Herausforderung Rechtspopulismus
Berliner Broschüre setzt sich mit antimuslimischem Rassismus auseinander
Von Martin Kröger *
Berliner Projekte haben bereits zum vierten Mal einen Schattenbericht veröffentlicht. Mit den »Berliner Zuständen 2009« legen die Initiativen ihre alternative Sicht zur staatlichen und medialen Perspektive auf Rechtsextremismus dar. Schwerpunkt war diesmal das Phänomen des antimuslimischen Rassismus.
Günstiger hätten die Verfasser ihre Publikation kaum zeitlich platzieren können. Mitten in der Debatte um das zweifelhafte Buch des Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin wurden in dieser Woche auch die »Berliner Zustände 2009 – Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus und Rassismus« veröffentlicht. Bereits zum vierten Mal erscheint der »alternative Verfassungsschutzbericht«, in dem die Basisinitiativen und Projekte ihre Erfahrungen im Kampf gegen Rechts in Berlin auf 60 Seiten zusammenfassen.
Dass der diesjährige Schwerpunkt auf dem antimuslimischen Rassismus liegt, oftmals auch als Islamophobie bezeichnet, hat allerdings nicht nur mit den Tiraden Sarrazins zu tun. Obwohl die Berliner Opferberatung ReachOut, die rassistische Übergriffe dokumentiert, in ihrem Beitrag in der Broschüre durchaus davon ausgeht, dass der antimuslimische Diskurs genau wie die »Asyldebatte« zu Beginn der 90er Jahre Angriffe befördern könnte.
»Wir haben uns aber auch für den Schwerpunkt entschieden, weil uns alle Projekte berichtet haben, dass sie antimuslimische Ressentiments zunehmend wahrnehmen«, erzählt Annika Eckel von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR), die den Bericht gemeinsam mit dem Antifaschistischen Pressearchiv (apabiz) herausgibt. Für Berlin bedeutet dies auch die Herausforderung eines modernisierten Rechtsextremismus, der sich eine rechtspopulistische Tarnung gegeben hat und damit versucht auf dem antimuslimischen Wahlkampf-Ticket Erfolge zu erzielen. Wie die antiislamischen Gruppierungen in Berlin strukturiert sind, wird in den »Berliner Zuständen« ebenfalls dargestellt. Ulli Jentsch vom apabiz untersucht etwa erstmals detailliert, was sich hinter der »Bürgerbewegung Pax Europa« verbirgt, dessen Landesvorsitzender René Stadtkewitz zurzeit mit der Einladung des holländischen Rechtspopulisten Geert Wilders in die Bundeshauptstadt für Empörung sorgt.
Wie stark die extreme Rechte in Berlin durch Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien im Rest Europas beeinflusst wird, zeigt auch der Wahlantritt der »Bürgerbewegung Pro Deutschland« zur Abgeordnetenhauswahl 2011. Neben Pax Europa und Pro Deutschland gibt es mit dem Internetblog »Politically Incorrect« zudem bereits drei in der Bundeshauptstadt aktive islamfeindliche Gruppierungen. Alle drei verbindet, dass sie die angeblich »schleichende Islamisierung« als Einfallstor für antimuslimischen Rassismus von Rechtsaußen in die Mitte der Gesellschaft instrumentalisieren.
Einfluss haben diese Diskussionen inzwischen auch auf die NPD. Deren Schwäche in Berlin in einem gesonderten Abschnitt des Berichts dargelegt wird. Nach starken personellen Querelen scheint sich die in Berlin stark neonazistisch ausgeprägte Partei wieder zu konsolidieren – in dem sie ebenfalls an antimuslimische Ressentiments anzudocken versucht.
Auf die Projekte und Initiativen gegen Rechts haben diese Entwicklungen allerdings ebenfalls Konsequenzen. »Es reicht nicht mehr, die Personen und Gruppen als Rechtsextreme zu brandmarken«, sagt Annika Eckel von der MBR. Darüber hinaus muss es eine inhaltliche Auseinandersetzung geben – zu Kopftüchern etwa und zur Integration allgemein. Die Broschüre leistet dafür einen Anfang.
