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Gesinnungsjustiz

Amtsgericht Dresden eröffnet Strafprozeß gegen Jenaer Jugendpfarrer Lothar König wegen Beteiligung an Blockaden gegen Neonazis

Von Markus Bernhardt *

Die Justizbehörden in Sachsen zeigen auch weiterhin ihre Zähne – zumindest gegen Neonazigegner. Am Donnerstag startete der Prozeß gegen den ­Jenaer Jugendpfarrer Lothar König vorm Amtsgericht Dresden. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 59jährigen vor, sich bei den gegen einen Neonaziaufmarsch gerichteten Protesten im Februar 2011 in der sächsischen Landeshauptstadt des schweren aufwieglerischen Landfriedensbruches, der versuchten Strafvereitelung und der Beihilfe zum Widerstand gegen Polizisten schuldig gemacht zu haben. Damals hatten sich mehr als 20000 Nazigegner in Dresden versammelt und einen Aufmarsch von rund 2000 angereisten Neofaschisten verhindert.

Staatsanwältin Ute Schmerler-Kreuzer warf König beim Verlesen der Anklageschrift vor, eine teilweise vermummte, mit Holzlatten und Steinen bewaffnete Menge dirigiert, unterstützt und zu Gewalt aufgefordert zu haben. Für Lacher unter den Zuschauern sorgte die Anschuldigung, das Abspielen von Musik mit »aggressivem und anheizendem Rhythmus« hätte die »Angehörigen des linksautonomen Spektrums« zusätzlich aufgewiegelt – gemeint sind u. a. die Rolling Stones.

Sieben Verhandlungstage hat das Gericht angesetzt, um König den Prozeß zu machen. Sollte er verurteilt werden, drohen ihm sechs Monate bis zehn Jahre Haft. Schon bei vergangenen Verfahren – etwa gegen den Berliner Antifaschisten Tim H. – hatten die Justizbehörden für bundesweite Entrüstung gesorgt. Sie hatten den Fami­lienvater im Januar diesen Jahres wegen angeblicher »Rädelsführerschaft« bei den Dresdner Protesten zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt.

Während die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Berufung eingelegt hat – die Verurteilung gilt ihr als zu gering – wurden alle Ermittlungen gegen die Wegbereiter des staatlichen Überwachungswahns 2011 in Dresden eingestellt. Die Behörden hatten damals mittels einer sogenannten Funkzellenabfrage mehr als eine Million Datensätze von Mobiltelefonen gespeichert und IMSI-Catcher eingesetzt, mit deren Hilfe Telefongespräche mitgehört werden können. Am Tag selbst gingen die eingesetzten mehreren Tausend Polizisten nicht nur mit unbemannten Überwachungsdrohnen, sondern auch mit brachialer Gewalt, Pfefferspray und Wasserwerfern gegen Antifaschisten vor. Ein schwerbewaffnetes Sondereinsatzkommando stürmte außerdem das »Haus der Begegnung« in Dresden. Außerdem schrieb die Polizei bundesweit Busunternehmen an, um detailliert Auskunft über Strecken, Namen und Adressen der eingesetzten Fahrer und derer, die die Busse angemietet hatten, zu erschleichen.

Mehrere Bundestags- und Landtagsabgeordnete – maßgeblich der Linkspartei – wie etwa deren früherer sächsischer Fraktionschef Andrè Hahn wurden mit Strafverfahren überzogen. Gegen Hahns Fraktionskollegen Klaus Bartl läuft aktuell ein Verfahren aufgrund seiner Beteiligung bei den Antinaziprotesten im Februar 2012.

Pfarrer König erhielt indes am Donnerstag Beistand von verschiedenen Politikern. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse nannte das Vorgehen der Behörden in Sachsen »besorgniserregend«. Der Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD) solidarisierte sich ebenso mit dem Theologen wie Bodo Ramelow, Linksfraktionschef in Thüringen. Letztgenannter bezeichnete es als »ungeheuerlichen Vorgang, daß Menschen, die gegen braunen Ungeist Flagge zeigen, von der Staatsmacht vor den Kadi gezerrt werden«.

