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Ein Platz für Kemal Altun

Hamburger Initiative will offizielle Benennung

Von Folke Havekost, Hamburg *

Für viele ist der kleine namenlose Platz in Hamburg-Ottensen längst der Kemal-Altun-Platz. Bezirkspolitiker wie auch die Bürgerschaftsfraktion der LINKEN wollen, dass er auch offiziell nach Kemal Altun benannt wird. Der türkische Student, der 1980 vor der damaligen Militärdiktatur aus seiner Heimat floh, nahm sich 1983 in deutscher Auslieferungshaft das Leben.

Am Nachmittag gehört der Platz dem Nachwuchs. Viele Mütter und einige Väter spielen mit ihren Kindern. Die 29-jährige Kristina (»spreche fließend Englisch«) sucht per Aushang eine Stelle als Vollzeit-Nanny »in Altona und Umgebung«. Schaukeln und Sitzbänke, eine Tischtennisplatte, zwei kleine Ballspielfelder und eine leicht erhöhte Grünfläche: Der Platz ist eine kleine Oase im dicht besiedelten Hamburger Stadtteil Ottensen, in dem die Mieten mittlerweile schneller steigen als im Rest der Stadt. Offiziell hat das Areal keinen Namen. Das soll sich ändern, finden Altonaer Bezirkspolitiker wie auch die Bürgerschaftsfraktion der LINKEN: Der Platz soll offiziell Kemal-Altun-Platz heißen.

Demos gegen Asylpolitik

Der Student Kemal Altun war 20 Jahre alt, als er im November 1980 aus der Türkei nach West-Berlin floh und einen Asylantrag stellte. Die damalige türkische Militärdiktatur griff zu einem häufig genutzten Mittel und warf dem Flüchtling die Beteiligung an einem politischen Mord vor.

Bei den deutschen Behörden traf sie damit auf wenig Widerstand. Statt dem Verfolgten Schutz zu gewähren, wurde im Juli 1982 gegen Altun Auslieferungshaft in Berlin-Moabit verhängt, im Februar 1983 seine Auslieferung beschlossen. Während einer Anhörung über sein Auslieferungsverfahren am 30. August 1983 stürzte sich Altun aus dem 6. Stock des Berliner Oberverwaltungsgerichts und zog sich dabei tödliche Verletzungen zu.

»Ehe es keinen Namen für den Platz gibt, ist einer, der vielleicht auch kritisch aufrüttelt, doch super«, findet die Anwohnerin Jana S., die mit ihrem Kind und Freunden auf dem Spielplatz unterwegs ist. Der Fall Altun mobilisierte im Hamburg der 1980er Jahre zahlreiche Menschen, gegen die vorherrschende Asylpolitik und aufkommenden Rechtsextremismus einzutreten. Auf dem namenlosen Platz in Ottensen, wo einst das Maschinenbauunternehmen Menck & Hambrock saß, versammelten sich damals regelmäßig Menschen, um zu demonstrieren und Altun zu gedenken. »Hier ist ein bisschen alternativer Touch, nicht so das durchschnittlich spießige Deutschland«, sagt Gerd Schulze, der aus dem nahe gelegenen Schanzenviertel kommt und entspannt auf einer Bank sitzt. SPD-Senat lehnt ab

Als der 60-Jährige gefragt wird, was er von der Namensinitiative hält, sagt er zunächst: »Wenig, ist doch okay, wie der Platz heißt.« Weil er annimmt, dass der Platz nun nicht mehr Kemal-Altun-Platz heißen soll. Als er erfährt, dass es um die offizielle Benennung geht, signalisiert er »von meiner Seite voll Support«. Ein häufiges Phänomen: Für viele Besucher trägt das Areal längst den Namen Kemal-Altun-Platz. Etwa Mitte der 1980er Jahre hatte sich die Bezeichnung weitgehend eingebürgert. »Ich kenne den Platz nur unter diesem Namen«, sagt etwa die 49-jährige Sabine Schubert.

»Die offizielle Umbenennung wäre gerade angesichts der Morde der NSU ein Zeichen gegen Rassismus«, sagt der aus Altona kommende Abgeordnete der LINKEN, Norbert Hackbusch. Der Antrag seiner Fraktion wird unter »Drucksache 3535« als Tagesordnungspunkt 64 der heute und morgen stattfindenden Bürgerschaftssitzung behandelt. Der SPD-Senat hat sich allerdings bereits gegen eine Umbenennung ausgesprochen, da Altun »der unmittelbare Bezug zu Hamburg« fehle.

»Der Platz wird seit 25 Jahren so genannt, es ist schade, dass er nicht offiziell umbenannt wird«, sagt Behcet Algan, SPD-Vertreter in der Altonaer Bezirksversammlung. Die Kommunalvertretung stimmte im Dezember 2011 für eine Anpassung des offiziellen Namens an die übliche Bezeichnung.

* Aus: neues deutschland, 28. März 2012

Kemal-Altun-Platz in Kassel

Was in Hamburg bis heute so schwierig ist, gelang in Kassel fünf Jahre nach dem Tod Kemal Altuns - aber auch damals war gehöriger Druck nötig. In der Kasseler Nordstadt - einem Stadtviertel mit hohem Ausländeranteil - erhielt im Frühjahr 1988 der Platz vor den als Kulturzentrum genutzten Gebäuden des ehemaligen Schlachthofes offiziell den Namen Kemal-Altun-Platz. An der Seitenwand des Schlachthofgebäudes wurde ein Relief des türkischen Bildhauers Eyüp Öz angebracht, das auf das Schicksal Altuns Bezug nimmt. Es zeigt eine Hand, die in Ketten gelegt ist und eine Rose hält. Zusammen mit der darunter angebrachte Inschrift "Politisch verfolgte genießen Asylrecht (Art. 16.2.2 GG)" soll es an die hoffnungslose Situation von Abschiebehäftlingen erinnern. Am Kemal-Altun-Platz findet auch das traditionelle Frühlingsfest des Kulturzentrums "Schlachthof" statt, das jährlich Tausende Bewohner/innen des Viertel anlockt.

Nicht weit entfernt von diesem Platz wurde 2006 der 21-jährige türkische Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat ermordet. Wie erst Jahre später ermittelt wurde, geht die Tat auf das Konto der terroristischen rechten NSU. Bei der offiziellen Trauerfeier für die Opfer des rechten Terrors am 23. Februar 2012 schlug der Vater des Kasseler Mordopfers, Ismail Yozgat, vor, die Holländische Straße nach seinem Sohn zu benennen. (Siehe zur Trauerfeier und zur Ansprache Ismail Yozgats: "Bitte keine Entschädigung. Angehörige von NSU-Opfern ergreifen bei Trauerfeier das Wort".) Einige Initiativen aus der Stadt und der Universität haben die Forderung aufgegriffen und kämpfen nun um eine öffentliche Ehrung Halit Yozgats.
Pst




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