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"Bündnis gegen Rechts" in Kassel: Nazis in die Schranken gewiesen

1500 Menschen demonstrierten

Aufgerufen vom "Bündnis gegen Rechts", dem Gewerkschaften, Parteien, Initiativen und antifaschistische Organisationen und natürlich der Kasseler VVN-BdA angehören zeigten hunderte Menschen in Kassel, dass in dieser Stadt kein Platz für Nazis ist.

Auch wenn die Situation weniger dramatisch als in anderen Teilen der Republik ist, sind auch in Kassel es Neonazis und ihre Übergriffe ein Problem. Die Sachbeschädigungen am Büro der LINKEN in der Schillerstraße und das Beschmieren von Wahlplakaten mit Hakenkreuzen zeigen, dass extrem rechte Gruppen auch hier nicht vor Gewalttaten zurückschrecken. Besonders zu nennen sind die Kameradschaft "Sturm 18" und der "Freie Widerstand Kassel", die durch Provokationen, Gewalttaten und Propagandadelikte in Erscheinung treten.

Gegen solches Treiben mobilisierte das Kasseler „Bündnis gegen Rechts“, dem Parteien, Gewerkschaften, antifaschistische Initiativen und Organisationen, kirchliche Gruppen und Einzelpersonen angehören, am 17. September zu einer Demonstration vom Kulturbahnhof in die Nordstadt. Im Vorfeld gab es intensive Diskussionen: Reicht es gegen Neonazis aufzutreten? Müssen wir uns nicht deutlicher gegen jene wenden, die „aus der Mitte der Gesellschaft“ Rassismus und Naziideologie fördern? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Wirtschaftskrise, der Abwälzung der Krisenlasten auf die breite Mehrheit der Bevölkerung und dem Anwachsen extrem rechter politischer Gruppen?

Ergebnis war, dass im Aufruf und der Aktion klar Position bezogen wurde nicht nur gegen Neonazis, sondern gegen alle Formen von alltäglichem Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Islamfeindlichkeit, wie man sie am Arbeitsplatz, in der Schule, im Supermarkt, in den Leserbriefspalten der Tageszeitungen, in scheinbar anonymen Internet-Foren oder anderen Orten des täglichen Zusammenlebens erlebt. Dabei muss - so heißt es in dem Aufruf - „dieser Widerstand gegen Neofaschismus und Rassismus verbunden werden mit dem Eintreten für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen.“

Das „Bündnis gegen Rechts“ und die breite Beteiligung an der Demonstration machten den Kasseler Neonazis und ihren (un-)heimlichen Sympathisanten deutlich: „Wir treten gemeinsam ein gegen Rassismus, Fremdenhass, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus! Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!“

Nur zwei Kleinigkeiten störten diesen erfolgreichen Tag: Am Vorabend hatten Nazis in der Stadt Parolen gesprüht. Zwei Täter wurden noch in der Nacht auf frischer Tat ergriffen und festgesetzt. Auch der Versuch von Anhängern der Kameradschaft "Sturm 18" in die Nähe der Demonstration zu kommen, wurde von der Polizei konsequent vereitelt. Peinlich waren auch die "Antideutschen" vom "Bündnis gegen Antisemitismus". Nachdem sie in Vorbereitung der Aktion den Aufruf und das Bündnis beschimpft hatten, hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als sich mit ihren drei Israel-Fahnen in der Spitze der Demo zu tummeln, um auf die Pressefotos zu kommen.


Dokumentiert:

Die Rede von Dr. Ulrich Schneider, VVN-BdA, bei der Zwischenkundgebung vor der "Rampe"

Historische Erinnerung - Verpflichtung zum Handeln für heute

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde,

Das Mahnmal „Die Rampe“ erinnert uns in seiner ganzen Eindringlichkeit an die Politik der systematischen - industriell betriebenen - Vernichtungspolitik des deutschen Faschismus. Der Waggon ist Ausdruck der Deportationen per Reichsbahn. Als Höhepunkt des menschenverachtenden, eliminatorischen Antisemitismus fuhren diese Deportationszüge aus allen Teilen des Deutschen Reiches - und natürlich auch aus Kassel. Sie fuhren - wie bei der Reichsbahn üblich - pünktlich nach Fahrplan und verschleppten die Menschen erst nach Buchenwald, dann nach Theresienstadt, nach Riga und Lublin oder direkt nach Auschwitz.

Eva Nele, die Tochter von Arnold Bode, hat dieses Mahnmal 1982 geschaffen - als Teil der Ausstellung „K18 - Stoffwechsel“ und als Gegensymbol zur Beliebigkeit der damaligen documenta. Dieses Denkmal „erinnert als Mahnmal an die Selektion, Deportation und Vernichtung von Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus. Leiden und Sterben der Kasseler Juden, der geknechteten Ausländer und der Kämpfer im Widerstand sollen unvergessen bleiben.“ So lautete der Text der ersten Hinweistafel.

Eva Nele schuf dieses Denkmal in einer gesellschaftlichen Phase, in der das Verdrängen und Verschweigen der Geschichte der Naziverbrechen durchbrochen werden konnte. Solch ein Gedenken blieb jedoch nicht ohne Attacken. Mehrfach wurde das Mahnmal „Die Rampe“ durch rechte Kräfte aus Kassel beschädigt. Nach einem Brandanschlag musste es vollständig restauriert werden. Aber die Bereitschaft, sich der Geschichte zu stellen, war stärker.

Und wenn wir hier heute gegen Neonazismus in unserer Stadt und gegen die geistigen Brandstifter, die mit Alltagsrassismus und Rechtspopulismus die ideologischen Stichworte für Gewalttätigkeit und Antisemitismus legen, demonstrieren, dann tun wir dies auch in dem Bewusstsein, dass dieses Mahnmal und die Kasseler Geschichte uns in aller Deutlichkeit daran erinnert: Faschismus und Rassismus töten, sind ein Verbrechen - damals und heute.

