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Der Mythos Dresden – wie geht Gedenken?

Die Erinnerung an den 13. Februar und die Bombardierung ist konfliktreich

Von Maike Zimmermann *

Das offizielle Gedenken an die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 hat sich lange einer kritischen Auseinandersetzung entzogen. Erst mit der erkannten Notwendigkeit, die jährlichen Nazigroßaufmärsche zu thematisieren, kam Wind in die Debatte.

»Statt Besserwisserei sollte die Dresdner Gedenkkultur (...) akzeptiert werden«, erklärte der Dresdner CDU-Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Lars Rohwer im Januar. Jeder Mensch habe seine Form des Totengedenkens. Daran gebe es nichts zu rütteln. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Gedenken an die Opfer der Bombardierung Dresdens ist also »Besserwisserei«. Verwunderlich ist diese Aussage nicht, hatte Rohwer doch bereits 2008 die historische Einordnung der Luftangriffe als »aggressiven Inhalt« bezeichnet.

Der 13. Februar, der Jahrestag der Bombardierung der Stadt durch die Alliierten am Ende des Zweiten Weltkrieges, ist seit Jahrzehnten Dreh- und Angelpunkt besagter Gedenkkultur. Den Grundstein für den so genannten Dresden-Mythos legten das NS-Propagandaministerium und das Auswärtige Amt kurze Zeit nach dem Luftangriff. Sie forcierten vor allem gegenüber dem neutralen Ausland eine Erzählung, deren Kern bis heute überdauert hat.

Dieses Opfernarrativ enthält verschiedene Elemente: Dresden sei eine einzigartige Stadt gewesen, ein barockes Kleinod, eine Kunst- und Kulturmetropole. In ihrer Schönheit erscheint sie zugleich frei von Schuld. Die Zerstörung Dresdens sei darüber hinaus nicht nur plötzlich, sondern von einem beispiellosen Ausmaß und vor allem »sinnlos« gewesen.

Ähnlich wie andere Städte wurde Dresden im Zweiten Weltkrieg stark zerstört. Das Erleben der Bombardierung einer Stadt und der Verlust von Angehörigen sind traumatische Einschnitte im Leben eines Menschen. Das gilt auch für Dresden. Es ist jedoch die Verdichtung zum Symbol, das die Ebene des Individuellen verlässt und Deutungsangebote der Geschichte bietet. In dieser Funktion sticht Dresden durchaus heraus.

»Erinnerungskultur baut auf individueller Erinnerung auf«, stellte die Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) in einer Rede im Oktober 2010 fest. Es gehe dabei nicht um Fakten und Daten, sondern »um das ganz persönliche Erleben«. Entsprechend sind die Berichte von Zeitzeugen im Gedächtnis der Stadt von zentraler Bedeutung. Lange Jahre dominierten Legenden von Tieffliegern und überhöhte Opferzahlen das Gedenken. Eine 2004 ins Leben gerufene Historikerkommission räumte in ihrem 2010 vorlegten Bericht mit vielen Teilen dieser rekonstruktiven Erinnerungen auf.

In jener Rede der CDU-Politikerin wird jedoch auch die Neujustierung Dresdner Gedenkkultur deutlich. Anders als ihr Parteikollege Lars Rohwer betont sie, wie wichtig es ist, die nationalsozialistische Vergangenheit zu benennen und aufzuarbeiten. »Wahrhaftig erinnern« heißt dies in der offiziellen Gedenksprache. Diese Verbindung von Gedenken an die Luftangriffe und Benennen des Nationalsozialismus erschien umso dringlicher, je mehr Neonazis zum jährlichen »Trauermarsch« nach Dresden kamen. Man musste sich abgrenzen, deutlich machen, dass man zwar der Opfer gedenken, aber keineswegs Geschichtsrevisionismus betreiben wollte.

Weitaus häufiger als vom Nationalsozialismus wird jedoch vom Krieg gesprochen, überhistorisch gedacht als »Krieg an sich«. Holocaust und Vernichtungskrieg werden ebenso wie Luftkrieg und Vertreibung eingeordnet in ein »Jahrhundert von Schrecken, Krieg und Gewaltherrschaft«. Im Vordergrund steht das menschliche Leid als universalistische Kategorie. Dies ist eine Wendung, die – ganz nebenbei – die Tür öffnet zur Renaissance altbekannter Totalitarismustheorien.

Noch, so scheint es, dreht sich in Dresden fast alles um den 13. Februar. Zum Zeitpunkt der Bombardierung läuten die Kirchenglocken. Erinnerungsorte thematisieren die Geschehnisse des Tages: Von der wiederaufgebauten Frauenkirche über die Gedenkstätte am Altmarkt bis hin zum Heidefriedhof mit der im Herbst letzten Jahres eingeweihten Figur »Trauerndes Mädchen am Tränenmeer«. Hier findet seit Jahrzehnten die offizielle Gedenkveranstaltung unter Teilnahme der Fraktionen des Landtages statt. In keiner anderen Stadt hat sich eine solche Fülle an Gedenkpraktiken zum Thema Luftkrieg etabliert. Damit und mit den verschiedenen Facetten der Erinnerung beschäftigt sich nun auch eine Ausstellung: »Erinnerung, Gewalt, Verdrängung« ist bis April im Buchmuseum der Sächsischen Landesbibliothek zu sehen.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Februar 2011

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