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Dresdner Verfolgungseifer

Sächsische Justiz geht wegen Teilnahme an antifaschistischen Massenblockaden gegen prominente Linke vor. Neonazis wollen künftig in Magdeburg marschieren

Von Markus Bernhardt *

Mehrere zehntausend Menschen haben in den vergangenen Jahren an antifaschistischen Massenblockaden in Dresden teilgenommen. Neonazis waren jeweils zum Jahrestag der Bombardierung der Elbmetropole durch alliierte Streitkräfte am 13. Februar 1945 in der sächsischen Landeshauptstadt aufmarschiert, um besagtes Datum für ihre Propaganda von einem angeblich gegen die Zivilbevölkerung gerichteten »Bombenholocaust« zu mißbrauchen. Das Bündnis »Nazifrei – Dresden stellt sich quer!« rief erfolgreich zu antifaschistischen Massenblockaden auf. Es fand die Unterstützung von Gewerkschaften, Linkspartei, DKP und sogar von prominenten Vertretern von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Trotz klarer höchstrichterlicher Blockade-Urteile ging die sächsische Justiz sowohl während als auch nach den Protesten gegen die Neonazigegner vor.

Aktuell muß sich André Hahn, ehemaliger Vorsitzender der sächsischen Linksfraktion, vor dem Dresdner Amtsgericht wegen seiner Teilnahme an den Blockadeaktionen 2010 vor Gericht verantworten. Dies, obwohl der Linke-Landtagsabgeordnete, der als Spitzenkandidat seiner Partei zu den Bundestagswahlen im kommenden Jahr antritt, zu dem Zeitpunkt, als der Aufmarsch der Neonazis eigentlich starten sollte, bereits an einer Menschenkette auf der anderen Seite der Elbe teilnahm. Ein Verfahren gegen Hahns Fraktionskollegen Klaus Tischendorf, dem die Polizei ursprünglich auch vorwarf, an den Blockaden teilgenommen zu haben, wurde indes bereits im Mai 2010 von der Justiz eingestellt (siehe unten). Es gäbe kein »öffentliches Interesse an der Strafverfolgung«, da »die Schuld« Tischendorfs als »gering anzusehen« sei, hieß es in der damals übermittelten Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft. Den Linken-Politikern Klaus Bartl und Falk Neubert wirft die Justiz hingegen ihre Teilnahme an den Massenblockaden 2011 vor. Auch ihnen soll der Prozeß gemacht werden.

Antifaschismus in Sachsen ist von der etablierten Politik alles andere als erwünscht. Das wurde auch durch die Einleitung von Verfahren nach Paragraph 129 Strafgesetzbuch – »Bildung einer kriminellen Vereinigung« – deutlich, mit dessen Hilfe die Polizei die Aktivitäten des Bündnisses »Dresden nazifrei« ausspionierte. Zudem sammelten die Behörden im Rahmen einer sogenannten Funkzellenabfrage über eine Million Telekommunikationsdaten. Zwar wurden die meisten der Strafverfahren mittlerweile sang- und klanglos eingestellt. Was aus den ausspionierten Daten der Antifaschisten wurde, bleibt jedoch das Geheimnis der sächsischen Polizei, Justiz und des dort aktiven Inlandsgeheimdienstes.

Aufgrund der erfolgreichen Verhinderung des rechten Großevents in den vergangenen Jahren und weil der 13. Februar 2013 auf einen Wochentag fällt, gehen antifaschistische Organisationen derzeit davon aus, daß die Neonazis im kommenden Jahr nur einen regionalen Aufmarsch in der sächsischen Landeshauptstadt durchführen und auf eine bundesweite Mobilisierung verzichten. Wahrscheinlich ist, daß die braunen Geschichtsverfälscher zur Großdemonstration in Magdeburg aufrufen. Nach derzeitigem Stand liegen offenbar sowohl für den 12. als auch den 19. Januar 2013 Anmeldungen von Neonazis in der sachsen-anhaltinischen Landeshauptstadt vor (siehe jW vom 30./31. Oktober).

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 01. November 2012


»Vorgehen ist politisch motiviert«

Freistaat Sachsen macht wegen Protestdemonstrationen gegen neofaschistische Geschichtsklitterung mehreren Politikern der Partei Die Linke den Prozeß. Ein Gespräch mit Klaus Tischendorf **


Ihrem Fraktionskollegen André Hahn wird wegen seiner angeblichen Teilnahme an den antifaschistischen Massenblockaden im Februar 2010 vor dem Dresdner Amtsgericht gerade der Prozeß gemacht. Ein Verfahren gegen Sie wegen des gleichen Vorwurfes wurde eingestellt. Wie erklären Sie sich diese Ungleichbehandlung?

Das selektive Vorgehen der Staatsanwaltschaft ist offensichtlich politisch motiviert. Die Strafverfolgung ausschließlich gegen die Fraktionsvorsitzenden der Linken von Hessen, Thüringen und Sachsen belegt das in erschreckender Klarheit. Völlig daneben ist die durch nichts zu belegende Behauptung, daß nur wegen der Durchführung unserer »Fraktionssitzung unter freiem Himmel« Tausende auf die Straße gegangen wären. Unsere Fraktion ist und bleibt Teil einer breiten Bewegung zur Verhinderung von Naziaufmärschen. Wir maßen uns jedoch nicht das Urheberrecht dafür an, was André Hahn ja nun vorgeworfen wird.

