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Prozess gegen Pfarrer König ist geplatzt

Polizei hielt Beweise zurück *

Der Prozess gegen den Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König vor dem Amtsgericht in Dresden ist nach sieben Verhandlungstagen vorerst beendet. Auslöser dafür ist umfangreiches Videomaterial, das die Verteidigung zur Verfügung gestellt bekam und gestern in das Verfahren einführte. Etliche der dort zu sehenden Sequenzen entlasten König. Da es sich jedoch um 200 Stunden Filmaufnahmen handelt, ist eine umfassende Auswertung im laufenden Prozess nicht möglich. Dieser müsste daher gegebenenfalls völlig neu eröffnet werden – »in vier, fünf oder sechs Monaten«, sagte der Vorsitzende Richter Ulrich Stein. Königs Verteidiger verlangen derweil die komplette Einstellung des Prozesses. Rechtsanwältin Lea Voigt verwies gegenüber »nd« zur Begründung nicht nur auf die Haltlosigkeit der Anklagevorwürfe, sondern auch auf die persönliche Belastung und die »Vorverurteilung« ihres Mandanten.

Der 59-jährige König stand in Dresden seit dem 4. April vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft warf ihm schweren Landfriedensbruch vor. Er soll bei den Protesten gegen einen Naziaufmarsch am 19. Februar 2011 Demonstranten zu Gewalttaten aufgewiegelt haben, etwa durch das Abspielen »aggressiver« Musik und Lautsprecherdurchsagen. Viele Vorwürfe hatten sich schon bei den bisherigen Zeugenvernehmungen als haltlos erwiesen.

Nach der gestrigen Entscheidung hagelte es nicht nur Kritik an Polizei und Justiz; auch Sachsens Landesregierung gerät unter Druck. LINKE und SPD fordern Stellungnahmen von CDU-Innenminister Markus Ulbig und FDP-Justizminister Jürgen Martens in den Ausschüssen des Landtags. Dem Ansehen Sachsens sei »schwerer Schaden zugefügt« worden, sagte Henning Homann (SPD). Klarstellungen der Minister seien nötig, damit diese »nicht selbst in den Verdacht geraten, ein politisch motiviertes Verfahren betrieben zu haben«, sagte die LINKE Kerstin Köditz. Ihre Fraktion behält sich weitere parlamentarische Schritte vor.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 3. Juli 2013


Beweise aus der Fälscherwerkstatt

Entlastendes Videomaterial aufgetaucht – Dresdner Prozess gegen Pfarrer König ausgesetzt

Von Hendrik Lasch, Dresden **


Nach sieben Verhandlungstagen ist der Dresdner Prozess gegen Jugendpfarrer Lothar König geplatzt. Ob er je eine zweite Auflage erlebt, ist unklar.

Es sind drei Videoschnipsel, die der Anklageschrift von Staatsanwältin Ute Schmerler-Kreuzer den Garaus machen. Sie zeigen Ereignisse bei einer Demonstration am 19. Februar 2011 in Dresden. An jenem Tag, an dem an der Elbe 20 000 Menschen gegen Nazis demonstrierten, soll sich der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König – zumindest nach bisheriger Überzeugung der Anklage – des schweren Landfriedensbruchs schuldig gemacht und Demonstranten zu Gewalttaten gegen Polizisten aufgewiegelt haben. Seit 4. April muss er sich deshalb vor dem Amtsgericht Dresden verantworten.

Seit gestern ist die Staatsanwältin vermutlich nicht mehr ganz so überzeugt. Königs Verteidigung legte dem Gericht eine Festplatte vor, die sie vorige Woche erhalten habe und auf der sich 200 Stunden Videomaterial befinden. Viele der Sequenzen sind offenbar geeignet, die Vorwürfe gegen König zu entkräften. Eine Kostprobe gaben die gestern im Gerichtssaal gezeigten drei Passagen. Es ist zu sehen, dass – anders als von der Anklage behauptet – ein Vorrücken von Demonstranten gegen die Polizei nicht auf eine Durchsage Königs aus dem Lautsprecherwagen der Jungen Gemeinde Jena zurückgeht, sondern auf eine Aufforderung per Megafon. König hat, wie ein weiteres Video belegt, die Szene nicht einmal sehen können.

