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Haft für den Mann am Megafon

Dresdner Gericht fällt hartes Urteil gegen Teilnehmer von Anti-Naziprotest 2011

Von Hendrik Lasch, Dresden *

Ein vermeintlicher »Rädelsführer« bei Protesten gegen einen Naziaufmarsch am 19. Februar 2011 in Dresden wurde vom dortigen Amtsgericht zu einer Haftstrafe von 22 Monaten verurteilt.

»Irgendwann hat die Bevölkerung in Dresden es mal satt« – mit dieser Ansicht begründete Amtsrichter Hans-Joachim Hlava sein hartes Urteil gegen einen Teilnehmer der Anti-Naziproteste vom 19. Februar 2011 in der sächsischen Landeshauptstadt. Der 36-jährige Familienvater wurde zu einer Haftstrafe von 22 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Sein Verteidiger Sven Richwin hält eine Berufung für wahrscheinlich: Er habe seine Hoffnung »ohnehin nicht auf die erste Instanz gesetzt«.

Die Anklage hatte dem gelernten Industriemechaniker vorgeworfen, als »Rädelsführer« den gewaltsamen Durchbruch einer Polizeiabsperrung in der Südvorstadt koordiniert und per Megafon Anweisungen gegeben zu haben. Dabei sollen Steine geflogen und die Polizisten mit Latten angegriffen worden sein. Die Polizei hatte 2011 versucht, die Rechtsextremen und die Gegendemonstranten auf beiden Seiten der Elbe getrennt zu halten, war dieser Aufgabe aber schon zahlenmäßig nicht gewachsen. Das Bündnis »Dresden nazifrei!« wiederum hatte zu Blockaden aufgerufen, die ein »Durchfließen« der Polizeiketten zur Voraussetzung hatten. Zentrales Prinzip im »Aktionskonsens« war aber der Verzicht auf Gewalt. Das wurde nicht überall befolgt: Südlich des Hauptbahnhofs gab es teils heftige Scharmützel. Im konkreten Fall standen Hunderten Protestierern nur 14 Polizisten gegenüber. Beim Durchbruch wurden Beamte verletzt; es gab Knalltraumata durch Böller, Platzwunden und Prellungen.

Ob und welche Rolle der Angeklagte freilich an diesem Tag tatsächlich spielte, ist offen. Ein Zeuge hatte ihn im Gericht nicht identifizieren können. Der Staatsanwalt verweist auf ein Polizeivideo. Dort sei ein Mann zu sehen, dessen Statur der des Angeklagten gleicht. Das Vorgehen verrate »hohe kriminelle Energie«, sagte der Staatsanwalt. Der Vorwurf lautete auf besonders schweren Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung und Beleidigung. Der Ankläger forderte sogar zwei Jahre und sechs Monate Haft. Dagegen hält es der Verteidiger nicht für erwiesen, dass der Angeklagte überhaupt der Mann auf dem Video ist. Auch gehe es allenfalls um einfachen Landfriedensbruch. Die Verletzungen der Polizisten müsse sich sein Mandant nicht zur Last legen lassen.

Richter Hlava ist anderer Meinung: »Was andere getan haben, müssen Sie sich mit anrechnen lassen«, sagte er in seiner Urteilsbegründung zum Angeklagten. Er warf ihm zudem vor, sich vor Gericht nicht geäußert und nicht erklärt zu haben, »wie Sie zur Gewalt stehen«. Nebulös formulierte er weiter, die »politische Vita« des 36-Jährigen zeige, »dass Sie dabei waren«. Hlava machte kein Hehl daraus, dass der Richterspruch, der knapp vier Wochen vor einem erneuten Naziaufmarsch und geplanten Gegenaktionen am 13. Februar erging, eine abschreckende Wirkung haben soll. Das historische Datum ziehe Rechte und »automatisch auch Linke« an und werde »politisch von beiden Seiten ausgenutzt«. Die Einwohner, so meinte der Richter zu wissen, hätten davon die Nase voll.

Verteidiger Sven Richwin hält das Urteil im Vergleich zu ähnlichen Verfahren etwa rund um den 1. Mai in Berlin für überzogen: »Es sprengt jeden Rahmen«, sagte er auf »nd«-Nachfrage. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die Strafe nicht wenigstens zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der 36-Jährige ist Vater eines Kindes und hat eine feste Anstellung beim Bundesvorstand der LINKEN. Es gehörte zu den Merkwürdigkeiten des Prozesses, dass ein Vertreter des Arbeitgebers als Zeuge vor Gericht gehört wurde – und das, obwohl der Angeklagte dort erst nach dem Februar 2011 angestellt wurde.

Richwin hofft jetzt auf die nächste Instanz. Während das Amtsgericht Dresden mittlerweile überregional für harte Urteile gegen Teilnehmer von Blockaden und anderen Protesten bekannt ist, haben andere Gerichte diese zumindest teilweise abgemildert.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 17. Januar 2013


Haft nach Anti-Naziprotesten

Von Hendrik Lasch **

Ein »populäres Urteil« nennt der Verteidiger den Richterspruch, der am Amtsgericht Dresden gegen einen Teilnehmer der Anti-Naziproteste vom 19. Februar 2011 gefällt wurde. Das ist höflich formuliert: »Populistisch« träfe den Tenor besser. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse hatte nicht zuletzt wegen des unnachgiebigen Umgangs der sächsischen Justizbehörden mit Protestierern und Blockierern das Wort von der »sächsischen Demokratie« geprägt. Gestern wurde dessen Berechtigung einmal mehr bestätigt. Erneut wurde die ganz große Keule herausgeholt. Zugestanden: Dem Angeklagten wurde nicht vorgeworfen, sich nur friedlich auf eine Straße gesetzt zu haben. Er soll zu Angriffen auf Polizeisperren animiert haben, bei denen Steine flogen und mit Latten geprügelt wurde. Man kann mit Recht argumentieren, dass derlei gewaltsame Aktionen, die, gepaart mit dem desaströsen Konzept der Polizei, an jenem Tag für teils chaotische Szenen in Dresden sorgten, dem Anliegen der friedlichen Proteste nicht zuträglich waren und ihnen nicht mehr Rückhalt in der Dresdner Bevölkerung verschafften. Dass aber ein 36-jähriger Familienvater für Durchsagen per Megafon für ein Jahr und zehn Monate ins Gefängnis geschickt und die Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, sprengt jeden Rahmen. In Berlin sind, etwa bei Ausschreitungen rund um den 1. Mai, niedrigere Strafen üblich. Hoffnung kann jetzt nur in die nächste Instanz gesetzt werden. Die hat mehrfach überharte, auf Abschreckung ausgerichtete Urteile korrigiert – auch in Dresden.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 17. Januar 2013 (Kommentar)


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