Die Broschüre »Berliner Zustände 2009« gibt es für 3 Euro bei der MBR oder im Internet als PDF-Datei: www.mbr-berlin.de
* Aus: Neues Deutschland, 27. August 2010
Dokumentiert:
Vorwort von Alexander Häusler **
In dem diesjährigen Schattenbericht wird deutlich,
dass sich auch in Berlin Wandlungsprozesse
am rechten Rand widerspiegeln, welche
sich seit einigen Jahren im europäischen Rahmen
vollziehen.
Mit einer Fokussierung
auf einen kulturreligiös
ummantelten
Rassismus versuchen sich Teile
der extremen Rechten an einer
„Modernisierung“ ihrer Propaganda. Dabei droht das politisch
inszenierte Schlagwort der “schleichenden Islamisierung”
zum Einfallstor von Rechtsaußen
in die politische Mitte zu werden.
Die gesellschaftliche Sprengkraft
eines solchen antimuslimischen
Rassismus zeigte Ende 2009
die Volksabstimmung gegen
Minarettbau in der Schweiz,
die Vorbildcharakter für die
rechtspopulistisch modernisierte
extreme Rechte in Europa hatte.
Auch in Deutschland sind propagandistische
Verschiebungen
innerhalb der extremen Rechten
zu konstatieren, die einhergehen
mit einer Neuaufstellung der extrem
rechten Parteienlandschaft.
Während die NPD die DVU
geschluckt hat und damit versucht,
das traditionsorientierte
neofaschistische Lager erneut
parteiförmig zu einen, strebt die
so genannte PRO-Bewegung mit
ihrer anvisierten Vereinigung mit
den REP eine rechtspopulistische
Modernisierung der extremen
Rechten an. Dabei ist jedoch die
Moslemfeindlichkeit als Chiffre
für einen mehrheitsfähigen
Rassismus das einigende Banner.
Denn auch die NPD ist nicht
unbeeindruckt geblieben von
dem ‚Erfolg’ eines populistisch
betriebenen antimuslimischen
Kampagnen-Rassismus in Europa
und versucht sich seit ihrem
letzten Parteitag gar, anbiedernd
an die in Österreich erfolgreiche
rechtspopulistische FPÖ, als „soziale
Heimatpartei“ zu inszenieren.
Die PRO-Bewegung will als
neue Rechtsaußengruppierung
mit rassistischen Kulturkampfparolen
ihren Wirkungskreis
von Nordrhein-Westfalen aus
bundesweit ausdehnen.[1] Bei der
Wahl zum Abgeordnetenhaus in
Berlin im Jahr 2011 möchte PRO
antreten.
Im Unterschied zu offen
neonazistischen und demokratiefeindlichen
Parteien wie der
NPD bekleidet sich die PROBewegung
mit einer rechtspopulistischen
Hülle, wenngleich
auch sie dem Lager der extrem
rechten Parteienlandschaft
entstammt und mit den anderen
Rechtsaußenparteien um
die Stammwählerschaft dieses
Lagers ringt. Dabei versucht PRO
mit den propagandistischen
Mitteln der „Protest-Inszenierung“
(Karin Priester), Rassismus
und Nationalismus politisch als
‚plebiszitär’ zu verankern.[2] Um
sich selbst als moderne Rechtsaußen-
Wahlgruppierung neu zu
formieren, werden Begriffe der
Bürgerinitiativ-Bewegungen für
sich in Anspruch genommen
– eine perfide Spielform der
politischen Mimikry. So wird eine
strukturelle Demokratiefeindlichkeit
als eine ‚bürgerschaftlich’
ausgerichtete Mogelpackung
inszeniert, der Rassismus wird
als ‚demokratisches Mitbestimmungsangebot’
verpackt.
Das Schüren von Ängsten und
Vorurteilen gegenüber „dem
Islam“ steht im Zentrum dieser
rechtspopulistischen Agitation.