* Aus: junge Welt, Freitag, 5. April 2013

Massiver Amtsmißbrauch

In einem Schriftsatz vom 3.4.2013 nahm Rechtsanwalt Johannes Eisenberg Stellung zur Anklageschrift gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König, dem u.a. wegen schweren Landfriedensbruchs vor dem Dresdner Landgericht der Prozeß gemacht wird. Wir dokumentieren einen Auszug:

Das Verfahren ist von schweren, die Voreingenommenheit der Staatsanwaltschaft belegenden Fehlern und von massivem Amtsmißbrauch der Ermittlungsbehörden geprägt.

Dem Angeklagten wurde vor Anklageerhebung kein rechtliches Gehör gewährt. Er ist nicht befragt worden. Was er zu den Vorwürfen zu sagen hat, interessierte niemand. Niemand hat je Mitglieder der Jungen Gemeinde zu der inneren Haltung des Angeklagten befragt, das interessierte niemanden. Die Dresdener Strafverfolger hätten von den jungen Leuten erfahren, daß der Angeklagte Polizeibeamte nie »Bullen« nennt, daß er ein Mann ist, der Friedfertigkeit predigt und eines jeden Recht auf körperliche Unversehrtheit stets verteidigt. Er war statt dessen von Anbeginn der Ermittlungen als TV, als tatverdächtig stigmatisiert.

Er hatte Verteidiger. Ich jedenfalls aber wußte ebenfalls bis zur Anklageerhebung nicht, was ihm eigentlich von den vielen Erlebnissen am 19.2.2011 als Straftat vorgeworfen werden würde. Daher konnte auch ich mich für ihn nicht äußern. Als wir dann (…) die Anklage in den Händen hielten, haben wir dazu binnen weniger Wochen bis Ende Januar 2012 umfassend Stellung genommen und beantragt, die Anklageschrift nicht zuzulassen. Tatsächlich, so erweist unser späterer Aktenfund, waren die Ermittlungen zum Zeitpunkt der Anklageerhebung auch gar nicht beendet. Hinter dem Rücken von Angeklagtem und Verteidigung wurde munter weiter ermittelt.

Auch unsere Stellungnahme zur Anklageschrift und unser Nichteröffnungsantrag interessierte niemanden: Die Staatsanwaltschaft erwiderte erst im April. Die Erwiderung verblieb in der Akte, der Richter schickte sie uns nicht, wir konnten mangels Kenntnis nicht erwidern. Erst mit der Entscheidung über die Anklageeröffnung im November übersandte das Gericht sie uns. (…)

Zuletzt wurde durch einen Zufall die erneute Verletzung des rechtlichen Gehörs des Angeklagten durch die Unterdrückung von Beweismaterial und Aktenbestandteilen ans Tageslicht befördert. Wir erinnern daran, daß die Verteidigung am 14.3.2013 durch einen Zufall in der Originalakte Beweismaterial gefunden hat, das bis dahin der Verteidigung vorenthalten worden war. In den Aktenduplikaten, die der Verteidigung auf ihre Akteneinsichtsanträge übersandt wurden, waren diese Unterlagen nicht enthalten. Die Staatsanwaltschaft hat mittlerweile in einem internen Vermerk eingeräumt, daß dieses Material zum überwiegenden Teil zu den Sachakten gehört, also in die Akte hätte eingepflegt werden müssen. Nach dem Inhalt der Akten können diese Teile um den 17.4.2012 zur Hauptakte des Gerichts als Loseblattsammlung gelangt sein. Die Staatsanwaltschaft verweigert bis heute die Antwort auf die Frage, warum diese Aktenteile nicht »offiziell« an das Gericht übersandt und in die Akte eingepflegt wurden.

Der Richter wiederum behauptet in einer Verfügung nach dem Aktenfund der Verteidigung ernsthaft, das Material, obschon lose in der Akte herumliegend, seit dem 17.4.2012 nicht wahrgenommen zu haben. Und das obwohl das Gericht erst im November 2012 über die Zulassung der Akte entschieden hat. Entweder lügt der Richter, oder aber er hat das Aktenstudium vor der Eröffnungsentscheidung unterlassen, oder aber er hat die Originalakte nicht genutzt. Als ich am 14.3.2013 erstmals diese Akte in der Hand hielt, ist mir bereits beim Ergreifen der Akte diese Loseblattsammlung entgegen gefallen. Sie konnte nicht übersehen werden. (…)

Quelle: jg-stadtmitte.de

(junge Welt, Freitag, 5. April 2013)




"Eine bösartige Anklage"

Verhandlung gegen Jenaer Jugendpfarrer begonnen / Lothar König hofft auf fairen Prozess

Von Hendrik Lasch, Dresden **


In Dresden hat der Prozess gegen Pfarrer Lothar König begonnen, dem schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen wird. Der 59-Jährige wies die Vorwürfe zum Prozessauftakt zurück.

