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LINKE will aus dem Zwielicht

Klage wegen Polizeirazzia in Dresdner Stadtzentrale am 19. Februar

Von Hendrik Lasch, Dresden *

Sachsens LINKE hat nach der Polizeirazzia, die am Rande der Auseinandersetzungen um den Nazi-Aufmarsch am 19. Februar in ihrer Dresdner Geschäftsstelle stattfand, Klage eingereicht. Zudem werden die Ereignisse des Tages den Landtag beschäftigen.

Die Stürmung des »Hauses der Begegnung« Dresden am 19. Februar durch ein Sondereinsatzkommando der Polizei war »in eklatanter Weise rechtswidrig«. Das erklärte gestern André Schollbach, Fraktionschef der Dresdner LINKEN und Rechtsanwalt. Er vertritt die Landespartei bei einer Klage, die wegen der Aktion jetzt beim Amtsgericht eingereicht wurde. Deren Ziel ist, dass auch Richter die Rechtswidrigkeit der Razzia feststellen.

Bei dieser waren 120 teils vermummte Polizisten in das Haus in der Großenhainer Straße 93 eingedrungen, hatten Türen aufgesägt und eingetreten, Anwesende gefesselt sowie Computer und Telefone beschlagnahmt. Die Staatsanwaltschaft erklärte später, man sei auf der Suche nach Linksextremen gewesen, die Gewaltstraftaten am Rande der Proteste gegen den Nazi-Aufmarsch an jenem Tage koordiniert hätten. Das Bündnis »Dresden nazifrei«, gegen dessen Pressezentrale sich die Aktion offenbar richtete, sah dagegen einen Racheakt der überforderten Polizei für die trotz gerichtlichen Verbots gelungenen Blockaden der Nazis.

Die LINKE sieht sich durch die martialische Aktion, über die breit in der Presse berichtet wurde, »in ein Zwielicht gerückt«. Sie bestehe »auf einer Rehabilitation«, erklärt Schollbach. Auch sollten Schadenersatzansprüche gegen den Freistaat durchgesetzt werden. Allein die Schäden an den Türen beliefen sich auf 5100 Euro.

Rechtswidrig war die Razzia aus Sicht Schollbachs zuerst, weil die mündliche richterliche Anordnung für ein anderes Gebäude galt: die Büros des Vereins »Roter Baum« auf der anderen Straßenseite. Das Landeskriminalamt erklärt, es sei ein Irrtum bei der Adresse aufgetreten; durchsucht werden sollten Räume in Hausnummer 93. Dagegen wendet Schollbach ein, es seien auch Räume der Partei, eines Vereins, eine Anwaltskanzlei und eine Privatwohnung betroffen gewesen, für die keinerlei richterliche Anordnung vorlag. Mit großer Hast sei der vermeintliche Irrtum nicht zu erklären; zwischen der Erteilung der richterlichen Genehmigung und der eigentlichen Razzia verstrichen mehr als drei Stunden. »Wirkliche Eile«, kommentiert der Anwalt, »bestand offenbar nicht«.

Schollbach betont zudem, weder die LINKE noch der »Rote Baum« seien »tatverdächtig oder beschuldigt«. Dies habe auch die Staatsanwaltschaft dem Verein bestätigt, der dennoch unter Druck steht – die Stadt-CDU drängt, ihm Fördergelder nur noch unter Vorbehalt auszuzahlen. Als Bestätigung dafür, dass weder der Partei noch dem Verein von den Ermittlungsbehörden etwas vorgeworfen werde, erwähnt der Landesvorsitzende Rico Gebhardt den Umstand, dass beschlagnahmte Rechner zurückgegeben wurden: »Es wurden nicht einmal Kopien angefertigt.«

Die Fragen im Zusammenhang mit der Razzia werden indes nicht nur das Amtsgericht beschäftigen; sie werden auch Thema im Landtag. Dessen Innenausschuss wird sich am 17. März auf Antrag von LINKE und Grünen ausführlich mit den Ereignissen rund um die beiden »Großkampftage« am 13. und 19. Februar in Dresden befassen. In einer Sondersitzung sollen das Verhalten von Justiz und Polizei beleuchtet werden. Gerichte hatten an beiden Tagen beantragte Aufmärsche und Kundgebungen von Nazis erlaubt; Proteste hatten diese aber beschränkt oder völlig unterbunden. Während der 13. Februar friedlich blieb, kam es eine Woche später zu Auseinandersetzungen, bei denen 86 Polizisten und 150 Gegendemonstranten verletzt wurden.

* Aus: Neues Deutschland, 5. März 2011


Rund 80 Strafverfahren nach Nazi-Aufmärschen in Dresden

LINKE: 150 friedliche Gegendemonstranten verletzt **

Nach den Gewaltexzessen am Rande der Neonazi-Aufmärsche vom 19. Februar ermittelt die Dresdner Polizei derzeit in etwa 80 Strafverfahren. Die Spannbreite reicht von Brandstiftungen, Sachbeschädigungen und Landfriedensbruch bis hin zu Körperverletzung und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz, teilte die Polizei am Donnerstag (3. März) mit.

Die Gewalt ging laut Polizei sowohl von Rechts- als auch von Linksextremisten aus, vor allem Polizisten seien zum Opfer geworden. Insgesamt seien 82 Beamte verletzt worden, einige von ihnen schwer.