Da ich mich – übrigens im Gegensatz zu André Hahn – den ganzen Tag während der Blockade auf der Hansastraße aufgehalten hatte, weiß ich, daß sich die meisten Gegendemonstranten um uns herum aus eigenem Antrieb oder von anderen Initiativen zum friedlichen Widerstand eingefunden hatten. André Hahn war aber, wie vorher abgesprochen, zu diesem Zeitpunkt bereits auf der anderen Elbseite. Er stand, gemeinsam mit vielen Abgeordneten aus Bundes- und Landtagen, gleich neben Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), in der genehmigten Menschenkette. Mit der geplanten Teilnahme von André an dieser Aktion hat unsere Fraktion deutlich gemacht, daß wir jeglichen friedlichen Protest gegen Nazis unterstützen. Übrigens, als parlamentarischer Geschäftsführer habe ich und nicht André mit meinen Landtagskollegen aus Hessen und Thüringen vor und während des 13. Februar alle organisatorischen Absprachen geführt. André wird jetzt der Prozeß gemacht, mir wurde bereits im Mai 2010 von der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, daß meine Beteiligung an der Blockade »ein anerkannt sittliches« Motiv hatte. Dieses unterschiedliche Vorgehen hat nichts mit sachlicher Aufklärung zu tun.

Erst kürzlich hat die Staatsanwaltschaft Dresden ein Ermittlungsverfahren gegen die Grünen-Landtagsabgeordnete Eva Jähnigen ohne Auflagen eingestellt, die sich 2011 an der gegen den Neonaziaufmarsch gerichteten Blockade beteiligt hatte. Hingegen will die Behörde gegen Klaus Bartl, den renommierten Rechtspolitiker Ihrer Fraktion, sowie Ihren Fraktionskollegen Falk Neubert vorgehen. Woher stammt dieser überdurchschnittliche Verfolgungseifer der Staatsanwaltschaft?

Frau Jähnigen, Klaus Bartl und Falk Neubert haben sich ebenso wie weitere Abgeordnete dafür eingesetzt, daß das demokratische Recht zur Gegendemonstration gegen den Dresdner Naziaufmarsch in Hör- und Sichtweite durchgesetzt wurde. Der von der Staatsanwaltschaft angeführte Grund, warum gegen meine beiden Fraktionskollegen weiter ermittelt wird, ist nicht haltbar. Schon gar nicht, wenn man ihre eigene Begründung zur Einstellung meines Ermittlungsverfahrens aus dem Jahr 2010 hernimmt. Es ist offensichtlich, daß mit diesem Vorgehen vom eigenen Versagen bei der juristischen Aufarbeitung der friedlichen Massenblockaden abgelenkt werden soll.

In der Vergangenheit ist die Staatsanwaltschaft mit ganz offensichtlicher Vorliebe gegen unliebsame Journalisten, gegen den SPD-Landtagsabgeordneten Karl Nolle und einzelne Linken-Politiker vorgegangen. Sie hatten sich etwa im Rahmen der Skandale um Korruption und im Freistaat aktive kriminelle Netzwerke – Stichwort »Sachsensumpf« – um Aufklärung bemüht. Existiert in Sachsen eine politisch motivierte Justiz?

Zumindest fällt auf, daß immer öfter die politischen Vorredner von CDU und FDP im Landtag die Richtung angeben, die dann von der Justiz übernommen wird. Daß sich dieses Agieren dann vor allem gegen die schärfsten Kritiker sächsischer Regierungspolitik richtet, ist eine Tatsache, die nicht zu übersehen ist. Da fällt es schwer, nur an Zufälligkeiten zu glauben. Hier gilt es, wachsam zu bleiben und sich mit allen demokratischen Mitteln einer solchen Entwicklung entgegenzustellen.

Welche Schritte müßten eingeleitet werden, um die Justizbehörden in Sachsen zu demokratisieren?

Dazu hat unser rechtspolitischer Sprecher Klaus Bartl zur Beschlußfassung des Sächsischen Justizgesetzes im Landtag Stellung bezogen. Bereits im Jahr 2000 kritisierte er, daß die von der CDU-Mehrheit festgeschriebene Durchgriffsaufsicht des Justizministeriums auf alle Richter, Beamten, Angestellten und Arbeiter zu weit geht. Er sagte, daß dies der Einstieg für unzulässige Eingriffe des Justizministeriums in die Unabhängigkeit von Gerichten und Staatsanwaltschaften werden kann. Seine jetzige eigene Strafverfolgung wegen seiner Teilnahme an den Antinazidemos in Dresden erhärtet nur noch die Vermutung, daß hier »von oben Druck« gemacht wird.

** Klaus Tischendorf ist parlamentarischer Geschäftsführer der sächsischen Linksfraktion

Interview: Markus Bernhardt

Aus: junge Welt, Donnerstag, 01. November 2012


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