Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Luxemburg-Stiftung setzte Israel-Kritiker vor die Tür

Streit um Veranstaltung zum Goldstone-Report scheidet die Geister auch in der LINKEN

Von Uwe Kalbe *

Streit um Antisemitismus und Antizionismus im Allgemeinen und die Haltung zum Nahostkonflikt im Besonderen sind nichts Neues in der deutschen Linken. Es gibt erneut Anlass.

Eine Veranstaltung mit Norman Finkelstein entfacht die Emotionen. Was die Linke seit Langem zerreißt und auch in der Linkspartei bekannt ist, aber nach Kräften unterschätzt wird, bahnt sich wieder einmal mit Macht den Weg zum offenen Konflikt. Für den geplanten Vortrag von Finkelstein, prominenter Publizist und Israelkritiker aus den USA, mussten nun bereits zum dritten Mal geeignete Räumlichkeiten gesucht werden. Der Vortrag zum Thema »Israel, Palästina und der Goldstone- Bericht über den Gaza-Krieg« hatte eine Welle von Protestschreiben an die Veranstalter hervorgerufen. Die Protestierer argwöhnen einen israelkritischen Vortrag, womit sie sicher Recht haben, denn Finkelstein, Verfasser zum Beispiel des bekannten Buches zur »Holocaust-Industrie«, ist für seine kritische Haltung gegenüber dem Vorgehen Israels im Nahostkonflikt bekannt. Der Goldstone-Bericht hatte nach dem Überfall auf Gaza Ende 2008 zahllose Verbrechen vor allem der israelischen Armee konstatiert. Israel-Anhänger auch in der Linken hatten diesen deshalb in Frage gestellt. Finkelsteins Kritiker in Deutschland wiederholen nun aus Anlass seines geplanten Auftritts ihre Vorwürfe des Antisemitismus. Bei den Veranstaltern wecken sie damit Widerspruch, zugleich hinterließen sie offenbar Wirkung bei den zunächst unterstützenden Institutionen. Zudem, da für den Tag des Vortrags zur Protestdemonstration aufgerufen war – unter den Aufrufern sind der Landesarbeitskreis Shalom der Linksjugend, die Jusos und die Jüdische Gemeinde zu Berlin.

Nachdem sich zunächst die Heinrich-Böll-Stiftung als Unterstützer zurückgezogen hatte und der geplante Raum in der Trinitatis-Kirche in Berlin gekündigt war, zog nun auch die LINKE-nahe Rosa- Luxemburg-Stiftung in Berlin ihre Zusage für einen Raum zurück. Sie begründete das damit, man habe die Brisanz eines Vortrags »ausschließlich von Finkelstein zu diesem Thema« unterschätzt. Das Ansinnen, das Podium am 26. Februar um einen Gegenpart zu erweitern, sei von den Veranstaltern »leider abgelehnt worden«. Eine Rolle bei der Entscheidung dürfte die ungemütliche Vorstellung gespielt haben, wie sich Teile der LINKEN vor dem Haus gegen die Unterstützer Finkelsteins in der LINKEN – im Haus – zum Protest versammeln.

Letztere zeigten sich anschließend verwundert über den Sinneswandel. Man habe den Eindruck, dass unter dem Druck der Protestierer ein Vorwand gesucht worden sei, sagte Carsten Albrecht von der Landesarbeitsgemeinschaft »Frieden und Internationale Politik« der LINKEN gegenüber ND. Eine Änderung des Konzepts durch einen zweiten Referenten sei so kurzfristig nicht einfach gewesen, ein Name von der Stiftung zudem nicht genannt worden.