Nicht umsonst standen nach dem Krieg parteiübergreifend die Forderungen: Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg! Und die Bilder der Trümmer und Zerstörung, aber auch die Verantwortlichen und Ursachen dieser Verbrechen waren im gesellschaftlichen Bewusstsein. Heute erleben wir jedoch eine verstärkte Geschichtsvergessenheit. Dabei sind es nicht die Ereignisse, die vergessen werden, sondern deren Ursachen.

So haben die Einwohner von Kassel natürlich allen Grund, an die Opfer der Bombennacht vom Oktober 1943 in Kassel zu erinnern, problematisch wird es aber, wenn dies - im Sinne faschistischer Diktion - als „alliierter Bombenterror“ deklariert oder einfach nur „vergessen“ wird, dass die Voraussetzungen für Tod und Zerstörung in Kassel die hiesige Rüstungsproduktion und der vom deutschen Faschismus angezettelte Krieg waren. Und genau solche Verfälschung versuchte der „Freie Widerstand“ vor wenigen Jahren in einem geplanten Aufmarsch zum 22. Oktober zu propagieren. Auch damals mobilisierte das „Bündnis gegen Rechts“.

Geschichtsvergessen ist es, wenn auf solche Weise eine Sichtweise der „Deutschen als Opfer“ gesellschaftlich etabliert werden soll. Dies ist ein Ansatz zur Aufrechnung - alle sind halt Opfer gewesen, wir haben uns gegenseitig nichts mehr vorzuwerfen. Dies hat jedoch mit historischer Verantwortung nichts zu tun, eher mit der Verdrängung und Vergessen, wie es in der letzten Zeit vielfältig medial inszeniert wird.

Die Kasseler Neonazis gehen noch einen Schritt weiter. Sie engagieren sich in der neofaschistischen Aufmarsch-Strategie in Dresden zum 13. Februar gegen den „Bomben-Holocaust“, wie sie die alliierten Luftangriffe propagandistisch nennen oder den „Trauermarsch für die alliierten Folteropfer“ in Bad Nenndorf. Selbst vor einer heimlichen Kranzniederlegung zu Ehren der SS-Verbrecher am Ehrenmal in der Karlsaue schrecken sie nicht zurück. Das ist offener Geschichtsrevisionismus. Auch dagegen wehren wir uns mit der heutigen Demonstration.

Und in diesem Zusammenhang erinnert das Mahnmal „Die Rampe“ nicht allein an die rassistisch legitimierte Vernichtungspolitik gegen Juden, Sinti und Roma, Slawen und alle als „minderwertig“ kategorisierten Menschen, sondern auch an die Folgen der faschistischen Kriegspolitik, die - wie in ganz Europa - auch in Kassel Tod und Zerstörung gebracht hat, sowie an die politische Verpflichtung für jeden von uns, heute und morgen aktiv zu werden, um so etwas nie wieder zuzulassen.

Quelle: Website der VVN-BdA Kassel; http://kassel.vvn-bda.de

So berichtete die Lokalpresse:

Klares Zeichen gegen Nazis - friedliche Demo in Kassel

Über 1000 Menschen beteiligten sich an friedlichem Demo-Zug durch die Stadt

Kassel. Am Ende waren es mehr, als die Veranstalter gehofft hatten: Über 1000 Menschen beteiligten sich am Samstag an der Demonstration gegen Rechtsradikalismus in Kassel.

Der Demo-Zug war vom Kulturbahnhof zum Kulturzentrum Schlachthof marschiert. Die Aktion war als Zeichen gegen die jüngsten Aktivitäten von Neonazis in Kassel gedacht. Obwohl sich zeitweise eine Gruppe von Neonazis am Friedrichsplatz versammelt hatte, verlief die Veranstaltung weitestgehend ruhig.

Ein Blick über den Vorplatz des Kulturbahnhofs verriet: Es war ein Protest, der von vielen Altersgruppen getragen war. Von der Jugend über Familien mit Kinderwagen bis zum Rentnerehepaar reichte die Alterspanne der Beteiligten. Aber auch bei den politischen Lagern zeigte sich Vielfalt: Mehrere Gewerkschaften hielten ihre Flaggen hoch, aber auch die Parteiefahnen von SPD, Jusos und Linken waren zu sehen. Zudem waren etwa 100 Autonome vor Ort, die teilweise vermummt waren. Etwa 100 Polizisten sicherten die Demonstration ab.

Im Vorfeld hatte es im Internet Gerüchte gegeben, Neonazis wollten die Veranstaltung stören. Einige Mitglieder der rechten Szene hatten sich dann tatsächlich zeitgleich am Friedrichsplatz getroffen.

Nach einer kurzen Auftaktkundgebung hatte sich der mehrere hundert Meter lange Demo-Zug in Richtung Königsplatz in Bewegung gesetzt, wo für eine weitere Ansprache ein erster Zwischenstopp eingelegt wurde. Anschließend ging es weiter über Stern und Altmarkt zur Universität, wo am Mahnmal „Die Rampe“ abermals gehalten wurde, um die Anschläge von Rechten auf das Denkmal, das an die Deportation erinnert, zu verurteilen.

Im Anschluss an die Demonstration kam es am Friedrichsplatz zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen Rechten und Linken. Diese endete mit der Gewahrsamnahme mehrerer Rechter, teilte ein Polizeisprecher mit. Diese hätten einem Platzverweis nicht Folge geleistet.

HNA, 19. September 2011




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