"Viele habe ich erkannt"
20 Jahre nach dem rassistischen Pogrom in Hoyerswerda besuchen damals Betroffene die sächsische Stadt – und werden angepöbelt *
Hoyerswerda im Jahr 1991: Nazis greifen eine Flüchtlingsunterkunft und ein Vertragsarbeiterwohnheim an und werden von der Bevölkerung noch unterstützt. Das Pogrom war der Beginn einer Welle von rassistisch motivierten Übergriffen in Ost wie West. An diesem Wochenende jährt es sich zum 20. Mal.
Emmanuel Gärtner kehrte nach 15 Jahren in Berlin zurück und lebt heute in Ghana als Geschäftsmann; Manuel Nhacutou war bis 1995 in Berlin und arbeitet heute als Buchhalter in Maputo/Mosambik; Emmanuel Adu Agyeman wohnt mit seiner Familie in Hessen und ist als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. Mit ihnen sprach Jörg Meyer.
ND: Am Nachmittag des 17. September 1991, einem Dienstag, überfielen rechte Skinheads vietnamesische Händler in Hoyerswerda. Nachdem einige von ihnen von der Polizei festgenommen worden warem, zogen rund 40 Neonazis vor das Vertragsarbeiterwohnheim in der Albert-Schweitzer-Straße. Wie haben Sie den Anfang der Angriffe wahrgenommen?
Manuel Nhacutou (MN): Ich war im Wohnheim. Plötzlich kam eine große Gruppe von Skinheads und fing an, mit Steinen und Flaschen auf unser Haus zu werfen. Wir haben dann natürlich reagiert, aber es kamen auch Nachbarn aus anderen Wohnblöcken. Innerhalb einer Viertelstunde waren wir umzingelt. Die Nachbarn ermutigten die Skinheads, klatschten in die Hände. Viele von denen, die ich vor dem Haus gesehen habe, waren keine Skins, sondern Nachbarn und Kollegen, mit denen ich jeden Morgen mit dem Betriebsbus zur Arbeit gefahren bin. Viele habe ich erkannt, das war schmerzlich. Aber ich kann nicht allen Nachbarn einen Vorwurf machen. Es war zu gefährlich. Die Polizei hätte uns schützen müssen. Das hat sie nicht getan.
Im Asylbewerberheim in der Thomas-Müntzer-Straße gingen die Angriffe zwei Tage später los.
Emmanuel Adu Agyeman (EA): Nach den ersten Abenden der Ausschreitungen in der Albert-Schweitzer-Straße erhielten wir eine Nachricht von unserem Sozialarbeiter, dass in der Nacht zum Freitag die Skinheads auch zu uns kommen wollten. Er sagte uns, dass wir in der Nähe des Wohnheims bleiben sollen, damit er etwas tun kann, falls etwas passiert. In der Thomas-Müntzer-Straße fuhr damals ein elektrischer Bus. Nach 20 Uhr, als der Bus Feierabend hatte, wurde die Straße zum Schutz mit unseren Mülltonnen und Müllcontainern blockiert. Wir wissen gar nicht genau, woher die Skinheads gekommen sind. Einer kam mit dem Motorrad, ein Brandsatz flog ins Wohnheim. Später kamen viele Skinheads, in der Nacht zündeten sie ein großes Feuer vor dem Haus an und schmissen Steine. Alle Fenster im Wohnheim waren kaputt. Wir sind dann alle aufs Dach hoch, damit niemand verletzt wird. Der Sozialarbeiter rief die Polizei. Nach zwei Stunden kam die Polizei dann auch – mit zwei Beamten. Das waren natürlich viel zu wenige, und sie sind wieder gefahren. Um vier oder fünf Uhr morgens kamen sie mit Verstärkung. Bis dahin haben die Skins das Haus angegriffen. Unsere Nachbarn waren auch dort. Geholfen hat uns in dieser Zeit niemand. Als wir später mit den Bussen aus Hoyerswerda evakuiert wurden, haben die Nachbarn an der Straße gestanden, haben applaudiert und sich gefreut, dass die Ausländer endlich weg sind – wie zwei Tage zuvor bei den Vertragsarbeitern.
Sie waren in Sassnitz auf Rügen im Flüchtlingsheim. Wie war Ihre Situation?
