich Beck

Die Green Card für ausländische Computerspezialisten sollte in Deutschland mit einer Brown Card ausgegeben werden, witzelte neulich ein ausländischer Kollege, auf der die Stadtteile verzeichnet sind, die er meiden sollte, wenn ihm sein Leben lieb ist. Wie das Bombenattentat auf russische Einwanderer in Düsseldorf zeigt, ist es Ausdruck einer westlichen Bigotterie, den normalisierten Fremdenhass alleine den neuen Feinden im Osten, den glatzköpfigen Kindern des autoritären Kommunismus in die Schuhe zu schieben. Tatsächlich tobt sich hier ein gestörtes Verhältnis vieler Deutscher zu den sogenannten Fremden aus, das nicht nur in der Mitte der Gesellschaft, sondern auch in allen politischen Parteien beheimatet ist.

Es gibt keinen sanften Übergang in die multiethnische Weltgesellschaft. Aber diese ist auch kein Hirngespinst, kein Experiment, das man für gescheitert erklären kann, um dann zum nationalen Selbstverständnis einer abgeschotteten Gesellschaft zurückzukehren. Die multiethnische Gesellschaft ist vielmehr eine globale Realität und wird dies im Zuge der laufenden Globalisierungsprozesse immer mehr. Sie führt nicht nur zu einer bunten Vielfalt überlappender Herkunfts- und Identitätskategorien, sondern auch zu Abschottungen und Xenophobie – nicht nur in Deutschland, überall auf der Welt. Entscheidend ist allerdings, ob man sich für die neuen, verwirrenden Realitäten öffnet oder sich ihnen verschließt. Die Debatte in Deutschland weist in die zweite Richtung; sie ist von drei Lebenslügen geprägt.

Die erste, entscheidende Lebenslüge liegt in dem Bild des „rentablen Ausländers“ (Vera Gaserow), das jetzt in allen Parteien die Runde macht. Es beruht auf der gefährlichen Illusion, zwischen „guten“ und „schlechten“ Ausländern am Maßstab des nationalen Nutzens unterscheiden zu können, ohne dadurch die Basis des zivilisatorischen Zusammenlebens – die Grundrechte – zu zerstören.

In die Debatte um das bevorstehende Einwanderungsgesetz haben sich beunruhigende Töne eingeschlichen. Dass in der Münchner CSU ein Thesenpapier zur Ausländerpolitik vorgelegt wurde, in dem dafür plädiert wird, „dass jene zu uns kommen, die uns nützen und nicht ausnützen“, mag der Beobachter noch als erwartbar abtun. Auch die bigotte Konkretisierung: „Wer Vorbehalte gegen die Gleichstellung der Frau hat, ist hier nicht erwünscht“, wirkt wie aus dem Realkabarett. Hat man mitbedacht, wie viele CSU-Anhänger damit des Landes verwiesen werden müssten? Auch die FDP hat ein „Zuwanderungsgesetz“ in den Bundestag eingebracht, in dem sie, die ehemalige Partei der Bürgerrechte, von Regelungen für Ausländer spricht, „die Deutschland gut brauchen kann“ und gegen Ausländer, „die wir nicht so gut brauchen können“. Analog argumentieren CDU-Fraktionschef Merz oder SPD-Innenminister Schily.

Man muss sich das konkret ausmalen: Der Inder, der sein Computerwissen nach Deutschland mitbringt, ist ein guter, weil rentabler Ausländer. Er darf für fünf Jahre bleiben. Wie ist das mit dem polnischen Ingenieur, der Frau und zwei Kinder mitbringt – noch rentabel oder nicht mehr? Die malaysische Krankenschwester? Nun ja, wenn sie jung und der deutschen Sprache mächtig ist, wäre das durchzukalkulieren. Ganz und gar unrentabel sind allerdings die Flüchtlinge aus Bosnien und Afrika.

Das ist der Punkt: Nicht dass Rentabilitätskriterien für eine Einwanderungspolitik auch eine Rolle spielen, sondern dass unter der Hand ein Einwanderungsgesetz gegen das Asylrecht, indische Computerspezialisten gegen nachziehende Familienangehörige, sozialpflichtige Fachkräfte gegen Bürgerkriegsflüchtlinge, gute gegen schlechte Ausländer ausgespielt werden, verweist auf die deutsche Krankheit: Die Schwierigkeit, anzuerkennen, was seit Kant zum humanen Selbstverständnis gehört – dass mit den Menschenrechten anderer die eigenen Lebensgrundlagen verteidigt werden.

Bis heute gilt in Deutschland die Ausrede, dass man nicht wissen konnte, was mit den Juden in den KZs geschah. Dass es deutsche Staatsbürger waren, denen systematisch die Bürger- und Menschenrechte abgesprochen, die ausgesondert und abtransportiert wurden, wusste jeder, es galt aber nicht als verwerflich. Auch heute wieder klagt der brandenburgische Ministerpräsident Stolpe, dass die fremdenfeindlichen Jugendbanden „Deutschland einen Bärendienst erweisen“. Man fürchtet Einbrüche in der Tourismusbranche, sieht das Ansehen Deutschlands gefährdet, will aber nicht wahrhaben, dass nicht nur die Gewalt gegen sogenannte Fremde, sondern auch schon das Kalkül des rentablen Ausländers die Grundlagen des zivilen Zusammenlebens gefährdet.