So unterschiedlich lässt sich Musik hören - »Paint It Black« zum Beispiel. Dresdner Staatsanwälte hören in der Rolling-Stones-Nummer aus dem Jahr 1966, die der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König bei der großen Antinazi-Demo am 19. Februar 2011 in Dresden aus dem Lautsprecher seines blauen VW-Busses abspielte, Musik mit »aggressiv-aufheizendem Rhythmus«. König selbst sagt, das sei eine »olle Kamelle«, von der sich keiner anheizen lässt. Wenn er aber zur Demo mitfahre, wolle er »auch mal alte Musik spielen«.

So völlig unterschiedlich lässt sich auch jener 19. Februar darstellen, an dem 20 000 Menschen den europaweit größten Naziaufmarsch verhindern und 4500 Polizisten sie daran hindern wollten. Als Tag voller Gewalttätigkeiten beschrieb ihn Staatsanwältin Ute Schmerler-Kreuzer gestern zum Auftakt der Verhandlung gegen König am Dresdner Amtsgericht - und der Pfarrer habe dazu beigetragen: Der blaue Bus sei »Führungszentrale« gewesen, aus der Attacken auf Polizisten koordiniert worden seien. König dagegen erklärt, er habe sich als Teil einer »aufgeweckten Menge« erlebt, die sich Nazis in den Weg gestellt habe - und deren Mitglieder er »zusammenhalten, ihnen Mut machen und sie davor bewahren wollte, sich selbst strafbar zu machen«. Zu Gewalt gegen Polizisten, betonte er, habe er nicht aufgerufen.

König ist, so charakterisiert ihn sein Verteidiger Johannes Eisenberg, ein »Mann, der Friedfertigkeit predigt«. Der Pfarrer zeigt sich denn auch nur ehrlich verwundert über die Vorwürfe: »Wie können zwei Menschen dasselbe Geschehen so diametral anders sehen?«, fragte er in seiner nachdenklichen Einlassung die Staatsanwältin. Eisenberg dagegen predigt nicht; er ficht mit scharfer Klinge - und sezierte die Anklage genüsslich. Sie stütze sich in Teilen auf »dreiste Falschdarstellungen« und sei in anderen Punkten »bösartig«. In der Schrift, die König unter anderem schweren Landfriedensbruch, Strafvereitelung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorwirft, wimmele es von Fehlern, die der »Voreingenommenheit der Staatsanwaltschaft« gegenüber König geschuldet seien. Eisenberg warf der Anklagebehörde zudem »Amtsmissbrauch« vor, etwa, weil König während der Ermittlungen nie befragt worden sei: »Das interessierte offenbar niemanden.«

Zu Beginn der Verhandlung in dem mit 116 Zuschauern und Medienvertretern voll besetzten Saal hatte die Verteidigung beantragt, die Anklage gar nicht zu verlesen. Diese liefere ein »unscharfes, lückenhaftes Gesamtbild« und mache »Stimmung gegen den Angeklagten«, sagte dessen Co-Verteidigerin Lea Voigt. Sie gab zu bedenken: »Wie soll jemand nachweisen, was er nicht gesagt hat, wenn er nicht weiß, was er gesagt haben soll?!« Eisenberg ergänzte, die Anlage sei so fehlerhaft, dass sich »der Angeklagte nicht verteidigen kann«. Dieser Antrag wurde vom Vorsitzenden Richter Ulrich Stein aber zurückgewiesen.

Absehbar ist für die bis 30. Juni angesetzten sechs Verhandlungstage nun ein mit harten Bandagen geführter Streit um grundlegende Fragen des Demonstrationsrechts, aber auch um ominöse »Aufenthaltsverbotszonen«, die in der Anklage dutzendfach erwähnt werden, obwohl es sie laut Auskunft der sächsischen Regierung nicht gab, und um einzelne Lautsprecherdurchsagen, die Anklage und Verteidigung völlig unterschiedlich wiedergeben. König erklärte derweil, er erhoffe sich einen »fairen Prozess« - und »Signale, dass wir Leute brauchen, die Widerspruch anmelden«.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 5. April 2013


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