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Wie Beate Zschäpe dasteht

Eigener Brief könnte mutmaßliche Neonaziterroristin stärker belasten als bisherige Aussagen über sie vor Gericht

Von Claudia Wangerin *

Am Ende wird es vielleicht ein Brief aus dem Knast sein, der die Verteidigungsstrategie einer vermeintlich naiven Hausfrau zunichte macht. Die mutmaßliche Neonaziterroristin Beate Zschäpe schweigt derzeit vor dem Oberlandesgericht München. Die Bundesanwaltschaft hält sie für eine zumindest gleichberechtigte, planerische Mittäterin – ihre Anwälte ziehen selbst ihr Wissen um die Morde und Anschläge in Zweifel, die ihre inzwischen toten Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ab dem Jahr 2000 verübt haben sollen. Im Münchner Prozeß um die oft als »Trio« bezeichnete Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) ist sie die einzige, der Mitgliedschaft vorgeworfen wird. Vier Mitangeklagte gelten als Helfer. Zwei von ihnen schweigen zu den Vorwürfen; zwei weitere haben Zschäpe bisher nicht übermäßig belastet.

Der Mitangeklagte Carsten S., der die Lieferung der mutmaßlichen Tatwaffe der NSU-Mordserie gestanden hat, will Zschäpe vor und nach ihrem Untertauchen kaum gekannt haben. Er sagte aus, daß sie bei einem Treffen kurz vor der Waffenübergabe an Mundlos und Böhnhardt nach seiner Erinnerung eine Anwaltsvollmacht unterschrieb und schnell wieder ging. Das deckt sich mit Berichten, daß Zschäpe damals erwog, sich zu stellen. Als die »beiden Uwes« Andeutungen über einen geplanten oder schon begangenen Anschlag in Nürnberg machten, sollte Zschäpe das laut S. nicht hören.

Die Aussage des Mitangeklagten Holger Gerlach war lediglich eine von ihm verlesene Erklärung, zu der er keine Fragen beantworten wollte. Tenor: Er habe doch nicht ahnen können, daß seine untergetauchten Freunde zu so etwas fähig seien, als er ihnen Ausweispapiere überließ und eine Schußwaffe besorgte. Außerdem differenzierte Gerlach kaum zwischen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Somit wurde seine Erklärung von Zschäpes Verteidigung zerpflückt. Nach Darstellung von Gerlach hätten »alle drei Personen sozusagen ›im Chor‹ mit ihm gesprochen, und es waren jeweils ›sechs Hände‹, die ihm etwas übergeben oder etwas von ihm entgegengenommen haben«, sagte Zschäpes Anwalt Wolfgang Stahl. Eine strafrechtlich relevante, individuelle Schuldzuweisung könne darauf nicht gestützt werden.

Für die Anwesenheit von Mundlos und Böhnhardt an Tatorten gibt es Belege – bei Zschäpe deutet bisher wenig darauf hin. Ein Indiz für die zumindest gleichberechtigte Rolle, die ihr die Anklageschrift unterstellt, lieferte sie im März auf 26 handschriftlichen Seiten, die sie einem inhaftierten Neonazi namens Robin Schmiemann schrieb. Hier gibt sie selbstbewußt die lebenserfahrene Frau, die »den nötigen Durchblick« habe. Wortgewandt flirtet sie mit dem Empfänger und putzt ihn zwischendurch herunter. Scheinbar sinnlose Zeichnungen und Textpassagen in dem beschlagnahmten Brief sorgten für Spekulationen über Codes. Nebenklageanwalt Thomas Bliwier will Schmiemann sogar als Zeugen laden, im Gegensatz zu manchen Kollegen den Brief aber nicht verlesen lassen. Der Inhalt dürfte eine Goldgrube für den psychiatrischen Gutachter Henning Saß sein, der Zschäpe vor Gericht beobachten soll.

Unabhängig von einer Verurteilung als Mittäterin der NSU-Mordserie könnte am Ende schwere Brandstiftung und der damit verbundene Mordversuch an einer Nachbarin übrig bleiben. Von allen Tatvorwürfen ist am wenigsten umstritten, daß Zschäpe nach dem mutmaßlichen Selbstmord von Mundlos und Böhnhardt die gemeinsame Wohnung in Zwickau anzündete. Ob sie dabei auch den Tod von Handwerkern in Kauf nahm, konnte deren Vernehmung am Mittwoch weder bestätigen noch eindeutig widerlegen. Das Dachgeschoß über ihrer Wohnung wurde renoviert; die Handwerker hatten das Haus aber verlassen, um eine Pause einzulegen, als es in Flammen aufging. Die Treppe soll nach Aussage der Zeugen geknarzt haben. Demnach konnte sie ihre An- und Abwesenheit bemerken.

* Aus: junge Welt, Freitag, 28. Juni 2013


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