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Rassismus gegen Muslime?

Erol Pürlü über Fehler bei der Aufarbeitung der NSU-Mordserie, Konsequenzen und Vorurteile in der Gesellschaft *


Erol Pürlü ist Islamwissenschaftler, Imam und Seelsorger.


nd: Der Koordinationsrat der Muslime stellte am Mittwoch ein Dossier zur NSU-Mordserie vor. Wie beurteilen Sie die Aufarbeitung?

Erol Pürlü: Die Aufarbeitung stellt sich für uns sehr schleppend dar. Immer wieder werden neue Pannen und Fehler vor allem der Sicherheitsbehörden deutlich. Immer wieder verschwinden Akten oder es treten »Erinnerungslücken« auf; das schafft viel Misstrauen unter den Muslimen in Deutschland. Notwendig ist eine lückenlose Aufklärung, die seitens der Politik mehrfach versprochen wurde. Gerade die Sicherheitsbehörden müssen in ihrem eigenen Interesse ihren Beitrag leisten. Es darf sich nicht der Eindruck verfestigen, die Behörden wollten etwas verdecken.

Was wären angemessene Konsequenzen aus dem Skandal?

Es hat ja bereits personelle Konsequenzen auf Behördenseite gegeben. Wenn die Vorgänge wirklich aufgeklärt sind, müssen Konsequenzen für alle Verantwortlichen folgen. Aus unserer Sicht muss das bis hin zu Entlassungen und möglicherweise strafrechtlichen Verfahren gehen. Es gibt natürlich auch sehr gutwillige und mutige Beamte, diesen muss der Rücken gestärkt werden.

Der Anwalt Mehmet Daimagüler hat aufgedeckt, dass in der Juristenausbildung Klischeefälle über kriminelle türkische Kleingewerbetreibende benutzt werden, die fatal an die fehlerhaften Ermittlungen in Sachen NSU erinnern.

Der Rassismus gegenüber Muslimen ist leider in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen, eben auch in die Sicherheitsbehörden und in die Polizei. Im August gab es einen Vorfall im rheinland-pfälzischen Betzdorf. Dort drangen zwei maskierte und bewaffnete Männer in das Haus einer türkischstämmigen Familie ein bedrohten diese. Doch als die Familie die Polizei zu Hilfe rief, wurde sie selbst als verdächtig behandelt und der Vater zunächst sogar festgenommen. Solche Vorkommnisse zeigen, dass es nötig ist, gegen Klischees und Vorurteile in der Gesellschaft und bei den Behörden vorzugehen.

Wie soll das konkret aussehen?

Beamte der Sicherheitsbehörden müssen an die Basis in den Gemeinden gehen und die Menschen kennenlernen. Wir bieten Moscheeführungen an, an denen auch Beamte der Bundespolizei teilnehmen. Dabei erkläre ich ihnen, wie der Islam zu bestimmten Problemen steht, etwa der Gewalt. Solche Projekte müssen ausgeweitet und vertieft werden werden und sie sollten in der Ausbildung beispielsweise bei den Sicherheitsbehörden eine größere Rolle spielen.

Seit der Aufdeckung der NSU-Morde hat auch die Debatte über ein NPD-Verbot neue Dynamik gewonnen. Macht man es sich nicht zu einfach, das Rassismusproblem bei den »Extremisten« abzuladen?

Ein NPD-Verbotsverfahren ist zunächst eine juristische Frage. Wenn diese Partei gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstößt, muss sie verboten werden. Der Vorteil wäre sicher, dass diese Leute dann weniger Geld zur Verfügung hätten. Auf der gesellschaftlichen Ebene hätte ein Verbot der NPD aber nur symbolischen Charakter. Rassistische Einstellungen kann man nicht einfach verbieten, man muss ihnen an der Basis begegnen. Man muss sich mehr mit den sozialen Problemen der Menschen auseinandersetzen, auch derjenigen, die die NPD anspricht. Hier ist die ganze Gesellschaft gefordert - Politik, Gemeinden, Vereine und Verbände.

Fragen: Velten Schäfer

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 13. Dezember 2012


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