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Nazinetz im Knast

Inhaftierte sollen Kontakt zu NSU-Helfern und Beate Zschäpe geknüpft haben

Von Uwe Kalbe *

Ein Neonazi-Netzwerk soll Kontakt zum Umfeld des NSU sowie zu Beate Zschäpe, Mitglied des NSU-Mördertrios, geknüpft haben. Aus dem Gefängnis heraus.

Es lägen keine Hinweise auf Vernetzung von Neonazis in Gefängnissen vor - das war die erste Reaktion nahezu aller Behörden der Bundesländer am Mittwoch. Mehrere Medien hatten über ein rechtes Netzwerk in Haftanstalten berichtet, das überdies Kontakte zum Umfeld des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) geknüpft haben soll. Auch die kurz vor ihrem Prozess stehende NSU-Terroristin Beate Zschäpe sollte den Medienberichten zufolge in die Aktivitäten des Netzwerks eingebunden werden. Die Kommunikation lief dennach über Briefe und versteckte Botschaften in Kleinanzeigen.

Das »neue deutschland« hatte im Februar über die beabsichtigte Gründung eines eingetragenen Vereins berichtet, der sich aus Häftlingen der rechtsextremen Szene rekrutieren solle. Man habe die »Schnauze voll« von Gefangenenhilfsorganisationen, wurde der Initiator des Netzwerks zitiert, das sich am 20. April 2012 gegründet haben soll. Dieser prahlte in einer Anzeige in der Motorradzeitschrift »Bikers News« vom Oktober 2012, dass es »Mitstreiter« bereits in zahlreichen Haftanstalten gebe. Im Jahr 2011 war die »Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige« (HNG) vom Bundesinnenministerium verboten worden.

Ausdrücklich erwähnt in der Anzeige waren neben einer Anzahl weiterer Gefängnisse auch Justizvollzugsanstalten in Kassel, Fulda und Hünfeld. Alle drei liegen in Hessen. Auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hatte die hessische Landesregierung noch im November 2012 angegeben, nichts von Versuchen zu wissen, ein solches Nazi-Netzwerk zu gründen. »In keiner hessischen Justizvollzugsanstalt liegen Erkenntnisse über Versuche von Neonazis und Neofaschisten vor, sich innerhalb der Justizvollzugsanstalt zu organisieren«, heißt es umständlich.

Mittlerweile hat Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) wohl neue Erkenntnisse gewonnen - man habe nicht die Fehler der Sicherheitsbehörden im Falle des NSU wiederholen wollen, zitiert ihn »Spiegel online«. In anderen Berichten wird auf Zellendurchsuchungen in hessischen Gefängnissen hingewiesen, die Hinweise auf das Netzwerk zutage förderten. Die Justiz sei auf eine Kleinanzeige gestoßen, die für eine rechtsgerichtete Gefangenenhilfsorganisation warb, so Minister Hahn. Es geht um jene Anzeige, aus der »nd« im Februar zitierte ...

Auch aus Bayern kam im Tagesverlauf - entgegen ersten Meldungen, die das Gegenteil behaupteten - die Information, dass mehrere Gefangene in drei Justizvollzugsanstalten Kontakt zum Gefängnis-Netzwerk gehabt hätten. Diese Kontakte standen laut Münchner Justizministerium in Zusammenhang mit einem Magazin von inhaftierten Skinheads, gegen das die Gefängnisse vorgegangen seien, wie dpa einen Sprecher zitierte.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 11. April 2013


Nazi-Netzwerk: Justizminister Hahn weist Vorwürfe der Linkspartei zurück

Keine Erkenntnisse zurückgehalten / Suche nach weiteren Spuren der rechtsextremen Gefängnis-Verbindungen **

Nach den Enthüllungen über ein geheimes Neonazi-Netzwerk in deutschen Gefängnissen suchen Fahnder nach in mehreren Bundesländern nach weiteren Spuren. Neben der Haftanstalt im hessischen Hünfeld hatten in Bayern mehrere Gefangene in drei Justizvollzugsanstalten Kontakt zu dem Netz, wie ein Sprecher des Justizministeriums in München sagte. Auch in anderen Bundesländern läuft die Spurensuche, darunter in Schleswig-Holstein und Berlin. Nach Angaben des Berliner Justizsenators Thomas Heilmann (CDU) hatte der Neonazi aus Hünfeld einen Briefkontakt zu einem Gefangenen in Berlin-Tegel hergestellt.

