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Kein Kölsch für Nazis

Rechtsextremisten von "Pro NRW" rufen für 7. Mai erneut zu Großevent in Köln auf. Breites Bündnis will sich den Gegnern von Freiheit in den Weg stellen

Von Markus Bernhardt *

Das Muster, nach dem die rechtsextreme Partei »Pro NRW« agiert, ist stes das gleiche: Großspurig kündigt die selbsternannte »Bürgerbewegung« eine Demonstration an und inszeniert sich infolge der sich abzeichnenden antifaschistischen Proteste als Opfer einer angeblichen Gesinnungsgemeinschaft aus Antifagruppen, etablierter Politik und Polizei. So auch im Fall der »Marsch der Freiheit« genannten Provokation der muslimfeindlichen Partei, zu dem die Rechten für den 7. Mai – also ausgerechnet einen Tag vor dem Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Faschismus – nach Köln mobilisieren. Die rassistische Vereinigung, die erst kürzlich vom nordrhein-westfälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD) als »Nazis in Nadelstreifen« bezeichnet wurde, will gemeinsam mit anderen rassistischen Parteien aus ganz Europa in der Domstadt aufmarschieren.

Aufmarsch verhindert

Ähnliche Versuche waren bereits im September 2008 gescheitert, als die Rechten ihre Anhänger zu einem sogenannten »Antiislamisierungskongreß« nach Köln mobilisierten. Aufgrund mannigfaltiger Proteste von antifaschistischen Gruppen, Gewerkschaften und Kirchen und sogar der etablierten Politik konnte dieser verhindert werden. Auch eine für 2009 vorgesehene Neuauflage der rassistischen Zusammenkunft scheiterte an den Protesten der Nazigegner und kam nicht über die Veranstaltung einer Splittergruppe hinaus.

Eigenen Angaben zufolge rechnen die extremen Rechten bei ihrem neuerlichen Aufmarschversuch am kommenden Samstag in Köln mit mindestens 1000 Gesinnungsgenossen, wie »pro«-Generalsekretär Markus Wiener auf der Internetseite der Partei ankündigt. Die geplante Demonstration soll an der »Deutzer Freiheit« starten und dann über die Deutzer Brücke durch die linksrheinische Innenstadt führen, so Wiener weiter. Eine Zwischenkundgebung sei auf dem Heumarkt geplant. Damit werde es »zum ersten Mal in der Geschichte der Domstadt eine rechtsdemokratische Demonstration diesen Ausmaßes an so prominenter Stelle im Herzen von Köln geben«, frohlockt Wiener – jedoch vielleicht ein wenig zu früh. Die Planungen zur Verhinderung der rassistischen Provokation laufen seit Wochen auf Hochtouren. Neben der Interventionistischen Linken rufen auch die Initiative »Kein Kölsch für Nazis«, die von Dutzenden Kneipiers und Kulturschaffenden unterstützt wird, sowie das Bündnis »Köln stellt sich quer!« zu antifaschistischen Protesten auf.

»Was die selbsternannte ›Pro-Bewegung‹ unter Freiheit versteht, ist nichts anderes als Diskriminierung und rassistische Hetze«, heißt es im Aufruf des Bündnisses »Köln stellt sich quer!«, welches unter anderem von Gewerkschaften, Kirchen, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), dem Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) und sogar der Gewerkschaft der Polizei (GdP) unterstützt wird. Erwartungsgemäß sorgt diese alles andere als alltägliche Bündniskonstellation für großen Unmut bei den Rechtsextremen. So erstattete der »Pro-NRW«-Vorsitzende Markus Beisicht am vergangenen Donnerstag Strafanzeige gegen Kölns Oberbürgermeister wegen angeblichen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht, da der SPD-Politiker zu Protesten gegen eine angemeldete Demonstration aufrufe.

Vielfältige Proteste

Für noch größere Empörung sorgt bei den Rechtsextremen offenbar die Unterstützung der geplanten antirassistischen Proteste durch die GdP. »Wenn sich Polizisten hierzulande bereits gegen geltendes Recht stellen, dann ist umso mehr eine starke politische Opposition vonnöten, die diesem Treiben Einhalt gebietet«, tobte der »Pro NRW«-Vorsitzende im Internet.

Jedoch dürfte auch das Gezeter der antimuslimischen Rassisten nicht verhindern, daß sich wie bereits in den Vorjahren Tausende Menschen aufmachen, die selbsternannten braunen Freiheitsmarschierer aufzuhalten. Das Bündnis »Köln stellt sich quer!« mobilisiert am 7. Mai um 10.30 Uhr zu einem Ökumenischen Gottesdienst in der Kirche Sankt Heribert an der »Deutzer Freiheit«, die in unmittelbarer Nähe des Sammlungspunktes der Rechten liegt. Für 11.30 Uhr ist zudem eine Kundgebung an der Frankwerft nahe der Deutzer Brücke geplant. Das »Bündnis gegen pro NRW« mobilisiert für 10 Uhr zu Kundgebungen am Hauptbahnhof und an der Siegburger Straße/Ecke Arminiusstraße.