Derlei Filmsequenzen belegen aus Sicht der Verteidigung, dass sich die Anklage gegen König auf sehr selektiv zusammengestelltes Material stützt. Die Polizeiermittler hätten dabei offenbar »vorsätzlich die Teile ausgesondert, die gegen die These von Lothar König als Anführer sprechen«, wetterte Rechtsanwalt Johannes Eisenberg, der bei der Polizei sogar »eine Art Fälscherwerkstatt« am Werk sieht. Gegen mindestens einen Beamten wurde deshalb bereits Anzeige gestellt. Er hatte behauptet, für einen bestimmten Zeitraum gebe es kein Videomaterial – was sich als falsch erwies. Nur ist darauf statt Königs blauem ein weißer Lautsprecherwagen zu sehen.

Für die Anklage, deren Vorwürfe sich bereits zuvor in Zeugenvernehmungen als fragwürdig bis haltlos erwiesen hatten, dürften sich die jetzt aufgetauchten Videos als vernichtender Schlag erweisen. Schmerler-Kreuzer sprach kleinlaut von »Beispielen für entlastendes Material«, suchte ihre Behörde aber aus der Schusslinie zu nehmen: Man habe »keine Veranlassung« zu der Vermutung gehabt, dass im von den Ermittlern vorgelegten Konvolut »relevantes Material fehlen könnte«.

Einig sind sich die Verfahrensbeteiligten jedenfalls, dass die Videos ausgewertet werden müssen – was im laufenden Verfahren aber unmöglich ist. Auf 600 Stunden beziffert der Vorsitzende Richter Ulrich Stein den Aufwand. Zudem müssen im Lichte der neuen Unterlagen vermutlich Zeugen erneut vernommen werden. »Der Aufwand, noch einmal neu zu beginnen, wäre nur vermeintlich größer«, sagt Stein daher nach zweistündiger Beratung und verkündet dann die Sensation: Das Verfahren wird vollständig ausgesetzt und müsste gegebenenfalls neu aufgerufen werden – »in vier, fünf oder sechs Monaten«, wie Stein anfügt.

Ob es dazu kommt, ist unklar. Königs Verteidiger verlangen die vollständige Einstellung – obwohl König damit ein sauberer Freispruch verwehrt bliebe. Sie verweisen aber auf die Vorverurteilung und die Strapazen des Verfahrens für ihren Mandanten. Und auch der sprichwörtliche Verfolgungseifer der sächsischen Justiz dürfte durch das peinliche und von bundesweiten Negativschlagzeilen begleitete Verfahren, in dem nichts auf ein hartes Urteil hindeutete, etwas erlahmt sein. Beobachter sehen denn auch in der jetzigen Entscheidung kurz vor den Ferien einen eleganten Weg für alle Beteiligten, die Sache zu beerdigen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 3. Juli 2013


Videos als Königsweg

Von Hendrik Lasch ***

Videokameras könnten auf Demonstrationen der Antifa bald zur Grundausstattung gehören. Das ist eine Lehre aus dem Verfahren gegen Jenas Jugendpfarrer Lothar König. Dass dieses gestern vor dem Dresdner Amtsgericht spektakulär platzte, ist vor allem Unmengen Videos zu danken – solchen der Polizei, aber auch solchen, die Mitglieder von Königs Junger Gemeinde im Februar 2011 in Dresden erstellten.

Es waren vor allem diese Sequenzen, die es der Verteidigung erlaubten, die angeblich unanfechtbaren, weil in Filmform vorgelegten »Beweise« der Anklage zu zerpflücken: als einseitig und offenkundig sogar vorsätzlich manipuliert. Passagen, die König entlasten, waren dabei unter den Tisch gefallen. Das widerspricht allen Regeln des Rechtsstaats, und es ist – gerade in einem Prozess, von dem man annahm, dass er wegen der politischen Brisanz und der bundesweiten Aufmerksamkeit ganz besonders gründlich vorbereitet wurde – schlichtweg ein Skandal, der Sachsens Landespolitik vermutlich noch eine Weile beschäftigen wird.

Was freilich zu denken gibt: Die Manipulation wurde versucht, obwohl das Verfahren gegen König zahllose Zuschauer und dieser zudem einen Anwalt hatte, der eigenwillig, aber zweifellos exzellent agiert. Was aber, so lautet die von König gestern selbst aufgeworfene Frage, ist mit denen, die ebenfalls vor Gericht landen und sich nicht nur von einem Provinzanwalt vertreten lassen, sondern – schlimmer noch – allein auf vermeintlich objektive »Videobeweise« der Polizei verlassen müssen?

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 3. Juli 2013 (Kommentar)


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