Bereits vor der Absage hatte Rolf Verleger, Mitorganisator der Veranstaltung und Vorsitzender der »Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost«, in einem Schreiben an die Protestierer interveniert. Er nannte es »erschütternd«, dass Verteidiger der universellen Menschenrechte im Fall von Israel »einfach die Fronten wechseln«. »Konsequenterweise sollten Sie Ihr Bündnis zu einer Dauereinrichtung machen und ein Komitee gegen antiisraelische Umtriebe gründen. Ehrenvorsitzender Joseph McCarthy.«

Mittlerweile ist ein neuer Veranstaltungsort gefunden, wie ND erfuhr – in Räumlichkeiten der »jungen Welt«. Das Problem ist damit nicht aus der Welt. Die Gegner der Veranstaltung haben angekündigt, ihre Demonstration nunmehr ebenfalls zu verlegen.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2010


Pluralist des Tages: Rosa-Luxemburg-Stiftung **

Ein halbes Jahr nach dem gegen großen Protest durchgeboxten Auftritt dreier Kriegsapologeten bei der Ferienakademie der Rosa-Luxemburg-Stiftung setzt die Linke-nahe Denkfabrik erklärte Kriegsgegner vor die Tür. Dem Verein »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« wurden am Mittwoch für die Veranstaltung »Israel, Palästina und der Goldstone-Bericht über den Gaza-Krieg« mit Norman G. Finkelstein die Räume gekündigt (jW berichtete). Der »Bildungsauftrag« der RLS sehe »kontroverse und plurale Debatten« vor. Das Ansinnen, das Podium um einen »Gegenpart« zu dem geladenen Referenten zu erweitern, sei »von den Veranstaltern leider abgelehnt worden«. Als »Gegenpart« zu Norman Finkelstein schwebte der RLS Wolfgang Benz vor. Was der Leiter des »Zentrums für Antisemitismusforschung« an der Technischen Universität Berlin auf den Vortrag seines US-Kollegen zur Hungerblockade gegen die Palästinenser in Gaza hätte erwidern sollen oder können, wollte jW am Donnerstag wissen. Die RLS antwortete zunächst mit Schweigen, dann mit der knappen Anmerkung: »Gute Frage.«

Folgende Änderungen sind möglich: Am 20. Februar findet in Dresden die RLS-unterstützte Konferenz »Frieden schaffen ohne Waffen« mit Inge Höger (Die Linke) statt. Zur Absicherung einer kontroversen und pluralen Debatte im Haus der Gewerkschaften werden noch angefragt: Klaus Eberhardt (Vorstandsvorsitzender Rheinmetall AG) und Dietmar Straub (CEO KraussMaffei AG).

Das Referat »Zur aktuellen politischen Lage in Afghanistan« von Diethelm Weidemann (16. März im Seniorenklub im Karl-Liebknecht-Haus, Berlin) wird ergänzt. Eine Lichtbildshow zur Problematik »Erfolgreiches militärisch angemessenes Agieren in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten« präsentiert Bundeswehroberst Georg Klein. Und schließlich: Die Lesung »Rosa Luxemburg - Ihr Leben und ihr Werk« (27. Februar, Ferienheim »Heideruh« in Buchholz/Nordheide) wird erweitert um den Vortrag »Waldemar Pabst - Seine schwierige Jugend in der Preußischen Hauptkadettenanstalt«. (rg)

** Aus: junge Welt, 19. Februar 2010


Zusage zurückgezogen

Rolf Verleger, Vorsitzender der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V., erklärt zur Entscheidung der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung, eine Veranstaltung mit dem US-Politikwissenschaftler Norman Finkelstein abzusagen: ***

Wie erinnerlich, hatten die Berliner Trinitatis-Gemeinde und die Heinrich-Böll-Stiftung (der Grünen) ihre Zusage zur Durchführung einer Veranstaltung am 26.2. mit Dr. Norman Finkelstein in Berlin rückgängig gemacht. Nun hat auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung (der Linken) ihre Zusage, ihrerseits die Veranstaltung am 26.2. durchzuführen, zurückgezogen. (...)

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung argumentiert durch ihren Vorstandsvorsitzenden und ihr geschäftsführendes Vorstandsmitglied - die Angelegenheit ist also ziemlich weit oben aufgehängt -,daß bei der »Brisanz« des Vortrags ein »Gegenpart« nötig gewesen wäre, um die Veranstaltung durchführen zu können. Das erinnert an die Raumabsage der Stadt München vor einigen Monaten für einen Vortrag von Prof. Ilan Pappe. Auch dort wurde bemängelt, daß kein Gegenpart da sei, z. B. Prof. Michael Wolffsohn. Ich schrieb damals an die Stadt München, daß nach dieser Logik auch Vorträge von Herrn Wolffsohn nur noch mit Gegenpart stattfinden dürften: Wie Yin und Yang, so auch Yang und Yin. Dies scheint bisher nicht der Fall zu sein.

