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NPD-Karriere, Knast, NPD-Karriere

In der NPD kann man auch als verurteilter Straftäter aufsteigen

Von Marcus Meier *

Ein Drittel aller NPD-Kader ist Medienberichten zufolge vorbestraft oder Objekt strafrechtlicher Ermittlungen. Der Parteikarriere indes schaden selbst brutale Gewalttaten und Antisemitismus nicht.

Der Tatort: Die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Kemna in Wuppertal, in dem einst Kommunisten und Sozialdemokraten aus dem Bergischen Land von SA-Schergen gequält worden waren. Die Opfer: Überwiegend ehemalige Insassen, zum Zeitpunkt der Tat, man schrieb das Jahr 2000, meist hochbetagt. Die Täter: vermummt, in Überzahl, jung, mit Baseballschlägern, Tränengas und Steinen bewaffnet. 15 brutale Neonazis, von denen einige ein NPD-Parteibuch besaßen.

Das galt auch für den Mann, der schnell als Rädelsführer des Angriffs verdächtigt wurde: Thorsten Crämer, zum Tatzeitpunkt Mitte 20, fungierte damals als nordrhein-westfälischer Landeschef der Jungen Nationaldemokraten, der Jugendorganisation der NPD, und saß für die Nazi-Partei im Rat der Stadt Schwelm bei Wuppertal. Nach dem »Vorfall« (Parteijargon) wurde er von oben als JN-Führer abgesetzt. Die Begründung: Die Jungnationalen lehnten »Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele entschieden ab«. So entschieden, dass Crämer nach dem »Vorfall« noch zwei Monate lang im Amt bleiben konnte.

Neuer JN-Chef an Rhein und Ruhr wurde Claus Cremer, der daraufhin schnell Parteikarriere machte. Landesgeschäftsführer, stellvertretender Landesvorsitzender, 2008 rückte er schließlich an die Spitze des Landesverbandes der NPD. Wen störte es da, dass Cremer zugleich in der stiefelfaschistischen Szene der »Freien Kameradschaften« aktiv war? Dass er zusammen mit Szene-Größen wie Christian Worch, Thomas »Steiner« Wulff und Axel Reitz, dem »Hitler von Köln«, Aktionen organisierte?

Niemanden. Cremer fungierte nämlich gleichsam offiziell als Bindeglied zwischen beiden rechtsextremen Milieus, die mal mehr, mal weniger eng kooperieren. Auch seine Verurteilung wegen Volksverhetzung (er hatte Menschen jüdischen Glaubens mit Kinderschändern gleichgesetzt) tat Cremers Aufstieg keinen Abbruch. Ein Jahr Haftstrafe auf Bewährung – verglichen mit den 27 Monaten, zu denen der Schläger Thorsten Crämer verurteilt worden war, konnte man das als Peanuts abtun.

Crämer saß wegen des Kemna-»Vorfalls« tatsächlich ein, verurteilt wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruchs. Doch kaum aus dem Knast entlassen, setzte der Gewalttäter seine Politkarriere ab 2004 fast nahtlos fort: Er zog in den Kreistag Ennepe-Ruhr ein, natürlich für die NPD. Er rückte als Beisitzer in den Landesvorstand der Partei auf und verblieb dort bis Ende 2012. Dann kehrte er den »Nationaldemokraten« den Rücken zu. Sie seien »mit NS-Verrückten verbandelt«, lautete Crämers Vorwurf.

Der verurteilte Schläger Crämer hatte insbesondere den verurteilten Antisemiten und NPD-Landeschef Cremer ins Visier genommen. Dessen allzu intensive Kameradschaft mit offenen Neonazis, mit Gruppierungen, die nach SA-»Märtyrern« benannt sind oder die behördlicherseits als kriminelle Vereinigung verdächtigt werden, bezeichnete Crämer als »Amoklauf«. Denn Crämer war auf die Linie eines vorgeblich »seriösen Radikalismus« eingeschwenkt, wie ihn Ex-NPD-Chef Holger Apfel vertritt. Crämer wurde zudem von Cremers außerparteilichen Kameraden angefeindet, er galt ihnen nicht zuletzt als »Polizei-Nutte«, weil er in Sachen Kemna- »Vorfall« Aussagen gemacht hatte.

Die Gerüchte, Crämer sei Geheimdienst-V-Mann, verstummten nie. Erhoben hatte sie der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU). Das spielte im ersten NPD-Verbotsverfahren eine erhebliche Rolle – schließlich galt der Überfall auf die Kemna-Besucher als Beleg für die Radikalität der Partei.