Unterschriftensammlungen
gegen Moscheebau und Minarette
haben als Agitationsform
einen besonderen Stellenwert
in der Strategie dieses rechten
Netzwerkes. Die klassische „Ausländer
raus“-Parole wird dabei
kulturalisierend verpackt als
Kampfansage gegen die „Islamisierung
unserer Gesellschaft“. Die
Zuwanderung wird pauschalisierend verknüpft
mit der Religion, dem Fundamentalismus
und der politisch motivierten Gewalt. In solchen
Feindbild-Konstruktionen zeigt
sich die Stoßrichtung dieser
populistischen Kampagnen,
der Rassismus wird religiös als
„Kulturkampf“ verschleiert.
Mittels einer öffentlichkeitsorientierten
Eskalationsstrategie wird ein solcher Kulturkampf
inszeniert: Konflikte werden aggressiv
rassistisch geschürt, um
Aufmerksamkeit und Gegenproteste
hervorzurufen. Dies wiederum
bietet dann Anlass, sich als
Opfer von „Meinungsdiktatur“,
„politischer Correctness“ und
„linkem Gesinnungsterror“ zu
inszenieren und erneut den Grad
öff entlicher Konfl ikte zu verschärfen.
Ein solches Drehen an
der populistischen Schraube ist
Ausdruck einer Strategie, die auf
Steigerung der Konfl ikte ausgerichtet
ist. Dies funktioniert nach
dem Prinzip rassistische Vorlage
– antirassistische Reaktion – rassistische
Antwort – Ausweitung der Konfliktebene im Sinne einer
Fortsetzung auf ständig höherer Stufenleiter: Eine ritualisierte Inszenierung
einer populistischen Eskalations-Schraube.
Damit einher geht die Forderung zum Austausch der Feindbilder:
So interpretieren etwa der PRO-Mäzen Patrik Brinkmann
und sein Redenschreiber
Andreas Molau „nicht die Juden,
sondern die Muslime“ als das
„Kernproblem“. „Die deutsche
Rechte muss sich von ihrer
Vergangenheit emanzipieren“, so
die Erläuterung Brinkmanns zum
Wandel der Feindbilder.[3]
Quo Vadis?
Derartige Entwicklungen
erfordern Neuorientierungen
im Umgang mit dem Kulturrassismus
von Rechtsaußen: Das
im parteipolitischen Geplänkel
jüngst wieder hervorgehobene
„Extremismus-Konstrukt“, das
den rechten mit dem linken
Rand gleichzusetzen bestrebt
ist und proklamiert, die „wehrhafte
Demokratie“ gegen die
„extremistischen Ränder“ zu
verteidigen, verfehlt in seinem
ideologisch motivierten Impetus
vollends die realen Entwicklungen.
Denn gerade der kampagnenorientierte Kulturrassismus
zielt auf die „politische Mitte“,
indem er mehrheitsfähige
rassistische Diskurse zur eigenen
Neuverortung benutzt. Nicht die
„extremen Ränder“, sondern die
demokratischen Defi zite im Zentrum
des Polischen sind dabei
die Sollbruchstellen für einen
Rechtsruck.
Die Rechten sind real keine
extremistischen ‚Aliens’, die von
außen in die intakte heimische
Sphäre der Demokratie eindringen
– sie sind vielmehr Teil
dieser Gesellschaft und ziehen
die Wirkungsmächtigkeit ihrer
Kampagnen aus deren realen demokratischen
Defi ziten. Religiös
verklausulierter Kulturrassismus,
nationalistischer Anti-EU-Protest
und Anti-Establishment-Gehabe
von Rechtsaußen entfalten deshalb
Wirkungsmächtigkeit, weil
sie reale Probleme aufgreifen
und mit simplen Feindbild-Projektionen
politisch besetzen: Sie
sind ein Seismograf für die Krise
der Demokratie. Ein Blick über
den nationalen Tellerrand zeigt
beispielhaft an Ländern wie Italien
und den jüngsten Wahlerfolgen
in den Niederlanden und in
osteuropäischen Ländern, dass
die größten Herausforderungen
nicht im Kampf gegen „äußerlichen
Extremismus“ sondern in
der schleichenden Implosion der
Demokratie durch deren Transformation
nach rechts liegen.
