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Antrag auf Verbot der NPD

Wer ist die NPD? Und sollte sie verboten werden? Fragen und Antworten *


Die Innenminister des Bundes und der Länder wollen am Mittwoch über einen erneuten Antrag auf Verbot der NPD beraten. Im Notfall wollen die Länder auch ohne den Bund die Einleitung eines Verfahrens beantragen. Wer ist die NPD? Und sollte sie verboten werden? Fragen und Antworten.

Geschichte einer Totgesagten: Fakten, Zahlen, Hintergründe zur NPD Wieso scheiterte das erste NPD-Verbot 2001?

Der aktuelle Vorstoß ist der zweite Versuch, die NPD aus der politischen Landschaft zu verbannen. Nach mehreren Anschlägen mit mutmaßlich fremdenfeindlichem Hintergrund stellte die Bundesregierung 2001 einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht. Bundestag und Bundesrat reichten kurz darauf eigene Anträge ein: wegen »Wesensverwandtschaft« mit der NSDAP und »Demokratie- und Rechtsstaatsfeindlichkeit« der Partei. Zwei Jahre prüften die Karlsruher Richter – und stellten das Verfahren schließlich ein. Der Grund war das Bekanntwerden von zehn V-Leuten in der Parteiführung. Man könne nicht ausschließen, hieß es, dass die Spitzel staatsgelenkte »steuernde Einflussnahme« auf die Partei gehabt hätten – und damit Beweise im Sinne der Antragsteller verfälscht hätten. Ein fairer Prozess sei deshalb nicht möglich gewesen.

Gibt es auch jetzt noch V-Leute?

Die offizielle Antwort: Seit April gibt es in NPD-Vorständen keine V-Leute mehr. Als sich Anfang des Jahres eine Mehrheit für einen neuen Verbotsantrag andeutete, beendeten Bund und Länder nach und nach ihre Zusammenarbeit mit NPD-Informanten – allerdings nur auf der Führungsebene. Dieses gute Dutzend ausgeschlossen, sind nach inoffiziellen Angaben immer noch etwa 120 »Vertrauensleute« aktiv. Einen völligen Verzicht lehnten Bund und Länder, allen voran die unionsgeführten, ab. Das gegen die NPD gesammelte Material sei aber nicht »durch V-Leute infiziert«, versichert der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU).

Wo ist die NPD am stärksten?

In den letzten Jahren konnte die NPD die größten Erfolge seit ihrer Gründung in den 1960er Jahren feiern: Sie zog wieder in deutsche Landtage ein. 2004 erhielt die Partei 9,2 Prozent der Stimmen in Sachsen und 2006 7,3 in Mecklenburg-Vorpommern. Den Wiedereinzug schaffte sie, etwas schwächer, mit 5,6 und 6,0 Prozent auch in der nächsten Legislaturperiode. Spitzenwerte von bis zu 20 Prozent wie 2004 im Wahlkreis sächsische Schweiz erreichte sie aber nicht noch einmal. Derzeit hat die NPD acht bzw. fünf Sitze in den beiden Landesparlamenten. Wäre morgen Landtagswahl, würde sie keinen Abgeordneten mehr stellen. In Sachsen-Anhalt dagegen winkte 2011 mit einem Stimmenanteil von 4,6 Prozent zum ersten Mal die Chance auf einen Platz im Landesparlament. In anderen Ländern – ebenso wie auf Bundesebene – taucht die Partei überhaupt nicht in der Statistik auf. Lediglich in Hamburg würden 0,1 Prozent der Wähler ihre Stimme den »Nationaldemokraten« geben. Ein anderes Bild ergibt sich in den Gemeinden. Bei Kommunalwahlen gelingt es der NPD häufig, Mandate zu erringe, zuletzt zwei im Dortmunder Kreistag.

Wie finanziert sich die Partei?