Crämer wäre zumindest nicht der einzige Spitzel in den Reihen der nordrhein-westfälischen NPD gewesen. Unter anderem sollen auch der ehemalige Landeschef Udo Holtmann und sein Vize Wolfgang Frenz V-Leute gewesen sein. Die Honorare indes flossen in den Parteiaufbau: »Wenn sie so wollen, hat der Verfassungsschutz die Grundfinanzierung der NPD in NRW geleistet«, spottete Frenz unlängst über den staatlichen Geldfluss in die Kassen der Partei.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 20. Dezember 2013


NPD-Chef tritt zurück

Holger Apfel gibt den Parteivorsitz ab – angeblich aus gesundheitlichen Gründen

Von Stefan Otto **


Parteiintern war Holger Apfel seit längerem massiv in die Kritik geraten. Jetzt gab er seine Ämter als Bundesvorsitzender und Fraktionschef im sächsischen Landtag auf.

Die NPD schrieb auf ihrer Homepage, Holger Apfel habe krankheitsbedingt den Vorsitz der Partei abgegeben. Nach Angaben der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag leidet Apfel an einem Burn-Out-Syndrom. Vorstandsmitglieder reagierten gegenüber Medien »geschockt«. Udo Pastörs, Vizevorsitzender der Bundespartei, zeigte sich überrascht von der Nachricht – wenngleich er sagte, zuletzt das Gefühl gehabt zu haben, »dass Herr Apfel, um es vorsichtig zu formulieren, zuletzt überfordert schien«.

Auf einer Sondersitzung will das Parteipräsidium nun am kommenden Sonntag über die notwendigen Schritte beraten, verkündete die Parteizentrale in Berlin. Bis auf weiteres werden werden die Stellvertreter der Schweriner Fraktionschef Udo Pastörs und der bayerische Landeschef Karl Richter die Partei führen, erklärte ein Parteisprecher am Donnerstag.

Gegenüber »Spiegel online« gab der NPD-Sprecher auch an, dass Apfels Rückzug nichts mit den parteiinternen Querelen zu tun habe, die in den vergangenen Wochen öffentlich wurden. Vor allem Bundesvize Richter hatte Apfel vor wenigen Wochen massiv wegen angeblicher Absprachen bei der Europawahl attackiert. Doch die Gerüchte bleiben bestehen, dass die gesundheitlichen Gründe nur vorgeschoben sind und Apfel zum Rückzug gedrängt wurde.

Für Kerstin Köditz, Landtagsabgeordnete der Linkspartei in Sachsen, ist Apfels Schritt ein Abgang mit Ansage. Spätestens seit Anfang der Woche hätten sich die Hinweise darauf verdichtet, dass er innerparteilich massiv unter Druck gesetzt worden sei, seine Posten aufzugeben.

Für das anstehende NPD-Verbotsverfahren sieht Köditz indes keinerlei Auswirkungen. Nach einer Interimszeit rechnet sie damit, dass Pastörs die Partei führen und es wieder zu einer »stärkeren Einbindung der radikaleren neonazistischen Kräfte kommen wird«.

Als Nachfolger für Apfel im Sächsischen Landtag kommt für Köditz eigentlich nur Johannes Müller in Frage, der nach Angaben der NPD-Landtagsfraktion vorübergehend den Vorsitz übernehmen soll. »Dieser tritt zwar nach außen bieder und verbindlich auf, doch zugleich werden ihm gute Beziehungen zu den Freien Kräften nachgesagt«, erläutert Köditz, die künftig ein radikaleres Auftreten der NPD vermutet.

Als weiterer Widersacher Apfels gilt sein langjähriger Rivale Udo Voigt, von dem er im November 2011 den Parteivorsitz übernommen hatte. Voigt kritisiert Apfel seit langem für sein in die Öffentlichkeit getragenes Konzept des »seriösen Radikalismus«. Als Partei der Kümmerer versuchte Apfel die NPD zu verkaufen. Er wollte sie mit diesem Kurs heraus aus der braunen Schmuddelecke führen. Doch vielen in der NPD erschien die Partei zu gemäßigt. Auch Voigt, der nach seinem Abgang als Parteichef aktiv blieb und sogenannte Freundeskreise für seine Anhänger gründete, kritisierte seinen Nachfolger.

Unklar bleibt, ob Apfel sein Mandat im sächsischen Landtag behält. Nach den Worten von Fraktionssprecher Thorsten Thomsen ist Apfel vorerst krankgeschrieben.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 20. Dezember 2013


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