Inzwischen hat der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn Vorwürfe zurückgewiesen, die Erkenntnisse über ein Netzwerk von inhaftierten Neonazis seien erst spät öffentlich gemacht worden. Die hessische Linksfraktion hatte den Umgang der Behörden mit Hinweisen und Informationen über entsprechende Bestrebungen von Rechtsextremisten kritisiert und von einem „erschreckend laxen Umgangs staatlicher Stellen mit Neonazis und Neonazi-Strukturen“ gesprochen.

Hahn sagte am Donnerstagmorgen im Deutschlandfunk, im vergangenen Jahr hätten keine belegbaren Erkenntnisse auf solche Verbindungen vorgelegen. Nach entsprechenden Hinweisen seien Nachforschungen aufgenommen worden, deren Ergebnis man nun öffentlich gemacht habe.

Das »neue deutschland« hatte bereits im Februar über die beabsichtigte Gründung eines eingetragenen Vereins berichtet, der sich aus Häftlingen der rechtsextremen Szene rekrutieren solle. Man habe die »Schnauze voll« von Gefangenenhilfsorganisationen, wurde der Initiator des Netzwerks zitiert, das sich am 20. April 2012 gegründet haben soll. „Wir hatten ein Bauchgefühl, aber nichts Belegbares“, so Hahn. „Wir hatten damals keine Erkenntnisse“, auch der Beitrag im „neuen deutschland“ sei „nicht präzise gewesen“.

Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, forderte eine bessere Schulung von Gefängnismitarbeitern. »Sie müssen die Symbole und Codes der Szene kennen. Sonst wird man solchen Strukturen nicht auf die Spur kommen«, sagte Lischka der »Mitteldeutschen Zeitung«. Außerdem müsse man versuchen, die Mitläufer vom harten Kern abspalten, sagte der SPD-Politiker.

Das von hessischen Justizbehörden entdeckte rechtsradikale Netzwerk soll auch Kontakt zur mutmaßlichen Rechtsterroristin Beate Zschäpe gesucht haben. Am 17. April beginnt in München der Prozess gegen Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer der Terrorzelle NSU. Nach derzeitigem Erkenntnisstand gibt es in Bayern keine Anhaltspunkte für einen Kontakt des Netzwerks zur Terrororganisation NSU.

Der SPD-Innenexperte Michael Hartmann forderte alle Bundesländer auf, in ihren Justizvollzugsanstalten nach ähnlichen Strukturen zu suchen. »In Deutschland wird immer noch nicht ausreichend dem Phänomen der nationalsozialistischen Netzwerke nachgegangen«, sagte Hartmann der »Rheinischen Post«. Polizei, Justiz und Verfassungsschutz müssten sich noch besser austauschen.

Eine zentrale Figur der rechtsextremen »AD Jail Crew 14er« soll ein im hessischen Hünfeld inhaftierter und mehrfach verurteilter Neonazi aus Kassel sein. Im Namen des 38-Jährigen war im Oktober 2012 in einer Motorradzeitschrift eine Anzeige geschaltet worden, die für eine bundesweite rechtsgerichtete Gefangenenhilfsorganisation warb.