Die NPD ist zum Großteil von der Parteienfinanzierung abhängig. Von den im Rechenschaftsbericht 2010 ausgewiesenen Einnahmen von rund drei Millionen Euro erhielt sie laut Bundestag knapp 1,2 Millionen vom Staat. Im Parteiengesetz ist geregelt, dass die Parteien staatliche Mittel erhalten, die sich an den erzielten Stimmen bei Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen, der Summe der Mitglieds- und Mandatsträgerbeiträge und der Spendenhöhe bemessen. Um an Geld zu kommen, muss eine Partei bei der letzten Bundestagswahl oder Europawahl mindestens 0,5 Prozent, bei Landtagswahlen mindestens 1,0 Prozent der gültigen Stimmen erhalten haben. Trotz der staatlichen Gelder betrug 2010 das Defizit der Partei 410 000 Euro. An Spenden sammelte die Partei insgesamt rund 990 000 Euro ein. Hinzu kommen die Mitgliedsbeiträge von rund 532 000 Euro, sonstige Einnahmen sowie »Mandatsträgerbeiträge und ähnliche regelmäßige Beiträge« über 115 000 Euro. Ein Großteil davon wurde der Partei aus Sachsen überwiesen. Dagegen existieren noch 870 000 Euro offene Schulden, die der Staat aufgrund falscher Spendenbescheinigungen zu viel ausgezahlt hatte.

Wie denkt die NPD?

Außen Nadelstreifen, innen Nazi: So präsentiert sich die neue NPD. Dazu hat ihr Bundesvorsitzender Holger Apfel beigetragen. Als Abgeordneter im sächsischen Landtag präsentiert Apfel sich und seine Kameraden gern als Saubermänner, die »in der Mitte des Volkes ankommen« wollen, wie Apfel auf dem Bundesparteitag 2011 sagte. Aber hinter neuem Erscheinungsbild und Argumenten steckt dieselbe gefährliche Ideologie, die sich aggressiv gegen alles Fremde richtet. Die Parole »Deutschland den Deutschen« wird lediglich nicht mehr rassisch begründet, sondern im Sinne des Ethnopluralismus nach der Zugehörigkeit zu einer Kultur. Integration sei »Völkermord«, an deutschen Bürgern ebenso wie an Zuwanderern. Das Recht auf Asyl gehöre daher abgeschafft, Multikulti sei »unmenschlich«, deutsche und ausländische Schüler dürften nicht zusammen unterrichtet werden. Ebenso stehen Geschichtsrevisionismus und eine Familienpolitik im Parteiprogramm, die die Gleichstellung der Geschlechter als »naturwidrig« ablehnt. Vor diesem Hintergrund nähern sich die »freien Kameradschaften« und die NPD nach Ideologieuneinigkeiten in jüngster Zeit wieder verstärkt an: Thomas Sattelberg, Martin Schaffrath und Thomas Rackow machen seit neuestem Karriere bei der NPD in Sachsen. Vorher waren sie die Anführer der nun verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz (SSS). (mag/mdr)


Pro Verbot

Von Markus Drescher

Mit einem Verbot der NPD verschwindet noch kein einziger Nazi. Rassismus, Antisemitismus und Homophobie bleiben das gleiche gesellschaftliche Problem. Dennoch sprechen drei Argumente für ein Verbot: Geld, Präsenz und Struktur. Ohne die staatlichen Zuwendungen aus der Parteienfinanzierung für die NPD würde ein Großteil der finanziellen Mittel wegfallen, mit der bisher etwa die Öffentlichkeitsarbeit bestritten wurde. Flugblätter, regionale Zeitungen mit oft weit über 100 000 Exemplaren Auflage, sogenannte Schulhof CDs – Massenpropaganda würde vorerst der Vergangenheit angehören. Mit dem Verschwinden von der parlamentarischen Bildfläche entfällt neben provozierenden Auftritten von Abgeordneten, die für Medienaufmerksamkeit sorgen sollen, zudem die Möglichkeit, sich den Wählern in Abgrenzung zu den »Systemparteien« als rechtsradikale Alternative zu präsentieren. Gerade in ländlichen, strukturschwachen Gebieten basiert jedoch die Anziehungskraft der Nazis auf dem selbstpropagierten Mythos, die NPD setze sich für die Interessen der kleinen Leute ein. Auch die finanzielle Absicherung von braunen Kameraden durch Posten in Fraktionen, Wahlkreisbüros, Bundes- und Landesparteien würde entfallen. Die Zahl der Nazis, die es sich leisten können, sich hauptsächlich mit Politik zu beschäftigen, würde sinken, die Organisation etwa von Aufmärschen erschwert. Diese dienen nicht nur zur Außendarstellung, sondern auch zur Festigung der internen Strukturen und der nationalen und internationalen Vernetzung verschiedener Spektren. Eingeschränkt würde auch die Schulung von Kadern, wie sie etwa die NPD-Jugendorganisation JN in den letzten Jahren verstärkt durchführt. Für die Verbreitung der neonazistischen Ideologie und Anwerbung von Mitgliedern wichtige Multiplikatorenaufgaben könnten somit nicht mehr erfüllt werden. Statt Hetze und Wahlkampf steht nach einem NPD-Verbot, das die Gründung von Nachfolgeorganisationen ausschließt, für die Nazis Restrukturierung auf der Tagesordnung. Zwar hat sich mit der Partei »Die Rechte« des bekannten, aber innerhalb der Szene nicht unumstrittenen Naziaktivisten Christian Worch eine mögliche Parteialternative gegründet. Doch ob die bisher in der NPD tonangebenden Kader sowie die Mitglieder ohne weiteres bereit sind, sich dort einzugliedern, ist offen.

