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Camouflage nach Stuttgarter Art

NSU-Untersuchungsausschuss kommt heute außerplanmäßig zur Beweisaufnahme zusammen

Von René Heilig *

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages nimmt heute außerplanmäßig die Beweisaufnahme wieder auf. Der halbe Tag wird nicht einmal ausreichen, um Kratzspuren an der glatten Fassade des Stuttgarter Verfassungsschutzes zu hinterlassen – geschweige denn, um bei der Aufklärung des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter voran zu kommen.

Geladener Zeuge ist »Rainer Öttinger«. Der wird – egal ob der Ausschuss sich auf die vom Stuttgarter Innenministerium verlangte geheime oder eine öffentliche Sitzung kapriziert – vorher beim Maskenbildner gewesen sein. In Natura ist »Öttinger« ein durchtrainierter Typ um die 60 mit hoher Stirn. Er trägt am liebsten Levis 501 der Größe 34/36, raucht »West« und liebt neben seiner Frau und den Kindern seine Maschine, eine Motoguzzi. Jedenfalls war das so, als er noch der V-Mann-Führer von Petra S. (»Krokus«) war.

Die ist unglaubwürdig, durchgeknallt, von schrägen Fantasien geleitet – sagt der Verfassungsschutz in Stuttgart und lässt ab und zu Informationen an erreichbare Medien durchtropfen, die das beweisen sollen. In Wahrheit aber hat man noch einen »Strauß« auszufechten mit dem Lebensgefährten von S. Die Geschichte führt auf die irische Insel und mithin auf einen anderen eingedämmten Kriegsschauplatz.

Petra S. war einst eine Superspionin mit der höchsten für menschliche Quellen erreichbaren Einstufung B. Sie ist »zuverlässig, verschwiegen und überaus einsatzwillig«, schrieb der Landesgeheimdienst. Kurzum: Sie informierte wahrheitsgemäß über Vorgänge in der rechten Szene. Auch nach dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 hatte sie so einiges aufgeschnappt. Die Bereitschaftspolizistin und ihr Kollege Martin A. wurden beim Parken auf der Theresienwiese in Heilbronn hinterrücks niedergeschossen. Der Generalbundesanwalt macht die NSU-Zelle von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe für die Tat verantwortlich. Die Dienstwaffen der Opfer lagen im Wohnmobil, in dem die männlichen NSU-Killer zu Tode kamen, ein Blutfleck von Kiesewetter soll auf einer Jogginghose in der Wohnung des Trios entdeckt worden sein. Aus dem dortigen Brandschutt zog man auch zwei Waffen, die zur Tat benutzt worden sein können.

Es ist nicht so, dass S. die Täterschaft des NSU bestreitet. Sie geht jedoch von einem weitaus größeren rechtsextremistischen Terrorgeflecht in Baden-Württemberg aus. Und in der Tat hat man – zumindest öffentlich – die regen Kontakte der Thüringer, der sächsischen und der Neonaziszene in Baden-Württemberg, dem Ursprungsland der deutschen Blood&Honour-Bewegung, nie richtig ausgeleuchtet. Aus Blood&Honour-Leuten rekrutierten sich die wichtigsten Unterstützer des NSU und auch sonst weisen viele Indizien ins Ländle.

S. hat recherchiert und berichtet. »Öttinger« streitet das ab. Auch dass er damals befohlen hat, seine V-Frau solle sich raushalten? S. benennt Personen, die Kontakte zum Ku-Klux-Klan pflegten, der – vermutlich als vom Verfassungsschutz aufgestellter »Honigtopf« – von 2000 bis 2003 seinen Sitz in Schwäbisch Hall hatte. S. verweist auf mindestens sechs Personen, die, zum Teil familiär verbunden, als Mittäter in Frage kommen. Darunter ist eine NPD-Frau R., die ihre Gesinnung an die Kinder weitergeben will. Sie heißen Hagen, Edda, Heinrich. Ob das erwartete vierte Kind auch so ein seltsames Namensgleichnis mit Familienmitgliedern des Reichsführers SS Himmler haben soll, ist nicht bekannt.