Emmanuel Gärtner (EG): Eines Abends kam der Sohn des Pastors zu uns und sagte, dass viele Leute am Bahnhof stehen und unser Haus angreifen wollen. Wir sollen rennen, sagte er. »Wohin«, fragte ich ihn. In dem Heim lebten 27 Afrikaner, aber an dem Abend waren wir nur zu viert. Abends sind sie gekommen, haben »Ausländer raus« gerufen, Steine und Molotowcocktails geworfen. Um acht riefen wir die Polizei, sie kamen eine Stunde später – zu zweit. Wir haben mit den Skins gekämpft, bis die Polizei mit Verstärkung kam. Ich musste ins Krankenhaus, weil ich einen tiefen Schnitt an der Hand hatte. Am nächsten Tag haben wir mit dem Zug Sassnitz verlassen. Ich bin nach Berlin gefahren, die anderen nach Hamburg.
Sie waren seit 1983 als Vertragsarbeiter in der DDR. War der Rassismus vor der Wende auch so schlimm?
MN: Nein, nicht in dem Ausmaß. Aber: Wenn wir in eine Disko gegangen sind, gab es oft Schlägereien. Wenn die Polizei kam, hatten wir nie Recht. Die Deutschen hatten immer Recht. Das war eine andere Form, eher institutioneller Rassismus. Oder im Restaurant haben die Kellner immer komisch geguckt, wenn wir Essen gegangen sind Das war noch ein bisschen zu ertragen. Aber 1991, das war zu viel. Die sind einfach zu weit gegangen. Angefangen hatte das kurz vor der Wende. Nach dem Mauerfall wurde es richtig schlimm.
Wohin wurden die Leute aus Hoyerswerda gebracht?
EA: Wir wurden nach den Angriffen nach Meißen gefahren. Dort gab es 13 Ghanesen und zehn Angolaner; die sind aber auf eigene Faust nach Berlin gefahren. Leute von der Antifa kamen zu uns nach Meißen und boten uns an, nach Berlin zu kommen, um gemeinsam für unser Bleiberecht dort zu kämpfen. Nach drei Tagen fuhren wir nach Berlin. Zuerst wohnten wir in mehreren Kirchen und konnten dann gut einen Monat in Dahlem in der Villa vom verstorbenen Berliner Bischof Kurt Scharf bleiben. Dann wurde das Mathegebäude der Technischen Universität (TU) besetzt. Dort waren wir sechs Monate, bis wir die Erlaubnis bekamen, in Berlin zu bleiben.
Wie war das Leben in der TU? Da lebten Angolaner, Vietnamesen, Ghanesen, Rumänen und viele andere unter einem Dach.
EG: Als ich aus Sassnitz nach Berlin kam, war die TU schon besetzt. Wir hatten mehrere Zimmer mit Matratzen auf dem Boden, Badezimmer wurden improvisiert aufgebaut. In dem einen Stockwerk haben wir gelebt, gekocht, geschlafen. All unsere Treffen waren da, dort haben wir die Demonstrationen geplant. Die Situation in der TU wurde immer schwieriger. Deshalb besetzten unsere Unterstützerinnen das Rote Rathaus , um einen Gesprächstermin mit dem Regierenden Bürgermeister Diepgen zu erzwingen. Er sagte Hilfe zu, aber nur für die, die beweisen können, dass sie angegriffen wurden. Bei denen aus Hoyerswerda war es klar, ich hatte den Polizeibericht von dem Angriff in Sassnitz. Alle, die das nicht beweisen konnten, wurden auch nicht legalisiert. Wir anderen bekamen das Recht, in Berlin für unser Asyl zu kämpfen.
Sie waren letztes Wochenende in Hoyerswerda. Wie war es, 20 Jahre danach an dem Ort zu sein?
EA: Verglichen mit 1991 hat sich die Stadt sehr verändert, sie ist jetzt grün, sie ist kleiner geworden. Es wurden viele Häuser abgerissen, auch das Flüchtlingsheim in der Thomas-Müntzer-Straße. Wenn du hingehst, würdest du den Ort nicht wiedererkennen. Auch den elektrischen Bus gibt es nicht mehr. Aber die Köpfe der Menschen haben sich nicht geändert. Ich sage nicht: Alle. Aber es gibt Leute, die immer noch faschistisches Gedankengut haben. Als wir am Wochenende dort waren und Manuel uns zeigen wollte, wo er gewohnt hat, gingen wir zu seinem alten Haus in der Albert-Schweitzer-Straße 20. Da stand eine Gruppe Menschen, die angefangen hat uns zu beschimpfen. Andere kamen vorbei und sagten: »Was wollen die schon wieder hier?« Sie haben mit Bananen gewedelt. Die Situation wurde brenzlig, und wir haben dann die Polizei gerufen.