* Aus: junge Welt, 2. Mai 2011


Rechte profitieren von antimuslimischen Mainstreamdebatten

Von Markus Bernhardt **

Nicht erst seit der Ende August 2010 erfolgten Veröffentlichung von Thilo Sarrazins Buch »Deutschland schafft sich ab« und den darin enthaltenen muslimfeindlichen und sozialdarwinistischen Ergüssen nehmen in der Bundesrepublik gegen Muslime gerichtete Vorurteile und Stigmatisierungen stetig zu. Dem SPD-Politiker und früheren Berliner Finanzsenator ist mit seinem »Bestseller« ein Erfolg gelungen, der rechten und neofaschistischen Splittergrüppchen und Kleinstparteien bisher versagt blieb: Deutschland übt den Tabubruch. Endlich darf– flankiert von reißerischer Medienberichterstattung – wieder ausgesprochen werden, was der deutsche Durchschnittsbürger seit jeher zu wissen glaubte: Der Moslem an sich will sich nicht integrieren, übt sich in Sozialschmarotzertum, unterdrückt Frauen, attackiert Homosexuelle und verachtet selbstredend jeglichen Lebenswandel, den man gemeinhin »westlich« orientiert nennt.

Es ist nicht etwa ein pauschal formulierter Rassismus, sondern die sich zunehmend aggressiver gerierende explizite Muslimfeindlichkeit, die Neonazis, Rassisten, christliche Fundamentalisten und sogenannte Antideutsche zusammenbringt und die – wie vor einigen Monaten in Berlin geschehen – schlimmstenfalls in Brandanschlägen auf Moscheegemeinden gipfelt.

Vor allem Gruppierungen wie »Pro Deutschland« oder deren Schwesterpartei, die selbsternannte nordrhein-westfälische Bürgerbewegung »Pro NRW«, verspüren ob des gesellschaftlichen Zuspruchs für antimuslimische Haßtiraden Oberwasser. Zwar sind die »pro«-Aktivisten noch immer bemüht, sich in der Öffentlichkeit ein halbwegs bürgerliches Antlitz zu geben. Nicht wenige der (früheren) Funktionäre waren jedoch bereits in der Vergangenheit in rechtsextremen bzw. neofaschistischen Parteien wie den »Republikanern«, der NPD oder anderen ähnlich gelagerten Gruppierungen aktiv bzw. engagierten sich in der rechten Szene. Zu nennen wären unter anderem der frühere rechtsextreme Multifunktionär und heutige »pro Deutschland«-Chef Manfred Rouhs, der Rechtsanwalt Markus Beisicht (früher »Deutsche Liga für Volk und Heimat«) und die Kölner Fraktionsvorsitzende Judith Wolter, die 2002 ein Grußwort auf dem Bundeskongreß der NPD-Jugendorganisation »Junge Nationaldemokraten« hielt.

Motiviert von den Auswüchsen der Sarrazin-Debatte versuchen Kleinstparteien wie »Pro Deutschland« und deren lokale Ableger, die Bevölkerung darüber hinwegzutäuschen, daß es sich bei ihnen maßgeblich um »Ein-Punkt«-Organisationen handelt. Würden sie nicht versuchen, die Bevölkerung auf noch mehr antimuslimische Stigmatisierungen zu trimmen und den Kampf der Kulturen aufzunehmen, es bliebe kaum politischer Inhalt. So setzt »Pro Deutschland« in Berlin, wo die Gruppierung im September zu den Abgeordnetenhauswahlen antreten will, maßgeblich auf den Kampf gegen eine angebliche »Islamisierung« und den von Muslimen vermeintlich betriebenen »demographischen Dschihad«.

So albern die rechten Muslimfeinde im Einzelfall auch immer wirken mögen, die von ihnen ausgehende Gefahr darf keineswegs unterschätzt werden. Nicht zuletzt bekommen die Rassisten Schützenhilfe in der bundesdeutschen Mainstreampresse. Der langjährige Spiegel- und heutige Welt-Autor Henryk M. Broder stellte sich etwa auf die Seite des niederländischen Muslimfeindes Geert Wilders. Auch der Holocausüberlebende und Publizist Ralph Giordano hatte aufgrund von Ausfällen gegen Muslime in der Vergangenheit bereits Beifall von »Pro NRW« erhalten. Die Gefahr, daß Parteien wie »Pro Deutschland« auf der antimuslimischen Welle des gesellschaftlichen Mainstreams Erfolge verbuchen können, ist daher so gering nicht.

** Aus: junge Welt, 2. Mai 2011


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