Nach Festellung der LINKEN im Sächsischen Landtag erlitten mehr als 150 friedliche Gegendemonstranten Verletzungen. Die Polizei registrierte 35 beschädigte Autos und 15 Gebäude. Eine 20-köpfige Sonderkommission der Polizei soll die Vorfälle aufklären. Am 19. Februar waren wie schon am 13. Februar tausende Menschen in Dresden auf die Straße gegangen, um gegen Rechtsextremisten zu demonstrieren.

Während es am ersten Tag – dem Jahrestag der Zerstörung Dresdens im Zweiten Weltkrieg – ruhig blieb, kam es am 19. Februar zu gewalttätigen Ausschreitungen. Neonazis, die den Sammelplatz ihrer genehmigten Kundgebungen wegen Straßenblockaden nicht erreichen konnten, attackierten im Stadtteil Dresden-Plauen die Polizei und griffen mit Steinen und Stangen ein alternatives Wohnprojekt im Stadtteil Löbtau an. Linksextreme beschossen die Polizei in der Südvorstadt mit Pflastersteinen und entzündeten Barrikaden. Der Großteil der Menschen demonstrierte jedoch friedlich gegen die Neonazis.

** Aus: Neues Deutschland, 4. März 2011


Klage gegen Polizeieinsatz

Linke thematisiert SEK-Überfall auf ihr Dresdener Büro und Gewalt gegen Antifaschisten im ­Sächsischen Landtag. Auch juristische Schritte eingeleitet

Von Markus Bernhardt ***


Das brutale polizeiliche Vorgehen gegen die Teilnehmer an den Protesten, die sich am 19. Februar gegen den neofaschistischen Großaufmarsch in Dresden richteten, wird auch im Sächsischen Landtag ein Nachspiel haben. Über 20000 Nazigegner hatten an diesem Tag mit Massenblockaden einen Aufmarsch von insgesamt etwa 2000 Neofaschisten verhindert. Diese wollten ursprünglich anläßlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt durch die Alliierten während des Zweiten Weltkrieges in der Elbmetropole aufmarschieren.

Wie die sächsische Linksfraktion am Freitag mitteilte, findet am 17. März auf ihren Antrag hin eine Sondersitzung des Innenausschusses statt, in deren Rahmen über die Ereignisse in Dresden und die Verfehlungen und Übergriffe der Polizei debattiert werden soll. Beispielsweise soll der Frage nachgegangen werden, warum rund 200 Neofaschisten am 19. Februar unter den Augen der Polizei das alternative Wohnprojekt »Praxis« im Dresdner Stadtteil Löbtau mit Steinen attackieren konnten.

Explizit soll im Innenausschuß ebenfalls die Erstürmung einer Geschäftsstelle der Linkspartei in der sächsischen Landeshauptstadt, in der sich auch Räumlichkeiten des bundesweiten antifaschistischen Bündnisses »Dresden nazifrei!« befanden, durch ein vermummtes Sondereinsatzkommando der Polizei thematisiert werden. Die Beamten waren am Abend des 19. Februar wegen des »Verdachts auf die Organisation einer Straftat und Landfriedensbruch« in die Räume eingedrungen, hatten alle Türen des Hauses gewaltsam aufgebrochen, Laptops und Handys beschlagnahmt sowie Mitarbeiter in Handschellen gelegt und festgenommen.

Die Linke will den SEK-Überfall allerdings nicht nur auf parlamentarischem Weg aufarbeiten: Am Freitag reichte Rechtsanwalt André Schollbach im Namen der Partei auch eine Klage gegen die Durchsuchung beim Amtsgericht Dresden ein. Der Einsatz des vermummten Kommandos sei »eklatant rechtswidrig« gewesen, so der Jurist. Schollbach berichtete außerdem, daß auch eine Rechtsanwaltskanzlei, eine Privatwohnung und verschiedene Vereinsräumlichkeiten zu Unrecht von den Beamten gestürmt worden seien.

Neben der geplanten Debatte im Innenausschuß hat die Partei einen weiteren Antrag eingereicht, damit sich der Landtag noch in diesem Monat mit den genauen Bedingungen für die Aufmärsche der rechtsextremen Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland« (JLO) beschäftigen muß. »Wir wollen einen öffentlichen und gesellschaftlichen Disput zum Verhältnis von Legalität und Legitimität von Demonstrationen und Protesten, die sich gegen neonazistische Aufmärsche richten«, kündigte Rico Gebhardt, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, am Freitag an. Er verlangte die sofortige Einstellung »aller Kriminalisierungsversuche« gegen das Bündnis »Dresden nazifrei!«, das ausdrücklich zu friedlichen Blockaden aufgerufen habe.

Zudem forderte der Linken-Politiker die »selbsternannte bürgerliche Mitte« in Dresden auf, »endlich aus ihrer bequemen, selbstgenügsamen Position herauszukommen« und zukünftig gemeinsam mit den vielen tausend Demonstranten aus allen Teilen der Republik »gegen den Mißbrauch dieser Stadt und ihrer Geschichte durch Neonazis Gesicht zu zeigen«.

www.dresden-nazifrei.com

*** Aus: junge Welt, 5. März 2011


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