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Auf zur Blockade

Durch eine erneute Verhinderung des Neonaziaufmarsches in Dresden könnte der rechten Szene ein empfindlicher Schlag versetzt werden

Von Markus Bernhardt *

Wenige Wochen vor dem geplanten Großaufmarsch am 19. Februar in Dresden steht die bundesdeutsche Neonaziszene unter massivem Erfolgsdruck. Der Großevent der Rechtsextremen war im vergangenen Jahr erstmalig durch Massenblockaden, an denen sich insgesamt über 12000 Menschen beteiligten, erfolgreich verhindert worden.

Im Vorfeld einer Konferenz des Berliner Koordinationskreises des antifaschistischen Bündnisses »Nazifrei! Dresden stellt sich quer!«, die am Sonnabend (22. Jan.) mit rund 100 Teilnehmern in der Alice-Salomon-Fachhochschule stattfand, war es zu mehreren von Neonazis verübten Anschlägen gekommen. So wurden in der Nacht von Freitag auf Samstag mehrere mit Farbe gefüllte Gläser gegen die Glasfront der Hochschule in Berlin-Hellersdorf geschleudert. Bereits am vergangenen Dienstag hatten Neonazis Steine auf das Büro der Neuköllner Grünen geschmissen sowie die Schlösser der Eingangstür mit Sekundenkleber verklebt. Auch der linke Devotionalienhandel »Red Stuff« war vor einigen Tagen mit Farbe beschmiert worden.

Die zunehmenden Anschläge der Neonazis, die sich derzeit gegen die Unterstützer des bundesweiten Bündnisses »Dresden stellt sich quer!« richten, sind indes alles andere als ein Zeichen von Stärke. Existieren doch in der gesamten Bundesrepublik einzig noch zwei feste Aufmarschtermine der Neofaschisten, die von überregionaler Bedeutung sind. Dabei handelt sich zum einen um den im Februar anstehenden, in dessen Rahmen die braunen Geschichtsfälscher die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten während des Zweiten Weltkrieges zu einem »Bombenholocaust« umlügen wollen. Und zum zweiten um den von den sogenannten Autonomen Nationalisten ausgerufenen »Nationalen Antikriegstag«, der traditionell am ersten Septemberwochenende in Dortmund veranstaltet wird und in dessen Rahmen die militanten Neonazis versuchen, sich als eine Art braune Friedensfreunde zu inszenieren.

Nur einen Tag nach der Verhinderung des neofaschistischen Großevents 2010 in Dresden, die der Hamburger Neonazikader Christian Worch als »absehbares Ergebnis« bezeichnete, forderte dieser seine Gesinnungsgenossen auf einer einschlägigen Internetseite auf, »die linken Aktivitäten – die der Polizei zur politisch gewollten Verhinderung des Trauermarsches den Vorwand geliefert haben – zu analysieren«. »Die Linken konnten nur deshalb erfolgreich sein, weil sie an mehreren Punkten ihre Blockaden durchgeführt haben«, konstatierte er weiter und sprach sich für eine »Sternmarschlösung« aus. Es gelte, flexibler zu planen, koordinierter zu handeln, Egoismen zurückzustellen und sich »nicht mehr wie eine Hammelherde an einem einzelnen Ort einpferchen« zu lassen, schrieb Worch seinen braunen Jüngern ins Stammbuch.

Nach und nach scheinen diese ihrem Wortführer Folge zu leisten. So versuchten sich bereits beim »Nationalen Antikriegstag« im September 2010 in Dortmund einige hundert Neonazis in spontanen Aktionen und verließen noch vor Erreichen ihres eigentlichen Kundgebungsortes den Zug, um – ungestört von Gegendemonstranten und Polizei – durch Dortmunder Vororte zu marschieren. Für den 19. Februar in Dresden haben die Rechtsextremen indes verschiedene Aktionen und Startpunkte im Stadtgebiet angemeldet. Bereits am 13. Februar, dem Jahrestag der Bombardierung der Elbmetropole, wollen sie einen »Fackelmarsch« in der sächsischen Landeshauptstadt durchsetzen, zu dem sie regional mobilisieren.

Die rechte Szene selbst geriert sich im Internet indes uneins. Bereits infolge der politischen Niederlage im September in Dortmund, war es zu harschen inhaltlichen Auseinandersetzungen gekommen, weil mehrere Anwesende die Kundgebung der »Autonomen Nationalisten« noch weit vor ihrem eigentlichen Ende entnervt verließen.

Ohne die Stärke der Neonaziszene verharmlosen zu wollen, dürfte eine erneute Verhinderung des Dresdner Großaufmarsches durch antifaschistische Massenblockaden den sich zaghaft abzeichnenden Zersetzungsprozeß im rechten Lager zumindest ein wenig befördern. Daher darf die Notwendigkeit einer intensiven und breiten antifaschistischen Mobilisierung keinesfalls geringgeschätzt werden.

Weitere Informationen: www.dresden-nazifrei.com

* Aus: junge Welt, 24. Januar 2011

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