An diesem Bild von Yin und Yang ist einiges dran: Die Frage ist ja nun schlicht, ob wir hier in gewissen Fragen chinesische Verhältnisse bekommen: Immer schön die Mitte wahren, nur keine Extreme, unsere weisen politischen Führer werden es schon richten. (...)

Der Vorwand derjenigen, die erfolgreich diese Kampagne betrieben haben, ist, daß er ein »Antisemit« und »Geschichtsrevisionist« sei. Damit wird Kritik an Israel, die aus einer Perspektive der universellen Geltung der Menschenrechte betrieben wird, in die Naziecke gestellt.

Anhand dieses Vortrags wollen uns die Freunde der israelischen Hau-Drauf-Politik wohl nun zeigen, wer hier das Sagen hat. Das letzte Wort ist das aber noch lange nicht. Und die Rosa-Luxemburg-Stiftung möge wieder die Worte der Jüdin Rosa Luxemburg beherzigen: »Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden«.

*** Aus: junge Welt, 19. Februar 2010


Absage: Finkelstein kommt nicht

Im Wortlaut: Eine weitere Stellungnahme von Rolf Verleger

Dr. Norman Finkelstein hat seinen Flug nach Deutschland storniert. Er wollte vom 24.2. bis 26.2. in München, Milbertshofen und Berlin sprechen. Der geplante Titel dieser Vorträge war:

"1 Jahr nach dem israelischen Überfall auf Gaza – die Verantwortung der deutschen Regierung an der fortgesetzten Aushungerung der palästinensischen Bevölkerung".

Dieser Titel zeigt klare Kante. Er verstößt gegen die Sprachregelung der deutschen Politik. Er verstößt gegen die Sprachregelung der großen deutschen Medien. Und er spricht die Wahrheit aus.

Vor dieser Wahrheit hat die hiesige Lobbygruppe des israelischen Schlag-zu-Nationalismus große Angst. Also wurde eine Kampagne geführt. Der auf seine elterlich-jüdische Tradition stolze Finkelstein wurde als "Antisemit" und "Geschichtsrevisionist" diffamiert, mithin in die Nazi-Ecke gestellt. Die Jüdische Gemeinde Berlin, jüdelnde Gruppen in Der Linken (Arbeitskreise namens "Shalom") und ein jüdischer Arbeitskreis in der SPD riefen zur Demonstration gegen Finkelstein auf.

Mit diesen Gruppen wollte es sich die Evangelische Kirche ohne Not nicht verderben, ebenso die Parteistiftung der Grünen, und ebenso die Parteistiftung der Linken: Sie alle zogen ihre Zusagen zur Organisation der Veranstaltung zurück. Da nutzte es nicht genug, dass Finkelstein selbst Jude ist und dass wir, die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Mitveranstalter waren.

Es gab eine neue Raumzusage der "Junge-Welt-Galerie" in Berlin. Aber dies ist ein relativ kleiner Saal, und Finkelstein schätzte die Lage nun so ein, dass die Streitereien sein Anliegen, das im Titel des Vortrags zum Ausdruck kommt, zu sehr überlagern würden. Er sagte ab.

Also ein Sieg für die Lobby des israelischen Schlag-zu-Nationalismus? Ja, selbstverständlich.
Aber ein Pyrrhus-Sieg. Denn diese Lobby, die in Berlin die Kirche, die Grünen und die Linke wieder auf Linie gebracht hat, hat damit zu deutlich gemacht, welche praktischen Konsequenzen ihre ungerechtfertigte Gleichsetzung von Kritik an Israels Unrecht mit Antisemitismus hat: Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Dies ruft Widerstand hervor. In der Rosa-Luxemburg-Stiftung rumort es vermutlich. Es ist nur eine Frage der Zeit – und weiterer solcher "Siege" - bis es auch in der SPD und in der CDU rumort. Denn Diskussionen über das offensichtliche Unrecht von Israel gegen die Palästinenser kann man nicht verhindern. Wir jedenfalls werden diese Diskussionen weiterführen.