Wahrscheinlicher scheint eine Debatte um die Neuausrichtung des organisierten Neonazismus, in der auch die Freien Kameradschaften und sogenannten Autonomen Nationalisten mitmischen werden. Ob sich die rechte Szene auf absehbare Zeit von einem derartigen Schlag erholt, ist fraglich – zumal die Antifa mit Sicherheit keine Pause einlegt, bis sich die Nazis neu sortiert haben.


Contra Verbot

Von Ines Wallrodt

Die NPD ist eine faschistische Partei und ihr Programm noch viel übler als allgemein bekannt. Die Demokratie muss gegen ihre Gegner verteidigt werden. Ein NPD-Verbot setzt jedoch selbst auf eine tendenziell undemokratische, mindestens aber autoritäre Maßnahme. Es nährt die falsche Annahme, dass maßgeblich Staat und Gerichte für den Schutz der Demokratie zuständig sind. Aber nicht der starke Staat muss es richten, sondern jeder und jede Einzelne ist aufgefordert, aktiv zu werden. Aufgabe des Staates ist es, die Bedingungen für eine lebendige Zivilgesellschaft zu verbessern. Stattdessen werden antifaschistische Initiativen gegängelt und Jugendklubs geschlossen. Der Verbotsantrag bietet Politikern und Behörden nun die Chance, symbolisch Handlungsstärke zu beweisen und damit von ihrem Versagen gegen Naziterror abzulenken.

Kein Zweifel, für viele Antifaschisten, die ein Verbot wünschen, wird die Auseinandersetzung im Erfolgsfall nicht zu Ende sein. Aber trifft das auch für die Allgemeinheit zu, die gerade erst angefangen hat, sich selbst zu bewegen? Ein Verbot vermittelt das trügerische Gefühl: Problem gelöst. Die Demokratie stünde vielleicht als durchsetzungsfähig da, aber auch als schwach: zu schwach, um auf andere Weise mit der NPD fertig zu werden. Denn statt der inhaltlichen Widerlegung wird der Konkurrent verboten. Probleme mit Nazis bei Stadtfesten und vor dem Bahnhofskiosk wird es aber weiter geben. Das Gedankengut lässt sich nicht aus den Köpfen verbieten. Die NPD ist selbst ein Produkt von Verboten neonazistischer Vereine in den 90er Jahren. Damals schlüpften deren Funktionäre unter das Dach der NPD. Auch diesmal wird sich ein neues finden.

So schlimm es ist: Erst Wahlerfolge und Aufmärsche haben eine Diskussion über die NPD bewirkt. Wie groß wäre die Aufmerksamkeit für die menschenfeindlichen Einstellungen in der Gesellschaft, wenn ihr sichtbarer Ausdruck verboten wäre? Statt durch ein Verbot muss die NPD durch Auseinandersetzung mit ihren politischen Aussagen und Zielen bekämpft werden, auch mit Massenblockaden auf den Straßen. Nötig sind breite, gut abgesicherte Gegenprogramme und demokratische Verhältnisse, die erlebbar machen, was gut an ihnen ist.

Ein immanentes Argument zum Schluss: Die Erfolgsaussichten eines Verbots sind unsicher. Das liegt nicht nur an den V-Leuten, sondern auch an den zu Recht hohen Hürden für ein Parteiverbot. Karlsruhe könnte den Nachweis verlangen, dass die Bundesrepublik durch die NPD konkret gefährdet ist. Dies dürfte schwierig sein. Scheitert das Verbot, stärkt das die NPD, die eigentlich gerade auf dem absteigenden Ast ist. Nicht nur, aber auch dank der Gegenwehr demokratischer, antifaschistischer Menschen in diesem Land.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 05. Dezember 2012


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