Die parteiförmige extreme
Rechte in Deutschland hat dies
zum Teil erkannt. Sie versucht die
rechtspopulistischen Erfolge in
Europa national zu importieren,
indem sie sich auf hegemoniale
Diskurse bezieht und diese kampagnenartig
zuspitzt: Nicht von
ungefähr wird der CDU-Slogan von der „christlich-deutschen
Leitkultur“ als Vorlage genommen
für den neuen Leitspruch
„Abendland in Christenhand“.
Hier liegen zugleich auch neue
Herausforderungen für eine antifaschistische
Arbeit: Der „Kampf
gegen Rechts“ kann sich nicht
auf die moralische Verurteilung
beschränken. Vielmehr muss der
extremen Rechten das politische
Terrain auf neuen Ebenen streitig
gemacht werden. Dies beinhaltet
die Verstärkung eigener Auseinandersetzungen
mit Integrations-
und Demokratiedefiziten
mit dem Ziel neuer Verständigungen.
So steht auch die antifaschistische
Auseinandersetzung
mit der PRO-Bewegung in
Nordrhein-Westfalen weiterhin
noch vor großen Anstrengungen.
Dort zeigt die Erfahrung,
dass notwendiger antifaschistischer
Protest auf der Straße
gegen kulturalistischen Kampagnen-
Rassismus nur die eine
Seite der Medaille ist. Er muss
begleitet werden von inhaltlichen
Auseinandersetzungen
mit dessen Inhalten sowie der
Bereitschaft von antirassistischen
und antifaschistischen Initiativen,
sich neuen Fragestellungen
und politischen Herausforderungen
gegenüber zu öffnen.[4] Nur so
kann unter emanzipatorischen
Prämissen politisch wieder neues
Terrain betreten und besetzt
werden.
Fußnoten
-
Vgl. AK Ruhr / LAGA NRW (Hg.): Rechtspopulismus in Gestalt einer Bürgerbewegung, online unter: http://docs.google.com/
viewer?a=v&pid=sites&srcid=ZGVmYXVsdGRvbWFpbnxha3J1aHJ8Z3g6MjJhZGExM2I5NzJlYzk2ZA
- Vgl. Karin Priester, Populismus als Protestbewegung, in: Alexander Häusler (Hrsg.), Rechtspopulismus als Bürgerbewegung,
Wiesbaden 2008, S. 19-36
- Vgl. Alexander Häusler: „Von der Vergangenheit emanzipieren…Vom Antisemitismus zur Islamfeindlichkeit?, in: ZAG Nr.
56/2010, S. 21-23
- So kam etwa auf einer Podiumsdiskussion zur Tagung „Feindbild Islam“ im Herbst 2008 in Köln zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem als „Antiislamisierungskongress“ angekündigten rechtspopulistischen Spektakel großes Interesse an offenen Diskussionen zu bislang noch ‚dunklen Feldern’ in der antirassistischen und antirassistischen Debatte im kommunalen Kontext zum Ausdruck. Vgl. hierzu den Tagungsband von Alexander Häusler/Hans-Peter Killguss (Hg.): Feindbild Islam. Rechtspopulistische Kulturalisierung des Politischen, Köln 2008 (erhältlich bei der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln).
** Alexander Häusler ist Sozialwissenschaftler und wissenschaftlicher
Mitarbeiter der Arbeitsstelle Neonazismus der FH Düsseldorf.
Er ist Herausgeber der ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzung
mit der „PRO-Bewegung“ (siehe Literaturliste). In Kürze erscheint ein
von ihm gemeinsam mit Jan Schedler herausgegebener Sammelband
zu den „Autonomen Nationalisten“.
Vorwort zur Broschüre: Berliner Zustände 2009. Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus und Rassismus. Herausgeber/innen: apabiz und MBR; ViSdP: C. Schulze c/o apabiz e.V., Lausitzer Straße 10, 10999 Berlin; Schutzgebühr: 3 Euro
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