** Aus: neues deutschland (online-Ausgabe), Donnerstag, 11. April 2013

Linksfraktion Hessen fragt wegen NSU

Schreiben von Hermann Schaus, innenpolitischer Sprecher und Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion Die Linke im Hessischen Landtag, an Innenminister Boris Rhein vom Mittwoch:

(…) Die Medien berichten umfassend über die Hintergründe des offenkundig von einschlägig bekannten militanten aufgebauten überregionalen Netzwerken. Dabei werden auch Verbindungen zum NSU genannt. Nach wie vor bestehen erhebliche Fragen zum vom Verfassungsschutzmitarbeiter Temme geführten V-Mann Benjamin G., welcher ebenfalls enge Kontakte zum NSU-Unterstützungsnetzwerk Blood & Honour gehabt hat. Ich bitte Sie daher schon jetzt darum, folgende Fragen in der morgigen Innenausschußsitzung zu beantworten und kündige Ihnen hiermit an, eine Beantwortung in öffentlicher Sitzung beantragen zu wollen.

Fragen:
  • Im Justizausschuß wurde gefragt, warum weder Justizbehörden noch Verfassungsschutz die Rolle des Bernd T. und des »Sturm 18« aus Kassel bekannt war, zumal bereits im Februar ein entsprechender Artikel im Neuen Deutschland erschien, der das von Bernd. T. aufgebaute Netzwerk beschrieb. Herr Hahn entgegnete, die Justizbehörden und der Verfassungsschutz würden offenbar nicht jede Zeitung lesen. Ich frage: Welche Informationen hatte der Verfassungsschutz über den »Sturm 18«, Bernd T. und seine Aktivitäten aus der JVA heraus, und ab wann hatte er welche Kenntnis?
  • HR-Online berichtet heute über Bernd T.: »Er will 2006 auch die beiden NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Kassel getroffen haben.« Das Justizministe­rium bestätigt bislang nur den Versuch einer Kontaktaufnahme zum NSU in 2011/2012. Ich frage: Welche Verbindungen bestehen nach Ihrer Kenntnis zwischen »Sturm 18«, Bernd T. und dem NSU?
  • Der von Andreas Temme geführte V-Mann, Benjamin G., hatte enge Kontakte zum NSU-Unterstützungsnetzwerk Blood & Honour. Ideologisch und räumlich besteht eine große Nähe zu »Combat 18« bzw. dem »Sturm 18« aus Kassel. Welche Erkenntnisse hat der Innenminister über Verdachtsmomente gegen Benjamin G., zumal dieser auf der sogenannten 129er Liste von NSU-Helfern geführt wird und mögliche Querverbindungen zwischen Temme – Blood& Honour – Sturm 18 in Kassel?

Hessische Landesregierung zu NSU

Zur Zurückhaltung von Informationen über neonazistische Knastnetzwerke und Verbindungen zum NSU durch die hessische Landesregierung erklärte Schaus in einer Stellungnahme:

(…) Jedem, der sich nur ein bißchen mit militanten Neonazistrukturen befaßt, ist klar, wofür »Sturm 18« steht und wie nah das ideologisch am NSU ist. Warum dann nicht unseren Landesbehörden? Zudem frage ich, wie sich Innenminister Rhein gegenüber der heutigen Aussage von Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) in bezug auf das Unwissen des Verfassungsschutzes verhält. Mit der Aussage, der Verfassungsschutz lese offensichtlich nicht jede Zeitung und habe somit vom Neonazinetzwerk nichts wissen können, hat Hahn ein erneutes Versagen des hessischen Verfassungsschutzes zu relativieren versucht. Wenn der Geheimdienst militante Neonazis nicht einmal dann als solche erkennen will, wenn ihr überregionales Netzwerk in Zeitungen ausführlich beschrieben wird, dann stellt sich erneut die Frage, ob dieser Geheimdienst völlig unfähig oder böswillig ist.