MN: Nach dem Pogrom von 1991 fanden wir die gleiche Situation vor wie vor 20 Jahren. Da gibt es nicht viel zu sagen. Wir wollten nur einmal gucken, wo wir früher gewohnt und gelebt haben. Der Mann, der uns am schlimmsten beschimpft hat, war 1991 wahrscheinlich zwei oder drei Jahre alt. Vielleicht hat er damals neben einem Älteren, seinem Vater, seinem Nachbarn, seinem Bruder gestanden, als sie die Häuser angegriffen haben.
Am letzten Samstag stand noch ein kleines Kind neben der Gruppe und hat das alles gesehen. Wenn wir in 20 Jahren wieder dort hinfahren, ist die Situation dann wieder die gleiche?
* Aus: Neues Deutschland, 16. September 2011
Gestern und heute
Initiative kritisiert Stadt Hoyerswerda wegen Gedenken an das rassistische Pogrom 1991
Von Jörg Meyer **
Die sächsische Stadt Hoyerswerda gedenkt dieser Tage dem ersten rassistischen Pogrom in Deutschland nach 1945 – bloß dass es dort nicht so genannt wird.
Hoyerswerda. Der Name steht für das erste rassistische Pogrom in Deutschland nach 1945. Vor 20 Jahren attackierten Neonazis unter dem Beifall von Anwohnern vom 17. bis 23. September 1991 zuerst ein Vertragsarbeiterwohnheim und dann eine Flüchtlingsunterkunft. Nachdem die Bewohner unter Polizeischutz und dem Gejohle der Bevölkerung mit Bussen aus der Stadt gebracht wurden, prahlten die Nazis damit, Hoyerswerda »ausländerfrei« gemacht zu haben. Das Wort wurde 1991 zum ersten »Unwort des Jahres« gewählt. Das Pogrom von Hoyerswerda war ein Einschnitt und der Auftakt einer nach 1945 beispiellosen Welle rassistischer Gewalt deren vorläufiger Höhepunkt Rostock-Lichtenhagen 1992 war. Beinah täglich waren Berichte von Übergriffen zu lesen. Flüchtlinge und Migranten wurden geschlagen, getreten, verbrannt, getötet. Ein Resultat war die Beschneidung des Grundrechts auf Asyl im Jahr 1993.
Während das offizielle Hoyerswerda der Ausschreitungen gedenkt, organisiert die Initiative »Pogrom 91« für den morgigen Samstag, 14 Uhr, einen antifaschistischen Stadtspaziergang, an dessen Ende die symbolische Errichtung eines Denkmals für die Opfer des Pogroms stehen soll. Die Initiative kritisiert die bisherige Erinnerungspolitik der Stadt scharf. Dass auf einer Gedenkstele, die anlässlich des 15. Jahrestages errichtet wurde, bloß »extremistische Ausschreitungen« steht, ist für die Aktiven von »Pogrom 91« ein Indiz für »eine konstante Weiterführung von Versuchen der Schuldabwehr und Relativierung, ... um den entstandenen Rufschaden wieder wettzumachen«. Zwar habe sich der Bürgermeister im vorigen Jahr offiziell bei den Opfern des Pogroms entschuldigt, ein direktes Gespräch sei jedoch nicht gesucht worden.
Als am vorigen Wochenende zwei der damals aus Hoyerswerda Vertriebenen den Ort besuchten, sahen sie sich wieder rassistischer Beleidigung und Bedrohung ausgesetzt – die Bilder des sie begleitenden Kamerateams beweisen das. Die »Sächsische Zeitung« bereitete die Hoyerswerdaer in einem Kommentar kurz darauf schon einmal darauf vor, dass Journalisten kommen würden, um nach dem Herbst 1991 zu fragen: »Selbst, wenn es mal schwer fallen sollte: Seid nett zu ihnen! Es fällt sonst todsicher auf die Stadt zurück. Man kennt das ja …«
** Aus: Neues Deutschland, 16. September 2011
Zurück zur Seite "Rassismus, Neofaschismus, Ausländerfeindlichkeit, Antifaschismus"
Zur Deutschland-Seite
Zurück zur Homepage