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Wider den Zeitgeist

Sammelband dokumentiert antifaschistische Positionen zur Geschichtspolitik

Von Markus Bernhardt *

In Zeiten, in denen selbsternannte Demokraten in den Redaktionsstuben der Mainstreammedien und den etablierten Parteien allein das Nachdenken über gesellschaftliche Alternativen zu verhindern versuchen und mittels der seit jeher zur bundesdeutschen Staatsdoktrin gehörenden Totalitarismustheorie gegen ihre Kritiker zu Felde ziehen, ist es nötig, eigene historische Erfahrungen und Werte offensiv zu verteidigen. Ohne die Verbrechen, die während des deutschen Faschismus begangen wurden jemals ordnungsgemäß aufgearbeitet zu haben, macht sich die antikommunistische BRD-Meute noch heute ungehemmt über diejenigen Nazigegner her, die versuchten, mit der DDR einen gesellschaftlichen Gegenentwurf zur kapitalistischen Westgemeinschaft mitsamt ihren braunen Wurzeln mit Leben zu füllen. Zwanzig Jahre nach der Annexion der DDR befindet sich das Westestablishment noch immer im Krieg gegen den vormals sozialistischen Teil Deutschlands. Erfahrungswerte der DDR-Bürger werden entsorgt. Gedenkstellen, die vormals an die Millionen Opfer des Naziregimes erinnerten, werden zu ahistorischen Mahnstätten gegen »totalitäre Regime« umgelogen.

Der von Professor Dr. Heinrich Fink, dem Bundesvorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) und seiner Amtskollegin Cornelia Kerth herausgegebene Sammelband »Einspruch! Antifaschistische Positionen zur Geschichtspolitik« versucht dem vorherrschenden Zeitgeist die Erfahrungen der antifaschistischen Widerstandskämpfer und Opfer des faschistischen Terrors entgegenzusetzen und den antifaschistischen Widerstand vor Schmutzkampagnen der Extremismustheoretiker zu bewahren. Das Buch dokumentiert Beiträge, die auf einer gleichnamigen und vielbeachteten Konferenz der VVN-BdA im April 2010 in Berlin von renommierten Wissenschaftlern wie etwa Moshe Zuckermann, Kurt Pätzold und Wolfgang Wippermann gehalten wurden.

In ihrem Vorwort bemängeln die Herausgeber, die letzten noch lebenden antifaschistischen Widerstandskämpfer müßten vielerorts erleben, daß ihr Vermächtnis geringgeschätzt würde. Dies geschehe von Torgau über den Roten Ochsen in Halle, vom sächsischen Gedenkstättengesetz bis zum brandenburgischen Vorstoß mit einem »Beauftragten zur Aufarbeitung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR und von Diktaturfolgen«, womit der historische Faschismus quasi zum Anhängsel der Stasi gemacht würde, lautet der von den beiden Antifaschisten erhobene Vorwurf.

In seinem Beitrag »Von der Ideologie des Vergleichs« weist Moshe Zuckermann die Unwissenschaftlichkeit und ideologisch motivierte Gleichsetzung von Faschismus und kommunistischen Ideen zurück. »Es wäre an der Zeit«, so der Historiker, »sich wieder ins Gedächnis zu rufen, daß der Marxismus eine Theorie der Emanzipation des Menschen von den historisch entstandenen sozialen Strukturen der Ausbeutung, der Unterdrückung und der Entfremdung bietet, wohingegen der Nationalsozialismus seinem Wesen nach primär eine Ideologie der (auf einem Führerprinzip basierenden) Herrschaft, der Rassenhierarchie, des Antisemitismus, der ›Volkshygiene‹, der realen Verfolgung und Ausrottung des abstrakt konzipierten ›Feindes‹ darstellt«.

Kurt Pätzold setzt sich kritisch mit den Prinzipien von Ursache und Wirkung und dem deutschen »Opferverständnis« auseinander. Er bemängelt, daß von der Forderung des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (CDU), demzufolge der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung war, den man nicht losgelöst von der Machtübertragung an die Faschisten am 30. Januar 1933 betrachten könne, kaum etwas übriggeblieben sei. Der Historiker geht in seinem Beitrag auch auf die Teile der deutschen Bevölkerung ein, die unter den Kriegswirren zu leiden hatten, und kommt zu dem Schluß, daß es sich nicht gezieme, sich »dem trauernden Gedenken an die Opfer zu verweigern, sofern sie keine Verbrecher gewesen sind«. Jedoch solle es hierzulande gleichsam nicht erlaubt sein, über die Rolle der Mehrheit der Deutschen in den Nazijahren schweigend hinwegzusehen.

In weiteren Beiträgen setzen sich unter anderem Hannes Heer mit der Rolle der Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges, Ulrich Sander mit der Tradition der Bundeswehr sowie Detlef Garbe mit authentischen Orten und Geschichtspolitik auseinander.

Zwar befinden sich in dem Sammelband auch Beiträge, denen man wie im Falle von Wolfgang Wippermann, der zum Thema »Faschismus – Alte Theorie und neue Definition« publiziert, nicht uneingeschränkt zustimmen muß. Das Buch bietet jedoch eine höchst informative Grundlage für weitere Diskussionen um die politische Deutungshoheit in Sachen historischer Erfahrungswerte und den daraus resultierenden Forderungen für die Zukunft und ist somit durchweg empfehlenswert.

Heinrich Fink/Cornelia Kerth (Hg.): Einspruch! - Antifaschistische Positionen zur Geschichtspolitik. PapyRossa Verlag, Köln, Januar 2011, 126 Seiten, 12,40 Euro

* Aus: junge Welt, 24. Januar 2011


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