Die Schwester von R. soll im Krankenhaus, in dem der überlebende Polizist A. behandelt wurde, ein Praktikum gemacht und der Szene zeitnah vom Zustand des Opfers berichtet haben. Herr R. postet auf einer Facebook-Seite Bilder über »Killer-Döner, nach Thüringer Art«. Auch die Flagge des Ku-Klux-Klan ist zu sehen. Man findet nicht nur Spuren zu einer üblen Musikgruppe mit üblen Liedern, sondern landet auch – wenn man andere NPD-Mitglieder durchleuchtet – bei einem Herrn N. Der Ex-Kroatien-Söldner arbeitet als V-Mann für den Verfassungsschutz.

Zufall? Mag ja sein. Und wie ist das mit den Kontakten zur Organisierten Kriminalität? Es geht um Drogen- und Waffenhandel aus Richtung Kasachstan. Womit wir im Geburtsland der Frau R. und ihrer Schwester sind.

Wer die Akten der Sonderkommission »Parkplatz« kennt, kann den Darstellungen einiges abgewinnen. Sicher ist: So wie der Generalbundesanwalt den Mord an Michèle Kiesewetter in der Anklage gegen die NSU-Bande darstellt, kann es objektiv nicht gewesen sein. Aus vielen Gründen. Die Ermittlungen bleiben kompliziert, zu kompliziert für einen Befragungstag im NSU-Ausschuss. Warum hat man den »Komplex Kiesewetter« so lange vor sich her geschoben?

Bereits am 13. September 2012 fragte der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele in nichtöffentlicher Sitzung den Ex-Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz, Johannes Schmalzl, nach »Krokus« und deren Zuträgerschaft zwischen 2006 und 2012. Der Geheimdienstchef bestätigte zumindest deren Zuarbeit. Nachdem der Ausschuss dann im April 2013 Akten zu »Krokus« angefordert hatte, wurde »Öttinger« in den Ruhestand versetzt. Die Herausgabe der »Krokus«-Dokumente zögerte der Dienst heraus. So lange, bis man sicher annehmen konnte, dass den Abgeordneten eigentlich keine Zeit mehr für Nachfragen bleibt, weil sie am Abschlussbericht arbeiten.

Ohne Zweifel, die Abgeordneten und Mitarbeiter des Bundestags-Untersuchungsausschusses haben in bislang 73 Sitzungen viel Licht in dunkle Seiten unserer Gesellschaft gebracht. Doch sie kämpfen nicht nur gegen Schlamperei und Dummheit in Sicherheits- und Justizbehörden. So geheim wie sich das Neonazi-Netzwerk des NSU aufgestellt hat, so undurchdringbar scheint das Netzwerk der Dienste und Behörden, die ihr Abwehr- und Aufklärungsversagen vertuschen.

Bevor sich der Ausschuss heute dem Kapitel Naziszene in Baden-Württemberg stellen wird, muss noch einmal der Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße 2004 aufgerufen werden. Man hat offenbar in bestimmter Absicht beweiskräftiges Videomaterial nur extrem lückenhaft vorgelegt. Der Opferanwalt im Münchner NSU-Verfahren Yavuz Narin hat »nd« berichtet, wie er jüngst das 18-Stunden-Video beim Bundeskriminalamt »ausgegraben« hat. Es zeigt alles, was die vor dem Eingang des Senders »Viva« installierten Kameras 1 und 6 erfasst haben. Unter anderem sieht man neben den Attentätern Böhnhardt und Mundlos mindestens einen dritten Mann aus der Szene, den Experten als Ronny W. bezeichnen. Der 1975 Geborene und von Thüringen nach Nordrhein-Westfalen Umgesiedelte steht auf der geheimen Liste jener Personen, die Kontakt mit dem Trio hatten.

Angeblich haben die Behörden das Video zurückgehalten, um nicht in das Persönlichkeitsrecht »Dritter« einzugreifen, die zu sehen sind. Die Bilder geben allerdings auch Anlass zur Vermutung, dass irgendein Dienst irgendeine Operation geheim halten will, die damals rings um die Keupstraße (oder sogar gegen die NSU-Bande?) ablief. Dafür spricht auch, dass man die Funkzellenabfrage, bei der alle aktiven Handys in der Gegend identifiziert werden können, auf nur zwei Stunden begrenzt hat.

* Aus: neues deutschland, Montag, 24. Juni 2013


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