Die zweite Lebenslüge ist die des „jodelnden Hightech“. Das heißt: Man glaubt, von der technisch-ökonomischen Globalisierung profitieren zu können, ohne sich offen den Herausforderungen eines multiethnischen Deutschlands stellen zu müssen. Wir leben unter den Bedingungen eines schizophrenen Liberalismus, und kaum einer merkt es. Da wird auf der einen Seite alles getan, um die Grenzen für Kapital durchlässig zu machen, während auf der anderen Seite die Grenzen für Arbeit nur dosiert geöffnet, ansonsten verbarrikadiert werden. Ähnlich wie man es jahrhundertelang für die „natürlichste“ Sache der Welt hielt, dass nur Männer – nicht aber Sklaven und Frauen – Menschen sind und Menschenrechte haben, hält man es heute für völlig selbstverständlich, dass dem Kapital und seinen Besitzern alle Grenzen offen stehen, während Arbeiter, die ihr „Investitionsglück“ in anderen Ländern suchen, als „Asylanten“ oder „Wirtschaftsflüchtlinge“ kriminalisiert werden. An den nationalen Grenzen findet eine merkwürdige Verwandlung statt zwischen „Mobilität“, die im Inneren des Landes allseits gefordert wird, und „Migration“, die allseits bekämpft wird.

Diese fundamentale Asymmetrie zwischen Kapital und Arbeit ist in der Tat bemerkenswert. Es gibt kein Kapitaleinwanderungsgesetz, und bislang ist auch keine an Heftigkeit vergleichbare Debatte darüber entbrannt, inwieweit sich multinationale Konzerne in die nationale und lokale Kultur integrieren, auch wenn das hier und dort bezweifelt wird. Aber verblüffend ist doch, wie wir in einer gespaltenen Bewusstseinswelt leben. Wenn die Rede von Globalisierung ist, meinen die Befürworter ausschließlich Kapital-Globalisierung, während die Globalisierung der Arbeit den meisten als ein krimineller Akt gilt.

Die dritte Lebenslüge ist die des „DM-Nationalismus“ (Habermas), der sich als Opfer der Globalisierung sieht, ohne zu erkennen, dass er tatsächlich ihr Nutznießer ist. Ähnlich wie andere europäische Wohlfahrtsstaaten (etwa Schweden, Dänemark, Österreich) beruht das „deutsche Modell“ auf einer höchst selektiven Öffnung gegenüber dem Weltmarkt, welche man die Strategie das schützenden Staates nennen kann. Sie beruht auf einer institutionalisierten Doppelmoral des freien Marktes. In ihr verbinden sich eine vergleichsweise radikale Offenheit für den Weltmarkt mit einer protektionistischen Politik nach innen: Nach außen können sich die Deutschen als Vorreiter der Weltmarktliberalisierung profilieren und auf diese Weise die Chancen ihrer Exportwirtschaft mehren. Nach innen sind sie in der Lage, nationale Firmen, Märkte und Arbeitsmärkte durch nationale Barrieren gegenüber „schädlichen Fremdeinwirkungen“ der Weltmarktkonkurrenz abzuschirmen.

Diese Festungsnische des schützenden Staates erlaubt nicht nur eine allgemeine Wohlstandssteigerung und das Einüben von demokratischen Normen, die nun im globalen Wettbewerb von großem Vorteil sein können. Sie setzen auch die Pflege eines ethnisch homogenen Selbstbildes sowie einer egalitären Solidarität voraus, die unter Bedingungen ethnischer Globalisierung protektionistische und fremdenfeindliche Reflexe aktivieren. Denn die wohlfahrtsstaatliche Nische konnte nur durch eine klare Innen-Außen-Differenz aufrecht erhalten werden. Der Genuss des weltwirtschaftlichen Wohlstands wurde also ermöglicht durch eine hohe Homogenität der Bevölkerung und ihres ethnischen Selbstverständnisses.

Kurz, der Weltmarkterfolg Deutschlands beruht auf einer nationalen Schließung, welche sich nun in der globalen Epoche als eine kulturell-politische Modernisierungsbarriere erweist. Hindert sie doch die geschützten Gesellschaften der doppelten Marktmoral daran, selbstkritisch ihre Rolle als selektive Globalisierungs-Gewinner wahrzunehmen, deren Wohlfahrtsnische gerade durch den Ausschluss anderer gewährleistet wird. Überdies werden in der öffentlichen Selbstwahrnehmung die national-egoistischen Kosten der Globalisierung dramatisiert. Denn dem Schreckgespenst der Denationalisierung, das durch Deutschland geistert, wird nicht wirklich das (gerade in Europa zum Greifen nahe) Bild einer transnationalen Erneuerung von Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und Sicherheit entgegengehalten.

ULRICH BECK
Aus: Süddeutsche Zeitung vom 8. August 2000

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