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Ein couragierter Blick

Faschismus: Geschichtliches und Aktuelles aus der Sicht von Wolfgang Wippermann

Von Manfred Weißbecker *

Innerhalb von nicht mal einem Jahr hat er drei Bücher auf den Markt gebracht: Nach »Autobahn zum Mutterkreuz«, eine Auseinandersetzung mit Legenden über den NS-Staat (aktueller Anlass waren die haarsträubenden Behauptungen der ehemaligen Nachrichtensprecherin Eva Herman über angebliche sozialpolitische Leistungen der Nazis), ließ Wolfgang Wippermann von der Freien Universität Berlin im Frühjahr dieses Jahres die Streitschrift »Dämonisierung durch Vergleich: DDR und Drittes Reich« folgen. Am Mittwochabend stellte er diese Polemik gegen die Verharmlosung der Verbrechen der Hitler-Diktatur durch Verteufelung der DDR im ND-Club vor. Dieser Tage nun erschien aus seiner Feder zudem eine Publikation, in der er Wesen und Strukturen faschistischer Regimes, Parteien und Organisationen entlarvt.

Bereits in der vor einem Jahr veröffentlichten Publikation »Die vier Leben des Karl Marx« las man aus der Feder des bekannten Berliner Historikers Wolfgang Wippermann den Satz, mit Hilfe der Analyse des »Gleichgewichts der Klassenkräfte«, die der so Porträtierte entwickelt habe, lasse sich der »keineswegs tote und vergangene Faschismus« erklären. Dieser Ankündigung folgt nun die Tat: ein Versuch, weltgeschichtlich und epochenübergreifend den Faschismus zu erhellen. Wippermann will der nach seiner Auffassung sowohl empirisch als auch theoretisch »in eine Sackgasse geratenen« Faschismusforschung (S. 283) neue Wege weisen. Dieser löbliche Versuch, so darf man sicher sagen, bezeugt Mut. Und dies sogar in mehrfacher Hinsicht.

Da wäre zu verweisen auf das schlüssige Ausbrechen aus der hierzulande üblichen, geschichtspolitisch verordnet erscheinenden Negierung des Begriffs Faschismus und seiner völligen Eingrenzung auf das italienische Beispiel. Wippermann lehnt zudem konsequent alle totalitarismustheoretischen Gleichsetzungen zwischen Faschismus und Kommunismus ab. Couragiert weitet er das Blickfeld aus. Außerdem entgeht seiner Analyse kaum ein Land, das im 20. Jahrhundert dem Faschismus ähnliche beziehungsweise diesem vergleichbare Erscheinungen aufwies. Etwa ein Drittel des Bandes befasst sich mit Westeuropa, die anderen Kapitel wenden sich Osteuropa, Amerika und Afrika, ferner Japan, Ägypten, Syrien, Irak, Palästina und anderen Ländern zu.

Nach politischen und personellen Kontinuitäten suchend, schaut er zudem weit zurück in geschichtliche Zusammenhänge und Entwicklungsprozesse, in einem Falle sogar bis in das dritte Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Dieser Blick und noch mehr der auf aktuelle Erscheinungen macht deutlich, wie breit das Spektrum faschistischer Organisationen in den meisten Ländern gewesen und auch heutzutage ist. Überall existierten und existieren mehrere Spielarten, zumeist in harter Konkurrenz zueinander stehend. Auch daraus ergibt sich die Notwendigkeit, erneut nach den unterschiedlichen Formen des weltweit anzutreffenden Faschismus zu fragen. Der Autor leitet seine Antworten aus einem engen Zusammenhang von klassischem Faschismus, Bonapartismus und Fundamentalismus ab. Ersterer sei zur Macht gelangt »in der Situation eines politischen und sozialen Gleichgewichts durch einen Putsch oder ein Bündnis mit den konservativen Kräften«, während die sich nicht auf eine Partei stützenden bonapartistisch-faschistischen Regimes als »Faschismus von oben« gesehen werden. Von fundamentalistisch-faschistischen Varianten des Faschismus sei zu sprechen, wenn diese nicht allein einen religionsfeindlichen, sondern einen »fundamentalistisch religiösen Charakter« besäßen. Beispielhaft benennt er für die dritte Variante u.a. palästinensische Organisationen wie die PLO oder Hamas, Hizbollah, Al Qaida und Taliban; von diesem Faschismus gehe die größte Gefahr für Gegenwart und Zukunft aus.

Seine abwägenden Aussagen macht Wolfgang Wippermann stets an Personen fest, so dass der Band durchaus auch als ein kleines »Who is Who« faschistischer Führerfiguren bezeichnet werden kann. Die Tatsache, dass allen Wertungen ideologie- und personengeschichtliche Kriterien zugrunde liegen, kann zu weiterer und unbedingt erforderlicher Debatte einladen. Ob eine allein darauf aufbauende Typologisierung weiterer Forschung und Diskussion standhalten können wird, muss sich noch erweisen. Mit nötiger Vorsicht setzt der Autor seinen Thesen oftmals selbst ein »aber« hinzu, spricht er von teilweisen Ähnlichkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten oder umgeht – auf unterschiedliche Wertungen in der Literatur verweisend – eindeutige Zuordnungen.

Dass Wippermann seine Maßstäbe allein aus dem Erscheinungsbild (»uniformiert und bewaffnet und nach dem Führerprinzip aufgebaut«), dem politischen Stil (»Terror und Propaganda«) und der Ideologie von Parteien (»Nationalismus, Rassismus, Antidemokratismus, Antikommunismus, Antisemitismus, Führerkult«) ableitet, wirkt eher jede Analyse und Debatte begrenzend statt weiterführend. Leider wird zum Beispiel zu wenig thematisiert, dass wesentliche Teile der weltweit in Erscheinung getretenen faschistischen Organisationen nach sogenannten Großreichen strebten und dafür auch Kriege hinzunehmen oder gar zu entfesseln bereit waren, um handfeste ökonomische und geopolitische Interessen zu verwirklichen.

Wolfgang Wippermann: Faschismus. Eine Weltgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute. Primus Verlag, Darmstadt 2009, 336 S., geb. 29,90 €.

* Der Historiker Manfred Weißbecker ist Faschismusforscher in Jena.

Aus: Neues Deutschland, 24. Juli 2009


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