Es ist auch ein Pyrrhus-Sieg auf ideologischem Gebiet. Denn in seinen besten Traditionen hat das Judentum danach gestrebt, die Welt durch aktives Handeln zu einer gerechteren und barmherzigeren Welt zu machen. Es war der geistige Führer des deutschen Judentums im letzten Jahrhundert, Rabbiner Dr. Leo Baeck, der das Judentum als die Religion der tätigen Moral definierte. In diesem Sinne können und sollen Juden zu Verständigung, Dialog, Versöhnung und Frieden in Nahost beitragen. Die Akteure, die im Namen ihres Judentums Finkelsteins Auftritt verhindert haben, stellen sich außerhalb dieser alten Tradition, und sie haben keine neue: Da ist nur eine große nationalistische Leere.

Das macht es in Zukunft nichtjüdischen Deutschen immer leichter, Recht und Unrecht in der Palästinafrage nicht nur zu erkennen, sondern auch zu benennen: "1 Jahr nach dem israelischen Überfall auf Gaza – die Verantwortung der deutschen Regierung an der fortgesetzten Aushungerung der palästinensischen Bevölkerung".

Prof. Dr. Rolf Verleger
Vorsitzender der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost e.V.


Offener Brief an die Verantwortlichen in der Rosa-Luxemburg Stiftung

von Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Dagdelen, Wolfgang Gehrcke, Norman Paech, Werner Ruf, Sahra Wagenknecht

Lieber Heinz Vietze, Lieber Florian Weis,

eure Entscheidung, den Raum in der Rosa Luxemburg Stiftung für den Vortrag an Norman Finkelstein nicht mehr zur Verfügung zu stellen, finden wir falsch. Eure Begründung, dass euer Bildungsauftrag "plurale Debatten" voraussetzt und deshalb eine Veranstaltung mit Norman Finkelstein nur mit einem Gegenpart durchgeführt werden sollte, finden wir auch falsch.

Als ihr im Dezember 2009 eure Zusage gabt, waren Finkelsteins kritische Positionen zur Israel-Debatte bekannt. Dass er in Israel und manchen jüdischen Kreisen umstritten ist, trifft ihn gleichermaßen wie zahlreiche andere kritische jüdische Wissenschaftler. Erst jüngst wurde einem von ihnen, Ilan Pappe, in München von der Stadt der Raum gekündigt.

Wir halten derartige Entscheidungen mit dem Debatten-Anspruch der Stiftung sowie mit der von uns bisher beachteten Diskurs-Kultur vollkommen unvereinbar und das unabhängig der Bewertung der inhaltlichen Positionen Norman Finkelsteins, in der auch wir nicht immer übereinstimmen. Wir gehen nicht davon aus, dass das Publikum erst durch einen Gegenpart zu einem kritischen Dialog mit dem Vortragenden angeleitet werden müsste.

Gerade als politische Stiftung mit einem Bildungsauftrag für kontroverse und plurale Debatten hättet ihr dem Druck von einigen Wenigen nicht nachgeben dürfen. Deren Vorwürfe "Geschichtsrevisionismus" und "Antisemitismus" zeugen von einer erschreckenden Unkenntnis und sind vollkommen absurd, das wisst ihr auch. Anstatt ihrem Druck nachzugeben, hättet ihr einem Wissenschaftler eurer Wahl in einer weiteren Veranstaltung ein Podium geben können.

Wir bitten Euch deshalb eindringlich, diese Entscheidung zu überdenken. Ihr könnt mit unserer vollsten Unterstützung rechnen, sowohl bei der Durchführung dieser Veranstaltung als auch bei der Planung und Durchführung einer weiteren Veranstaltung einer anderen Denkrichtung. Wenn wir erst anfangen, Debatten gar nicht mehr zu führen, haben wir schon verloren.

Mit solidarischen Grüßen
(Unterschriften)


Zurück zur Themenseite "Rassismus, Antisemitismus und Neofaschismus"

Zur Israel-Seite

Zurück zur Homepage