(Zitiert nach junge Welt, 11.04.2013)




Offener Vollzug für Nazis

Bundesregierung wußte nichts von der braunen Knasthilfe, obwohl sich Drahtzieher als V-Mann anbot. Verbindungen zwischen Rockerklubs und Neofaschisten

Von Ulla Jelpke ***


Hessische Justizbehörden haben ein bundesweites Netzwerk zur Unterstützung von gefangenen Rechtsextremisten aufgedeckt. Erste konkrete Hinweise hätten sich nach Zellendurchsuchungen in den vergangenen Wochen ergeben, bestätigte Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) am Mittwoch einen Bericht in Bild. Verdächtige Gefangene seien verlegt worden. Der innerhalb der Haftanstalten streng hierarchisch aufgebaute Hilfsverein soll inhaftierte Neonazis und ihre Angehörigen finanziell unterstützt und Gefangene ideologisch geschult haben.

Kommuniziert wurde über Codes etwa in Kleinanzeigenteilen unverdächtiger Magazine. So warb der zur Zeit in der osthessischen JVA Hünfeld einsitzende und unter anderem wegen Tötung eines Obdachlosen einschlägig vorbestrafte Führer der Kasseler Nazikameradschaft »Sturm 18«, Bernd Tödter, in der Rockerzeitschrift Biker News vom Oktober 2012 für eine »AD Jail Crew (14er)«. Daß dieser Verein am 20. April 2012 – Adolf Hitlers Geburtstag – in der JVA Hünfeld gegründet wurde, ist ebenso als Hinweis auf dessen neofaschistische Ausrichtung zu lesen, wie die Aussage, Mitglied könne jeder werden, der für »die ›alten‹ Werte einsteht«. Zwischen einigen Rockerclubs und Neonazis ist eine von gemeinsamen geschäftlichen Interessen geprägte Mischszene entstanden. Zudem verfügen kriminelle Rockerbanden über effiziente Verbindungen in die Knäste.

Die Zeitung Neues Deutschland hatte im Februar über ein solches Netzwerk berichtet. Die Abgeordnete der Linken im sächsischen Landtag, Kerstin Köditz, fragte Mitte Februar in einer Kleinen Anfrage nach Erkenntnissen der Staatsregierung zur »Jail Crew«. »Keine« lautete die lapidare Antwort. Auch die Bundesregierung behauptete noch vor wenigen Tagen das gleiche. In ihrer Anfang vergangener Woche vorgelegten Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion zu »Rechtsextremer Betätigung im Strafvollzug« heißt es zwar, die rechtsextremistische Szene sei nach dem Verbot der »Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörigen e.V.« (HNG) am 30. August 2011 durch das Bundesinnenministerium »weiterhin bestrebt, die Betreuung inhaftierter rechtsextremistischer Straftäter aufrechtzuerhalten«. Doch konkret nach entsprechenden Organisationen befragt, heißt es: »Die durch das Verbot der HNG entstandene organisatorische Lücke konnte durch andere rechtsextremistische Gefangenenhilfsorganisationen nicht geschlossen werden. Bislang konnte sich noch keine Nachfolge- oder Ersatzorganisation etablieren.«

Konnten die Bundesbehörden einschließlich des Verfassungsschutz tatsächlich eine neonazistische Gefangenenhilfe nicht erkennen, die selbst hessischen Gefängniswärtern ins Auge stach, oder hielten die Schlapphüte vielmehr ihre schützende Hand darüber? Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung soll einer der Drahtzieher der »Jail Crew« im Dezember 2011 kurz nach Auffliegen des »NSU« dem hessischen Verfassungsschutz im Gegenzug für eine schnelle Haftentlassung angeboten haben, »Informationen über diverse Netzwerke« zu beschaffen. Von seiten der Ermittler wurde damals die Glaubwürdigkeit des Neonazis bezweifelt, der behauptete, die beiden NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im Jahr 2006 in Kassel vom Zug abgeholt zu haben. Möglicherweise ergab sich dennoch eine Zusammenarbeit zwischen dem kooperationswilligen Nazi und dem Geheimdienst.

*** Aus: junge Welt, Donnerstag, 11. April 2013


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